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Putins Soldaten im Ukraine-Krieg: Arm, vorbestraft und immer älter


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Russische Krieger in der Ukraine
Arm, vorbestraft und immer älter


Aktualisiert am 17.08.2023Lesedauer: 4 Min.
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Russischer Soldat in der Region Donezk: Das russische Militär sucht weiter nach Personal. (Quelle: Tsitsagi Nikita/imago-images-bilder)

Wer kämpft für Russland in der Ukraine? Viele Daten sind lückenhaft – allerdings lassen sich einige Tendenzen erkennen.

Wer sehen will, wo der Angriffskrieg für viele Russen in der Ukraine endet, bekommt im Ort Bakinskaja einen guten Eindruck. Das kleine Dorf, rund eine Autostunde südlich der russischen Stadt Krasnodar, würde in normalen Zeiten niemandem wirklich auffallen. Doch seit Beginn des russischen Angriffskriegs hat der Ort eine neue Funktion.

Hier reihen sich frische Gräber aneinander. Das zeigen Recherchen verschiedener Medien, unter anderem von der Nachrichtenagentur Reuters und dem "Spiegel".

Die Gräber sind alle mit gelb-rot-schwarzen Blumengestecken versehen – die Farben der Söldnertruppe Wagner, die gemeinsam mit der russischen Armee in die Ukraine einmarschiert ist. Fast schon makaber: Die Gräber liegen nur unweit vom Ort Molkino, wo Wagner seine Truppen für den Krieg noch bis vor wenigen Wochen ausgebildet hat. Für viele der Toten endet der Krieg damit in etwa da, wo er begonnen hat.

Hälfte der Armee nach sechs Monaten kampfunfähig?

Bakinskaja ist damit ein Symbol für das, was Russland seit dem 24. Februar 2022 erlebt und zugleich nur ein Schlaglicht auf die hohen Verluste, die das Land in dem Krieg verzeichnet. Offizielle Zahlen sind aus dem Kreml kaum zu hören – und wenn, dann sind die Angaben wohl weit von der Realität entfernt:

5.937 Personen seien bisher gefallen, sagte Verteidigungsminister Sergej Schoigu im September 2022. Die ukrainische Onlinezeitung "Ukrajinska Prawda" geht in ihrer laufenden Statistik mittlerweile von dem Verlust von fast 255.000 russischen Soldaten aus. Doch was ist darüber hinaus über die Kämpfer von Putins Armee bekannt?

Zu Beginn der Invasion schätzte der russische Militärexperte Pawel Luzin im Gespräch mit dem unabhängigen russischen Nachrichtenmedium "iStories" die Stärke der russischen Armee folgendermaßen ein: Maximal besitze das Militär 280.000 Bodentruppen, 45.000 Mann bei der Luftwaffe und 35.000 Soldaten in der Marine.

Zusammengerechnet wären das 360.000 Soldaten. Luzin schränkte allerdings ein, dass davon wohl nur grob die Hälfte einsatzbereit seien. Er nannte Zahlen zwischen 134.000 und 168.000.

Im August 2022 hatte der britische Verteidigungsminister Ben Wallace davon gesprochen, dass rund 80.000 russische Soldaten kampfunfähig seien – also verletzt, gefallen oder desertiert. Ausgehend von Luzins Schätzungen hätte die Armee somit rund die Hälfte ihrer Soldaten in den ersten sechs Monaten des Krieges verloren.

Rekrutierung aus armen Regionen

Im September hatte der Kreml dann eine Mobilmachung verkündet: Offiziell sollten damit laut dem russischen Verteidigungsministerium rund 300.000 neue Soldaten rekrutiert werden, bereits Ende Oktober hieß es aus Moskau, die Mobilmachung sei beendet. Das unabhängige russische Medienportal "Meduza" schrieb dagegen, dass man bis zu 1,2 Millionen Mann suche.

Eine gemeinsame Recherche von "iStories" und der unabhängigen russischen Investigativplattform "Conflict Intelligence Team" gibt dabei einen groben Einblick, aus welchen Regionen viele der neuen Rekruten stammten: Anhand von öffentlichen Daten könne man vermuten, dass ein Großteil aus Regionen komme, in denen das monatliche Einkommen unter dem russischen Durchschnitt liegt.

Der größte Anteil stammt demnach aus der sibirischen Region Krasnojarsk, gefolgt von Sewastopol auf der Krim, Burjatien, Dagestan oder Kalmückien. Die großen Ballungszentren Moskau oder St. Petersburg spielten hingegen nur eine untergeordnete Rolle.

