Wagner-Söldnern droht Einkesselung Ist das die Wende in Bachmut?
Seit Monaten ist die Stadt Bachmut in Donezk heftig umkämpft. Nun konnte die Ukraine wohl einige russische Linien durchbrechen. Beginnt hier die Gegenoffensive?
Die Front verläuft durch die Stadt Bachmut in der Ostukraine, hier liegen sich die russischen und die ukrainischen Kämpfer in ihren Stellungen gegenüber. Seit Monaten ist die Stadt in der Region Donezk der Schwerpunkt der Kampfhandlungen. Den russischen Truppen ist es zwar bislang nicht gelungen, Bachmut einzunehmen – doch streckenweise spitzte sich die Lage für die Ukraine zu. Nun aber könnte sich das Blatt wenden: Die russischen Truppen geraten in Teilen von Bachmut wohl immer stärker in Bedrängnis.
Bei Angriffen in der Nähe von Bachmut durchbrachen die ukrainischen Streitkräfte wahrscheinlich einige russische Linien, schreibt etwa der US-amerikanische Thinktank "Institute for the Study of War". Der ukrainische Heereskommandeur, Oleksandr Syrskyi, erklärte, dass sich die russischen Streitkräfte in nicht näher bezeichneten Abschnitten der Front in Bachmut bis zu zwei Kilometer hinter die russischen Linien zurückgezogen hätten.
Die lokalen Durchbrüche konzentrieren sich offenbar auf Abschnitte südwestlich von Bachmut. Die südliche Flanke sichern auf russischer Seite die 72. Motorisierte Schützenbrigade der russischen Armee und Söldner der berüchtigten Wagner-Gruppe von Jewgeni Prigoschin ab. "An der Schnittstelle der beiden Einheiten konnte die Ukraine mit leichten Kräften vorrücken und hat anschließend schweres Gerät nachgezogen", sagte Markus Reisner, Kommandant der Garde des österreichischen Bundesheeres, dem "Tagesspiegel".
Offenbar Alarmstufe bei russischen Truppen
Deshalb hätten sich die Wagner-Kämpfer zurückfallen lassen müssen. "Das Problem aus russischer Sicht war, dass die 72. nicht zur Unterstützung geeilt ist, sondern sich ebenfalls in Tiefe hat fallen lassen. Und so kam es zum lokal begrenzten Geländegewinn der Ukraine", so Reisner.
Bei den in Bachmut kämpfenden russischen Truppen herrsche nun höchste Alarmstufe, so zumindest die Darstellung des prominenten Kriegskorrespondenten des russischen Staatsfernsehens, Jewgeni Poddubny. Er sprach am Donnerstag auf Telegram sogar davon, dass der Söldnertruppe Wagner in der Stadt eine umfassende Einkesselung drohe. Deren Chef Prigoschin hatte zuvor mehrfach vor einem drohenden Kessel aufgrund ungesicherter Flanken gewarnt.
Poddubny berichtete auch von ukrainischen Durchbrüchen bei Kämpfen in der Umgebung von Soledar, das nur wenige Kilometer nordöstlich von Bachmut liegt. Dort sei es ukrainischen Kampfgruppen gelungen, die russischen Linien zu durchbrechen. "Die Lage ist schwierig", schrieb Poddubny. Die russischen Streitkräfte hatten Soledar erst Ende Januar nach wochenlangen schweren Kämpfen eingenommen.
Ukraine: Intensität der Kämpfe hat zugenommen
Der ukrainische Armeesprecher Serhij Tscherewatyj berichtete am Donnerstagabend von verzweifelten Versuchen der russischen Einheiten, das weitere Vordringen der Ukrainer mit massiven Artillerieschlägen und Luftangriffen aufzuhalten. Die Intensität der Kämpfe habe zugenommen, sagte Tscherewatyj nach Angaben der Agentur Unian. Allein am Donnerstag seien 165 russische Soldaten getötet und weitere 216 verwundet worden, behauptete er. Seine Angaben konnten ebenso wenig überprüft werden wie die der Gegenseite.
Das russische Verteidigungsministerium hat Berichte über einen Durchbruch zurückgewiesen: "Die einzelnen Erklärungen auf Telegram über einen 'Durchbruch' an mehreren Stellen der Frontlinie entsprechen nicht der Realität", erklärte das Verteidigungsministerium in Moskau am Donnerstagabend. Das Ministerium in Moskau erklärte in seiner täglichen Mitteilung, mehrere Angriffe und ukrainische Aufklärungsmissionen an der Front seien zurückgedrängt worden.
Experte: "Das ist nicht die erwartete Gegenoffensive"
Handelt es sich hierbei um den Beginn der seit Längerem angekündigten ukrainischen Gegenoffensive? Experten zeigen sich skeptisch – sie sprechen bislang von lokal begrenzten Gegenangriffen. "Die Ukraine setzt kleinere Gegenstöße bei Bachmut und jetzt auch bei Soledar fort und kann zumindest teilweise Rückgewinne von Gebiet konsolidieren", so etwa der Sicherheitsexperte Nico Lange. "Das ist nicht die erwartete Gegenoffensive, sondern das Nutzen von Gelegenheiten für lokale Gegenstöße entlang der Frontlinie", schreibt der Politikwissenschaftler auf Twitter.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte unterdessen, bis zur erwarteten Gegenoffensive seines Landes gegen die russischen Truppen werde es noch etwas dauern. "Mit dem (was wir haben) können wir weitermachen und erfolgreich sein. Aber wir würden viele Leute verlieren", sagte Selenskyj dem britischen Sender BBC. Dies sei jedoch "inakzeptabel". "Also müssen wir warten. Wir brauchen noch etwas mehr Zeit."
- understandingwar.org: "Russian offensive campaign assessment, May 11, 2023"
- tagesspiegel.de: "Die 3 wichtigsten Fragen und Antworten zur Schlacht um die Donbass-Stadt"
- twitter.de: Profil von @nicolange_
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP