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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ramstein-Konferenz für Ukraine "Langsam kommen wir an die Schmerzgrenze"
Erneut tagen die Unterstützerländer der Ukraine in Ramstein. Die Offensive von Selenskyjs Truppen könnte jederzeit beginnen. Wie kann der Westen jetzt noch helfen?
Ein Waffensystem hat es Vitali Klitschko besonders angetan. "Trefferquote 100 Prozent" besitze das Luftabwehrsystem Iris-T SLM, das Deutschland an die Ukraine geliefert hat. Das System habe die Sicherheit in der ukrainischen Hauptstadt Kiew deutlich erhöht, sagte deren Bürgermeister kürzlich der "Süddeutschen Zeitung."
Nicht nur Klitschko, einst Profiboxer, dürfte sich daher gefreut haben, dass Deutschland dem Land in dieser Woche ein zweites solches System geliefert hat. Doch damit nicht genug: Auch ein zweites Patriot-Luftabwehrsystem sei mittlerweile eingetroffen, verkündete die Bundesregierung am Mittwoch. "Eine effektive Luftverteidigung ist die Lebensversicherung der Ukraine", betonte Oberstleutnant Markus König, der für die Ausbildung ukrainischer Soldaten an dem System verantwortlich war.
Eine effektive Luftabwehr wird die Ukraine auch nötig haben, wenn die Frühjahrsoffensive beginnt: In dem Land ist die Hoffnung groß, dass die ukrainischen Soldaten auf dem Schlachtfeld gegen Russland die Oberhand gewinnen können. Wann der Großangriff genau beginnt, weiß offiziell zwar niemand. Möglicherweise aber könnte die heute beginnende Konferenz der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe in Ramstein dazu dienen, sich in großen Rahmen noch mal abzustimmen. Was können die westlichen Partner jetzt noch tun, um die Offensive zu unterstützen?
"Dazu reicht die Zeit nicht"
"Es macht jetzt keinen Sinn, neue Waffensysteme zu liefern. Dazu reicht die Zeit nicht", sagte Rafael Loss vom European Council on Foreign Relations im Gespräch mit t-online. Ähnlich sieht es auch Burkhard Meißner vom German Institute for Defence and Strategic Studies: Grundsätzlich würde der Ukraine zwar jede Waffe helfen, allerdings sei das nicht alleine entscheidend, sondern, "dass alle Systeme auch in der richtigen Art zusammenwirken", sagte Meißner t-online.
Das scheint auch die Marschroute der Bundesregierung zu sein: "Was jetzt erforderlich ist, ist im Kern mehr vom selben", hatte auch Bundeskanzler Olaf Scholz zuletzt bei seinem Besuch in Portugal zu dem Thema gesagt.
Die Ukraine braucht aktuell vor allem mehr Artilleriemunition. Doch gerade dort seien auch die Reserven im Westen nicht sonderlich groß, sagt Rafael Loss. "Bei Munition kommen wir langsam an die Schmerzgrenzen, was geliefert werden kann." Das liege auch daran, dass man es in den vergangenen Monaten versäumt habe, die Kapazitäten der Industrie weiter auszubauen.
Neue Munition aus den USA
Gänzlich blank sind die westlichen Staaten allerdings noch nicht: Vor der Konferenz hatten die USA neue Waffenlieferungen im Wert von umgerechnet 297 Millionen Euro angekündigt. Hauptsächlich soll das Paket Artilleriegeschosse und Munition für den Mehrfachraketenwerfer Himars enthalten.
Gleichzeitig wollen sich die Niederlande und Dänemark an zwei Munitionsinitiativen mit jeweils 130 Millionen Euro beteiligen. Eine geht dabei von Deutschland aus, eine von der gesamten EU. Eine Million weitere Geschosse wolle man für die Ukraine besorgen, hatte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell Ende März angekündigt. Allerdings könne man die Munition erst im Verlauf der kommenden zwölf Monate auftreiben. Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow klagte, sein Land benötige die entsprechende Menge umgehend.
Munitionsmangel herrscht auch beim deutschen Flugabwehrpanzer Gepard: Zuletzt hatte Bundeskanzler Olaf Scholz sich um Nachschub aus der Schweiz bemüht. Allerdings bleibt die dortige Regierung hart. Die Schweizer Neutralität verbiete es, eine Seite in dem Krieg militärisch zu unterstützen, betonte Präsident Alain Berset bei einem Besuch in Berlin.
Hoffnung auf F-16
Bleibt die Lieferung neuer Waffensysteme also bei der Konferenz gänzlich aus? Auch wenn sie kurzfristig wohl weniger helfen, sollte die mittel- und langfristige Perspektive beachtet werden: Das ukrainische Verteidigungsministerium pocht schon länger auf die Lieferung von weiteren Kampfjets. Aus den westlichen Unterstützerstaaten haben bisher lediglich Polen und die Slowakei MiG-29-Jets aus Sowjetzeiten geliefert.
In der vergangenen Woche lieferte Polen fünf weitere Jets aus ehemaligen DDR-Beständen. Die Bundesregierung hatte zuvor die Erlaubnis für den Deal erteilt. Anfang dieser Woche erhöhte dann die Slowakei seine Lieferung auf insgesamt 13 Kampfflugzeuge, wodurch das Land alle ihm verfügbaren Jets abgegeben hat. Von den Nato-Staaten besitzt nur noch Bulgarien Jets dieses Typs. Allerdings brauche man die Flugzeuge, um den eigenen Luftraum zu sichern, hieß es aus der Regierung.
Deshalb rücken Jets aus westlicher Produktion immer mehr in den Fokus, vor allem die amerikanische F-16. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hatte sich bis zuletzt skeptisch gezeigt, die Kampfflugzeuge abzugeben. Allerdings besitzen zahlreiche andere Nato-Staaten den Kampfjet, etwa Polen, Griechenland, die Türkei oder die Niederlande.
Die Bundeswehr hat den Jet nicht in ihren Beständen. Und Olaf Scholz hatte eine deutsche Lieferung von Kampfjets bereits ausgeschlossen.
"Umstieg deutlich komplizierter"
"Es wird wohl keine Entscheidung zu den F-16 getroffen werden", meint Rafael Loss. Die ukrainischen Piloten sind mit dem Flugzeug nicht vertraut und bräuchte wie bei anderen westlichen Systemen zunächst eine längere Ausbildung. Zudem sei eine Umschulung alles andere als einfach: "Der Umstieg für die Piloten ist deutlich komplizierter als vom T-72-Panzer auf den Leopard."
Trotzdem sei eine zeitnahe Entscheidung bei dem Kampfflugzeug sinnvoll, betont der Militärexperte. Denn mittel- und langfristig werde die Ukraine ihre Luftwaffe wohl auf westliche Systeme umrüsten müssen. Denn wie viele Kampfjets aus sowjetischer Produktion nach der Offensive noch übrig sein werden, wisse aktuell niemand.
- Interview mit Rafael Loss und Burkhard Meißner
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- sz.de: "Trefferquote 100 Prozent"