Die Datenlage der Erhebung ist allerdings löchrig. In vielen Regionen Russlands konnten keine öffentlichen Daten oder Angaben von Behördenvertretern zu der Mobilmachung gefunden werden. Anonyme russische Regierungsquellen teilten dem Portal "Meduza" jedoch mit, dass man vor allem Soldaten in ländlichen Gebieten suche, in denen es wenig Kontakt zu freien Medien oder oppositionellen Kräften gebe und die Unterstützung des Krieges hoch sei. Allerdings wolle man auch einen kleinen Teil der Soldaten in Moskau (16.000) und St. Petersburg finden (3.200).

Gefängnisse als neue Quelle für Soldaten

Was derweil Fakt ist: Mit dem Kriegsverlauf änderte sich auch die Zusammensetzung der russischen Armee. Die britische BBC berichtete, dass der durchschnittliche russische Soldat in der Frühphase mit 21 Jahren ums Leben gekommen sei und einen niedrigen Rang besessen habe, dafür allerdings professionell ausgebildet worden sei.

Mittlerweile stirbt der russische Soldat laut BBC im Schnitt im Alter von 34 Jahren und wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem Gefängnis rekrutiert. Erst im Juli hatte der russische Präsident Wladimir Putin eine Erhöhung des Reservistenalters um fünf Jahre abgesegnet.

Ex-Sträflinge waren zunächst vor allem in der privaten Söldnerarmee Wagner präsent: Deren Chef Jewgeni Prigoschin erhielt nach Beginn der russischen Invasion die Möglichkeit, direkt aus russischen Straflagern neue Soldaten anzuwerben. Ihnen wurde eine Begnadigung in Aussicht gestellt, falls sie sechs Monate in der Ukraine überleben sollten.

Prigoschin sprach davon, dass er den Männern bei Wagner eine zweite Chance gebe. "Ich hole euch lebendig raus, aber ich bringe nicht alle lebendig zurück", soll er in einem Telegram-Video den Sträflingen gesagt haben.

"Erfahrenste Armee, die es heute auf der Welt gibt"

Einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge sank laut offiziellen Statistiken die Zahl der Inhaftierten in russischen Strafkolonien zwischen dem vergangenen August und November um acht Prozent – der größte Rückgang seit mehr als einem Jahrzehnt. Dem Bericht nach geht der US-Geheimdienst davon aus, dass Wagner rund 40.000 Sträflinge für seinen Kampf gegen die Ukraine auf diese Weise gewinnen konnte.

Mit den größtenteils besser ausgebildeten Einheiten, die sich hauptsächlich aus Ex-Soldaten der russischen Armee zusammensetzen, hatte die Wagner-Truppe in der Ukraine also nicht mehr viel gemeinsam. Der Chef der Söldner behauptete trotzdem, es sei "wahrscheinlich die erfahrenste Armee, die es heute auf der Welt gibt".

Ende Januar hat Reuters 39 von denen identifiziert, die mittlerweile in Bakinskaja begraben sind: Darunter waren unter anderem verurteilte Mörder, Drogendealer oder Menschen, die zu Lebzeiten mit Finanz- oder Alkoholproblemen zu kämpfen hatten.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters
  • economist.com: "Where are Russia’s newest soldiers coming from?" (englisch)
  • meduza.io: "Russia to conscript 1.2 million people" (englisch)
  • meduzia.io: "По независимым подсчетам, в России мобилизовали 213 тысяч человек. Но это данные только из двух третей регионов — то есть, видимо, еще больше" (russisch)
  • zeit.de: "Wie Russlands Militär um Soldaten wirbt"
  • istories.media: "What’s left of the Russian army after seven months at war" (englisch)
  • kyivindependent.com: "British Defense Minister: Combined Russian casualties at 80,000 troops in war against Ukraine" (englisch)
  • bbc.com: ""ЧВК Вагнера" начала широкий набор наемников на войну с Украиной. Берут всех" (russisch)
  • nzz.ch: ""Ich hole euch lebendig raus, aber ich bringe nicht alle lebendig zurück": Der Chef der Kampfgruppe Wagner spielt Schicksalsgott für russische Gefangene"
  • spiegel.de: "Wer ist Jewgeni Prigoschin" (kostenpflichtig)
  • thetimes.co.uk: "Russian deaths in Ukraine: average age of soldiers rising, research shows" (englisch)
  • reuters.com: "A Russian graveyard reveals Wagner’s prisoner army" (englisch)
  • tageschau.de: "Das Tabu"
  • themoscowtimes.com: "Wagner Announces Closure of Russian Base" (englisch)
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