Reaktion auf Ukraine-Pläne Geheimdienst: Russland nimmt neue Ziele ins Visier
Nach Ansicht des britischen Militärgeheimdienstes hat Russland neue Ziele im Visier. Die Ukraine bittet deshalb um schnelle Unterstützung bei der Luftabwehr.
Russland scheint seine Taktik bei den Luftangriffen auf die Ukraine zu ändern. Das geht aus einer Analyse des britischen Militärgeheimdienstes hervor. Lange Zeit hatten Raketen und Drohnen vor allem den Energiesektor der Ukraine angegriffen. Im vergangenen Jahr waren mehrere Kraftwerke getroffen worden.
Jetzt nimmt Russland offenbar die ukrainische Rüstungsindustrie ins Visier. "Russische Planer erkennen mit Sicherheit die wachsende Bedeutung der Kapazitäten in der Verteidigungsindustrie und bereiten sich auf einen langen Krieg vor", so der britische Geheimdienst auf der Plattform X.
Ende Dezember hatte Russland seine Attacken aus der Luft erheblich verschärft. Man habe eine "signifikante" Menge an erst kürzlich produzierten Raketen eingesetzt, so die Briten. Diese hätten zum großen Teil ukrainische Rüstungsbetriebe zum Ziel gehabt.
Ukraine spricht von Angriffen auf Wohngebiete
Angaben, ob und welche Rüstungsbetriebe bislang getroffen wurden, gab es in der britischen Stellungnahme nicht. Auch die Ukraine berichtet nicht über Treffer auf Rüstungsfirmen. Verteidigungsminister Rustem Umerow warf Russland vor, bewusst auf zivile Wohngebiete zu zielen. Dagegen erklärte Moskau, Ziel der Angriffe seien militärische Einrichtungen gewesen. Alle anvisierten Ziele seien "zerstört" worden. Unabhängig bestätigt werden konnten die Angaben nicht.
Insgesamt feuerte Russland zuletzt bei einer Angriffswelle am Dienstagmorgen nach ukrainischen Angaben "99 Raketen verschiedenen Typs" ab. Davon seien 72 von der Luftabwehr abgeschossen worden, hieß es weiter. Eingeleitet worden sei die massive russische Angriffswelle demnach mit rund 35 Drohnen, die man alle abgeschossen habe.
Rüstungsproduktion soll angekurbelt werden
Der ukrainische Außenminister Dmyro Kuleba hatte im Dezember angekündigt, dass das Land die Rüstungsproduktion ankurbeln wolle. Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte sogar davon gesprochen, dass die Rüstungsindustrie seines Landes "im Laufe der Zeit definitiv in die Top 10 der produktivsten und stärksten Rüstungskomplexe der Welt aufsteigen kann".
In der Ukraine gibt es alleine mehr als 50 staatliche und private Hersteller von Munition für verschiedene Arten von Drohnen, wie Oleksandr Kamyshin, Minister für strategische Industrie der Ukraine, im Dezember bekannt gab.
Staatskonzern Ukroboronprom produziert die meisten Waffen und Munition
Die ukrainische Rüstungsindustrie wird vom staatseigenen Konzern Ukroboronprom geführt. Dieser hat nach eigenen Angaben 67.000 Mitarbeiter. In den Betrieben werden sowohl Munition als auch Waffensysteme gefertigt – unter anderem in Kooperation mit dem deutschen Konzern Rheinmetall. Wo produziert wird, ist Geheimsache. Nach Schätzungen umfasst der Konzern mindestens 130 übers Land verteilte Betriebe. Der Hauptsitz ist in Kiew.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden in der Ukraine lange Zeit Ersatzteile für Waffen russischer Bauart produziert. Erst nach der russischen Invasion auf die Krim 2014 änderte sich das. Es gibt mehr eigene Waffenentwicklungen. "Die staatliche ukrainische Verteidigungsindustrie befindet sich nach zahlreichen gescheiterten Reformversuchen in den letzten zehn Jahren im Umbruch" berichtete der US-Thinktank "Carnegie Endowment for International Peace" im Dezember.
Ein Strategieministerium wurde eingerichtet. "Ziel des Ministeriums ist es, die Probleme in der Rüstungsindustrie (Korruption und staatliche Einflussnahme) zu lösen und insbesondere die Umstrukturierung des staatlichen Rüstungskonglomerats Ukroboronprom (UOP) abzuschließen", heißt es in dem Bericht des US-Instituts.
Hilfe aus dem Westen angefordert
Die Ukraine hat nach den jüngsten Bombardements den Westen aufgefordert, "zusätzliche Luftverteidigungssysteme und Kampfdrohnen aller Art" zu liefern. Entsprechende Aussagen kamen von Außenminister Dmytro Kuleba. Zudem benötige die ukrainische Armee mehr "Raketen mit einer Reichweite von mehr als 300 Kilometern". Dazu würden auch die deutschen "Taurus"-Systeme gehören.
Doch die Bundesregierung bleibt bei ihrem Nein zu einer Lieferung. Es gebe keinen neuen Stand, teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittwoch mit. Grünen-Politiker Anton Hofreiter forderte jedoch: "Insbesondere notwendig ist, dass Taurus schnell geliefert wird". Und CDU Bundestagsabgeordneter Norbert Röttgen stößt ins gleiche Horn: Die Ukraine brauche sie dringend, "um sich auf eigenem Territorium gegen die russischen Angriffe verteidigen zu können", sagte er den Zeitungen der "Funke Mediengruppe".
Die Sache sei "jetzt noch drängender geworden", sagte Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) dem Portal Web.de. Die Ukraine hätte damit die Möglichkeit, Nachschublinien auch weit hinter der feindlichen Linie zu treffen. Russland wäre dann gezwungen, Führungszentralen und Munitionslager nach hinten zu verlegen. Wadephul betonte: "Das wäre schnelle und praktische Hilfe, die Deutschland jetzt leisten könnte."
- kyivpost.com: "Russia Adopts Missile-Strike Tactics Shift from Energy Sector to Military Facilities - British Intel" (englisch)
- ukroboronprom.com.ua: "About us"
- carnegieendowment.org: "Arsenal of Democracy: Integrating Ukraine Into the West’s Defense Industrial Base" (englisch)