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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Besondere Waffen Macron gibt der Ukraine, was Scholz ihr nicht geben will
Deutschland liefert der Ukraine weitere Panzer. Frankreichs Präsident Macron geht noch weiter: Er gibt Kiews Truppen, was die am dringendsten brauchen.
Florian Harms berichtet aus Vilnius.
Der Nato-Gipfel in Vilnius kann schon jetzt als historisch gelten: Nach Finnland wird auch Schweden als Vollmitglied aufgenommen, der türkische Autokrat Erdoğan hat seinen Widerstand aufgegeben. Die Länder der Militärallianz schließen die Reihen gegen den Aggressor im Kreml noch enger und unterstützen die angegriffene Ukraine mit weiteren milliardenschweren Waffenpaketen.
Auch Deutschland stockt seine Waffenhilfe auf. Seit Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 hat die Bundesregierung Rüstungslieferungen in Höhe von knapp vier Milliarden Euro genehmigt. Hinzu kommen nicht genehmigungspflichtige Güter, etwa Ausrüstung und Sanitätsmaterial. Damit liegt Deutschland unter den Waffenlieferanten der Ukraine schon jetzt auf Platz zwei hinter den USA.
Kurz vor Beginn des Nato-Gipfels hat Verteidigungsminister Boris Pistorius nun ein weiteres Waffenpaket in Höhe von knapp 700 Millionen Euro angekündigt: Die Ukrainer bekommen 70 weitere Panzer, zwei Startgeräte für Patriot-Flugabwehrraketen, Munition und Aufklärungsdrohnen (hier mehr dazu).
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In Berlin dominieren die Bedenken
Der dringendste Wunsch der Ukrainer ist in dem Paket jedoch nicht enthalten: Die Bundesregierung lehnt weiterhin die Lieferung von Marschflugkörpern des Typs "Taurus" ab. Kiew braucht die Raketen mit einer Reichweite von 500 Kilometern nach eigener Aussage dringend, um russische Stellungen hinter den massiven Verteidigungsanlagen im Süden der Ukraine treffen zu können: Munitionsdepots, Kommandozentralen, Feldlager, Flughäfen, Bahnlinien, Brücken. Nur wenn es den ukrainischen Soldaten gelingt, die Russen dort empfindlich zu treffen, haben sie eine Chance, auch die Verteidigungsringe zu knacken, so die Einschätzung.
Berlin fürchtet jedoch, die Ukrainer könnten mit den Langstreckenwaffen auch russisches Staatsgebiet attackieren. Außerdem wird im Berliner Regierungsviertel kolportiert, in der Bundesregierung sehe man den ukrainischen Wunsch nach einer Rückeroberung der Krim gelinde gesagt kritisch: Eine schmachvolle Niederlage der russischen Soldaten auf der prestigeträchtigen Halbinsel könnte Putin womöglich zu einer weiteren Eskalation provozieren.
In Paris ist man offenkundig schon weiter und hegt weniger Bedenken: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat der Ukraine auf dem Nato-Gipfel zugesichert, neben anderen Waffen auch Marschflugkörper des französisch-britischen Typs Scalp/Storm Shadow zu liefern. Deren Reichweite beträgt sogar rund 560 Kilometer. Auch Großbritannien hat der Ukraine bereits einige dieser "Cruise Missiles" zur Verfügung gestellt. "Wir haben entschieden, neue Raketen zu liefern, die der Ukraine Schläge in der Tiefe erlauben", sagte Macron in Vilnius.
Kreml droht mit "Gegenmaßnahmen"
Auf der anderen Seite der Front wird diese Botschaft sehr wohl verstanden: Kremlsprecher Dmitri Peskow nannte Macrons Ankündigung prompt eine "Fehlentscheidung", die schädliche Folgen für die Ukraine haben werde: "Denn das zwingt uns natürlich zu Gegenmaßnahmen."
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang eine neue Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur. Demnach ist die deutsche Bevölkerung in der Frage der deutschen Waffenlieferungen gespalten: 38 Prozent gehen die bisherigen Lieferungen an die Ukraine zu weit. 32 Prozent finden den Umfang der militärischen Unterstützung genau richtig. 18 Prozent sind der Auffassung, es hätten noch mehr Waffen in die Ukraine geliefert werden sollen.
Auch im Westen hat der Ukraine-Konflikt eine rasante Dynamik ausgelöst: Waren es zu Beginn des russischen Angriffskriegs noch Helme, die Deutschland den Bedrängten spendieren wollte, schickt man nun immer schwerere, immer weitreichendere Waffen ins Kriegsgebiet. Diese Dynamik kann man auch dann riskant finden, wenn man mit der Ukraine bangt.
- Recherche vor Ort
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa