Ukrainische Brückenköpfe Dieser Frontabschnitt macht Putin offenbar nervös
Ein kleiner Fortschritt am Fluss Dnipro könnte sich zu einem großen Vorteil für die Ukraine ausweiten. Im Kreml scheint man sich Sorgen zu machen.
Die ukrainischen Truppen scheinen am Fluss Dnipro erhebliche Fortschritte zu machen. Nachdem es ihnen gelungen war, an einigen Abschnitten den Fluss zu überqueren und kleinere Brückenköpfe zu installieren, rücken nun wohl Truppen nach.
Über einen längeren Zeitraum sei es den Russen dort bisher gelungen, die ukrainischen Landungsversuche abzuwehren. "Jetzt sieht es allerdings so aus, als würden die Brückenköpfe wachsen", sagte Burkard Meißner, Oberst der Reserve und Gründungsvorstand des German Institute for Defence and Strategic Studies am Freitag zu t-online.
Doch Putins Truppen haben mit weiteren Problemen zu kämpfen. Denn offenbar hat ein ukrainischer Raketenangriff das Hauptquartier der russischen Truppen in der Dnipro-Region getroffen. Es liegt im südlichen Teil der Region Cherson.
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ISW: Raketen trafen Hauptquartier
Das US-amerikanische Institut für Kriegsstudien (ISW) hat in seiner jüngsten Analyse Berichte von russischen Kriegsbloggern ausgewertet. "Die russischen Kommandeure des Dnipro-Kampfverbandes waren heute nicht glücklich", schrieb der pro-russische Telegramkanal Operatovno ZSU. Er bestätigte die Angriffe. Nach ISW-Informationen habe das russische Portal Astrahad berichtet, dass vier ukrainische Raketen ein Gebäude in Strilkowe getroffen hätten, das als Hauptquartier der russischen Dnipro-Truppe diente. Es sollen mindestens zwei Personen getötet und mehrere verletzt worden sein. Unklar ist, ob der Kommandeur der Soldaten, General Mikhail Teplinski, unter den Opfern ist.
In sozialen Netzwerken werden außerdem Bilder von vielen toten Soldaten gezeigt – angeblich russische Truppen, die auf der linken Flussseite getötet worden seien, als sie ihre Stellungen wechselten. Und Videos zeigen, wie russische Drohnenstützpunkte angegriffen und zerstört werden.
Psychologischer Effekt der Brückenköpfe
Die Ukraine versucht neben der Bodenoffensive immer wieder mit Raketen und Kanonen wichtige Infrastruktur des russischen Militärs zu treffen. Dazu gehören Flughäfen, Munitionslager, Kommunikationseinrichtungen und die Quartiere der Militärführung. Auch wenn der jüngste Angriff kaum wichtiges Waffenmaterial zerstört hat, dürfte er doch einen psychologischen Effekt haben.
Dass sich ukrainische Truppen überhaupt am linken Dnipro-Ufer festsetzen könnten, wurde lange Zeit bezweifelt. Doch jetzt sehen auch Experten Fortschritte. Allerdings sind es derzeit nur Verbände von Marinesoldaten, die dort seit Oktober die Stellung halten. Wie viele Soldaten es sind, ist unklar, inoffizielle Angaben schwanken zwischen Dutzenden und knapp über Hundert.
Nach Angaben der russischen Militärblogger-Gruppe Rybar soll jetzt Nachschub gekommen sein. Offenbar seien weitere Soldaten über den Fluss gelangt. Nach deren Informationen sei die Lage derzeit stabil. Bei den ersten Versuchen einer Flussüberquerungen waren ukrainische Soldaten in heftiges Feuer der russischen Truppen geraten, es gab Berichte über viele Tote.
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Russische Truppen zur Bewegung zwingen
Hintergrund der Brückenköpfe dürfte aber nicht alleine die – ohnehin recht geringen – Geländegewinne sein. Nach Aussagen von Ben Barry vom International Institute for Strategic Studies in London versucht die Ukraine, eine Konzentration der russischen Truppen an einer Stelle zu verhindern. Entlang der fast 1.000 Kilometer langen Front schaffen sie mehrere Abschnitte, um das russische Militär an immer neue Orte zu locken.
Dort, wo sie Schwachstellen sehen, ergreifen sie die Initiative und können sogar Geländefortschritte machen. Im Falle des Dnipro-Ufers wird das aber nicht einfach werden. "Das Problem war schon immer: Es ist ein großer Fluss. Sie können Infanterie dorthin bringen, aber Sie müssen dort Ausrüstung nachbringen. Die Ukraine hat keine Luftüberlegenheit. Wenn sie versuchen, schwere Waffen zu bringen, werden sie getroffen", sagt ein westlicher Militäranalyst nach Angaben des britischen "The Guardian".
Deshalb ist Unterstützung aus der Luft wichtig. "Am linken Dnipro-Ufer kann man Fortschritte erwarten – allerdings gilt das nur, wenn der Westen weitere Unterstützung finanziert. Wir müssen der Ukraine massenweise Pontonbrücken, Luftabwehr und vor allem Hubschrauber liefern", fordert Burkhard Meißner.
Derzeit sitzen die Marines nahe Krynki, einem Gebiet, das nicht erst seit der Sprengung des Kachowka-Damms überflutet ist. Ein großer Teil ist sumpfig, schwierige Voraussetzungen, um dort Panzer und Geschütze fahren zu lassen. Außerdem sind nicht weit entfernt die russischen Verteidigungsstellungen eingerichtet, mit Minenfeldern und Panzersperren.
In Moskau scheint man dennoch nervös zu werden. Ein Zeichen dafür ist, dass offenbar der Kommandeur der Dnipro-Truppen, Oleg Makarewich, abgelöst wurde. Das war noch vor dem jüngsten Raketenangriff. Das ISW schrieb: "Makarewichs gemeldete Entlassung deutet darauf hin, dass der Kreml oder das russische Militärkommando möglicherweise hinreichend besorgt und skeptisch gegenüber seiner Fähigkeit sind, die jüngsten, umfangreicheren ukrainischen Bodenoperationen abzuwehren."
- theguardian.com: "Ukraine troops defend vital foothold on Russian-controlled Dnipro River" (englisch)
- newsweek.com:"Russia's Dnieper Problems Just Got Worse" (englisch)
- understandiungwar.com: "Russian Offensive Campaign Assessment, November 2, 2023" (englisch)