"Lang, blutig und langsam" Bericht: USA drängen Ukraine zu Strategiewechsel
Die Ukraine bleibt mit ihrer Offensive hinter den Erwartungen zurück. Im Hintergrund wird deshalb offenbar über einen Strategiewechsel diskutiert.
Die Offensive der Ukraine läuft – allerdings längst nicht so, wie sich das das Land selbst und auch seine westlichen Partner vorgestellt haben. Im Hintergrund sollen jetzt die USA den Druck auf die Regierung in Kiew erhöht haben: Die "New York Times" berichtet, dass mehrere Beamte aus den USA und anderen westlichen Staaten der Meinung seien, dass die Ukraine ihre Truppen zurzeit falsch aufstellt.
Konkret lautet der Vorwurf, dass die ukrainischen Streitkräfte zu gleichmäßig im Süden und Osten des Landes verteilt seien. Das Hauptziel der Offensive sei es allerdings, die Versorgung der besetzten Halbinsel Krim vom russischen Festland abzuschneiden. Aus diesem Grund müsse die Ukraine mehr Truppen Richtung Süden verlegen.
Strategisch entscheidend sind dem Bericht zufolge vor allem die Befreiung der Städte Melitopol und Berdjansk. Amerikanische Geheimdienst- und Militärbeamte seien daher verwundert, dass die Ukraine weiter viel Kraft in das Befreien der Stadt Bachmut investiere, die strategisch von geringerer Bedeutung sei.
"Herbst und Frühling sind nicht optimal"
Angeblich soll die Ukraine bereits am Umdenken sein: Am 10. August sollen hochrangige Vertreter des britischen und amerikanischen Militärs dem ukrainischen Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj empfohlen haben, sich auf eine Hauptfront zu konzentrieren. Saluschnyj soll dem zugestimmt haben.
Zurzeit macht die Ukraine im Süden zudem einige Fortschritte: Nach eigenen Angaben verzeichneten die Truppen zuletzt Geländegewinne in der Nähe des Ortes Robotyne. Dort verläuft die Straße nach Tokmak, ein von Russland besetzter Verkehrsknotenpunkt: Laut "New York Times" befindet sich dort auch die zweite große russische Verteidigungslinie im Süden. Diese müsse die Ukraine durchbrechen, um das übergeordnete Ziel der Offensive zu erreichen: einen Durchbruch bis zum Asowschen Meer, sodass über den ukrainischen Landweg die Krim für russische Truppen nicht mehr erreichbar ist.
Zeit wird knapp
Allerdings gibt es Gegenmeinungen: Die US-Denkfabrik "Institute for the Study of War" (ISW) warnte in ihrem Briefing vom Montag davor, die ukrainischen Truppen im Süden zusammenzuziehen. Die Verteidigung im Osten sei nach wie vor wichtig, um die russischen Truppen dort zu binden. Eine Konzentrierung auf eine einzige Achse sei daher "problematisch". Zudem sei die zweite Verteidigungslinie der Russen im Süden mutmaßlich schwächer als die erste, die die Ukraine bereits durchbrochen hat.
Bei der Erfüllung ihrer Ziele droht der Ukraine allerdings die Zeit davonzulaufen: Den USA zufolge sollen den Streitkräften noch rund vier bis sechs Wochen Zeit bleiben, ehe die Regenzeit im Herbst die Gegenoffensive zu einer Pause zwingen könnte. "Herbst und Frühling sind nicht optimal für Operationen mit kombinierten Waffen", sagte am Sonntag der Chef des US-Generalstabs, Mark Milley, vor Reportern.
Sullivan: Kein Patt zwischen Russland und der Ukraine
Die US-Regierung hatte zuletzt jedoch eingeschränkt, dass sie momentan noch keine Pattsituation zwischen Russland und der Ukraine sehe. "Wir waren uns die ganze Zeit darüber im Klaren, dass dieses Schlachtfeld in Bewegung ist", sagte der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan am Dienstag. "Wir sehen, dass sie (die Ukraine) weiterhin methodisch und systematisch Territorium einnimmt."
Im Hintergrund gehen einige US-Beamte laut "New York Times" davon aus, dass die ukrainischen Truppen bis zum Winter rund die Hälfte des Weges bis zum Asowschen Meer zurückgelegt haben könnten. Wetterbedingt dürften dann die Kampfhandlungen noch weiter zurückgehen. General Mark Milley formulierte es am Sonntag auf einem Flug nach Rom so: Gegenoffensiven seien "lang, blutig und langsam".
- nytimes.com: "Ukraine’s Forces and Firepower Are Misallocated, U.S. Officials Say" (englisch, kostenpflichtig)
- Nachrichtenagentur Reuters
- understandingwar.org: "Russian Offensive Campaign Assessment, August 22, 2023" (englisch)