"Vorabend des Zusammenbruchs" Russischer Nationalist ruft zu Putsch gegen Putin auf
Igor Girkin ist eine der bekanntesten Stimmen der nationalistischen Rechten in Russland. Jetzt stellt sich der Geheimdienstler so offen wie nie gegen den Kremlchef.
Seine wiederholten Attacken gegen Kremlchef Putin haben Igor Girkin bereits ins Gefängnis gebracht – zum Schweigen bringen lässt sich der Nationalist und im Westen verurteilte Kriegsverbrecher davon aber nicht. Erst kürzlich erklärte Girkin auf seinem Telegram-Kanal mit knapp 700.000 Abonnenten, warum er ein besserer Präsident als Putin wäre. Jetzt hat Girkins Anwalt eine neue Botschaft von ihm veröffentlicht – und die hat es in sich.
Zunächst spricht Girkin von "offensichtlichen Unruhen" in Russland, die mit dem Aufstand der Wagner-Söldner Ende Juni ihren Anfang genommen hätten. Die "militärische Spezialoperation" in der Ukraine mache es aber unmöglich, den "seit mehr als zwei Jahrzehnten bestehenden bürokratisch-oligarchischen Konsens zu stabilisieren", so der rechtsgerichtete Geheimdienstler. Mit dem Ausdruck bezieht sich Girkin offenbar auf Putins Herrschaftssystem, das sich auf Geheimdienstapparate, das Militär und reiche Wirtschaftsbosse stützt.
Girkin befahl Abschuss von Flug MH17
"Das bedeutet, dass die Unruhen früher oder später ihr Endstadium erreichen werden. Ein unkontrollierter Zusammenbruch des gesamten Systems der öffentlichen Verwaltung ist möglich", schreibt Girkin, der sich selbst den Kampfnamen "Strelkow" (Schütze) verliehen hat. "Gleichzeitig fehlt im politischen Bereich derzeit eine positive patriotische Kraft, die in der Lage wäre, die Entwicklung der Situation zumindest zu beeinflussen."
Girkin ist in Russland kein Unbekannter. Der 52-Jährige gilt als eine der wichtigsten Stimmen der nationalistischen Rechten im Land. 2014 beteiligte sich Girkin am russischen Einmarsch im Osten der Ukraine und schwang sich dort zum "Verteidigungsminister" der sogenannten Volksrepublik Luhansk auf. In dieser Funktion ordnete Girkin den Abschuss von Flug MH17 an, bei dem 298 Menschen getötet wurden, die meisten von ihnen Niederländer. Ein niederländisches Gericht verurteilte ihn deswegen voriges Jahr in Abwesenheit zu lebenslanger Haft. Eine Auslieferung Girkins durch Russland ist allerdings nicht zu erwarten.
Demokratie ist Girkins Horrorvorstellung
In Russland sitzt Girkin derweil aus anderen Gründen im berüchtigten Moskauer Untersuchungsgefängnis Lefortowo ein. Dorthin wurde er Ende Juli mutmaßlich im Zusammenhang mit der Meuterei der Wagner-Söldner einen Monat zuvor gebracht. Girkin gilt zwar nicht als Verbündeter des inzwischen gestorbenen Söldner-Führers Jewgeni Prigoschin, hatte die Kriegsführung des Kremls aber ebenfalls immer wieder scharf kritisiert. Jetzt warnt Girkin, dass "das derzeitige Machtsystem seine Kontrollhebel verlieren wird" – und die "liberale Opposition" die einzige Alternative zu Putin sei.
Eine demokratische Entwicklung in Russland ist für Girkin eine Horrorvorstellung. Daher hält er es für seine Pflicht, "alle Anstrengungen zu unternehmen, um zumindest die Grundlage für die Vereinigung der 'nicht kranken' patriotischen Kräfte als 'dritte Kraft' zu schaffen", schreibt Girkin weiter. "Allerdings muss sich zuerst jemand erheben, und sei es nur, um ein Beispiel zu geben und andere zum Handeln aufzurufen." Sich selbst sieht Girkin allerdings nicht in der Position, den Aufstand gegen Putin anzuführen, da er weder die Ressourcen noch die Autorität dafür habe.
"Einer muss der Erste sein!"
"Ich hoffe, dass mein Beispiel andere Menschen und andere Kräfte unter denen motivieren wird, die es jetzt nicht wagen, als Führer der nationalpatriotischen Bewegung aufzutreten", so Girkin. "Mein Standpunkt ist, dass es zu spät ist, Angst zu haben und zu warten – wir stehen am Vorabend des Zusammenbruchs der russischen Staatlichkeit. Einer muss der Erste sein!"
Der Kreml hat bislang nicht auf Girkins unverhohlenen Aufruf zum Putsch gegen Putin reagiert. Unklar ist, warum sich Girkin bislang überhaupt so offene Kritik am Kremlherrscher leisten konnte. Erst kürzlich hatte er Putin ganz offen verspottet. Denkbar ist, dass Girkin den Schutz bestimmter Kreise in den russischen Geheimdiensten genießt. Genau wie Putin hat auch Girkin den Inlandsgeheimdienst FSB durchlaufen. 2013 soll er zum berüchtigten Militärgeheimdienst GRU gewechselt sein, der für Anschläge auf Kremlkritiker im Ausland verantwortlich gemacht wird.
- Telegramkanal @strelkovii: Eintrag vom 18. September (russisch)