Botschaft an Kritiker Putin verlässt Moskau: Ziel der Reise lässt aufhorchen
Der russische Alleinherrscher zeigt sich in der Öffentlichkeit. In einer Stadt von besonderer Bedeutung trifft er sich mit Militärs. Dahinter steckt ein Kalkül.
Wenn sich Wladimir Putin in der Öffentlichkeit zeigt, dann hat das etwas zu bedeuten. Viel ist in jüngster Zeit geschrieben worden zu dem symbolischen Gehalt seiner Termine. Noch stärker als bei anderen Politikern verbindet der russische Diktator mit seiner bloßen Präsenz bestimmte Botschaften.
Nun war es wieder so weit. Putin verließ sein Büro im Kreml, wo er von dicken Mauern und einer enormen Leibgarde geschützt ist, um am Samstag nach Rostow am Don zu fahren und sich dort mit ranghohen Militärs zu treffen. Allein das Ziel der Reise ließ Beobachter aufhorchen, denn normalerweise zeigt sich Putin selten an Orten, die direkt mit dem Ukraine-Krieg in Verbindung stehen. Rostow am Don beherbergt das Hauptquartier der russischen Streitkräfte für den Ukraine-Krieg. Hier sammelten sich Ende Juni die Söldner des Oligarchen Jewgenij Prigoschin zum Putschversuch. Der Symbolgehalt der Stadt ist also nicht allzu schwer zu erfassen.
Unter anderem traf Putin bei seinem Besuch dort auch den Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte, Waleri Gerassimow. Dass Gerassimow immer noch im Amt ist, wundert in Russland viele. Der General wird von russischen Experten für einige schwere Versäumnisse im Krieg gegen die Ukraine verantwortlich gemacht, dennoch hält er sich ebenso an der Spitze des Regimes wie Verteidigungsminister Sergej Schoigu.
Der Versuch, ein bestimmtes Bild von sich zu zeichnen
Beide Militärs zählen zu Putins Vertrauten. Beide sind dem russischen Alleinherrscher treu ergeben. Und Treue wird vom ehemaligen KGB-Agenten Putin belohnt. Sie gilt als eine seiner härtesten Währungen.
Mit dem Besuch in Rostow am Don, wie immer sorgfältig bebildert von den Fotografen des Kreml, sendet Russlands autoritärer Herrscher nun vor allem ein Signal an die Öffentlichkeit im eigenen Land. Zu diesem Schluss kommen US-Militärexperten. Demnach handelt es sich um ein "öffentliches Bekenntnis, um zu zeigen, dass er [Putin] nach wie vor fest an der Seite von Gerassimow und seinen Kommandanten steht", schreibt die US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) in ihrem aktuellen Lagebericht.
Obwohl eben jene Kommandanten nicht in der Lage gewesen waren, die Wagner-Meuterei aufzuhalten, in deren Zuge mehrere russische Soldaten fielen und russisches Militärgerät zerstört worden war. Mit dem Auftritt in Rostow am Don versucht Putin "sehr wahrscheinlich, sich selbst als denjenigen zu zeichnen, der die volle Kontrolle über sein Regime und das Militär hat."
Putin hat ein Faible für öffentliche Gesten. So demütigte er seinen Vizeregierungschef Anfang des Jahres vor laufender Kamera und schon im vergangenen Frühjahr putzte er seinen Spionagechef bei einer live im Fernsehen übertragenen Kabinettssitzung herunter. Es sind kalkulierte Gesten der Macht. Der Auftritt in Rostow am Don, bei dem Putin die Geschlossenheit der Führung in den Mittelpunkt stellte, war aber vor allem auch ein Zeichen an einen der schärfsten internen Kritiker: Jewgenij Prigoschin.
Wagner beschimpft die Konkurrenz als "zweitklassig"
Da der Wagner-Gründer seit dem Aufstand Ende Juni kaum noch in Erscheinung getreten ist, ist die weitere Verwendung seiner Söldner ungewiss. Seit Wochen soll die russische Militärführung versuchen, Wagner-Kommandanten mit ihren Einheiten in die reguläre russische Armee zu integrieren. Doch die halten davon offenbar nicht viel.
Inzwischen soll das russische Verteidigungsministerium sogar eine eigene Söldnertruppe gegründet haben, das sogenannte russische Expeditionskorps (Russian Expeditionary Corps), um den Wagner-Kämpfern den Eintritt in die Armee schmackhaft zu machen. Allerdings betrachten die Wagner-Soldaten die Konkurrenz als "zweitklassig", wie das ISW berichtet. Ebenso wie ihr früherer Anführer Prigoschin halten viele Wagner-Kommandeure die russische Militärführung als unfähig.
Putins Besuch in Rostow am Don soll daher wohl auch demonstrieren, dass der Kreml-Herrscher sich in der Frage seiner Generäle unbeeindruckt gibt. Er stellt sich (zumindest öffentlich) hinter die Militärführung. Und damit einmal mehr gegen seine schärfsten Kritiker, auch gegen Prigoschin.
- understandingwar.org: "Russian Offensive Campaign Assessment, August 19, 2023" (englisch)
- zdf.de: "Machtkampf Prigoschin mit Putin:Wie wichtig Rostow für Russlands Krieg ist"
- rnd.de: "Putin demütigt Vizeregierungschef Manturow vor laufender Kamera"
- spiegel.de: Wladimir Putin kanzelt Geheimdienstchef ab. "Das diskutieren wir hier nicht""