Geheimpapiere in russischer Hand Was der US-Leak für Putins Krieg bedeutet
Es ist das brisanteste Leak des Ukraine-Kriegs und nun in russischer Hand. Was steht in den US-Geheimdienstpapieren eigentlich drin – und helfen sie Moskau?
Schon seit Wochen kursieren in sozialen Netzwerken angeblich geheime Dokumente von US-Stellen zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine. In den Papieren soll es unter anderem um die Pläne der ukrainischen Gegenoffensive gehen. In den USA berichten Medien seit Tagen über das sensible Material, ohne die heiklen Dokumente selbst zu veröffentlichen.
Unklar ist weiter, wer den schon vor Wochen auf prorussischen Kanälen verbreiteten Datensatz veröffentlicht hat. Ein Teil der Unterlagen scheint echt zu sein, ein andere jedoch gefälscht: So konnte das Investigativ-Netzwerk Bellingcat nachweisen, dass einige Schriftstücke im Nachhinein manipuliert worden sind. Doch wie riskant ist der Leak für die ukrainischen Militärpläne? Helfen die Dokumente am Ende sogar Putin? Der Überblick.
Was genau steht in den Dokumenten?
US-Medienberichten zufolge geht es unter anderem um Informationen zu Waffenlieferungen an die Ukraine und Angaben zum ukrainischen Munitionsverbrauch. Auf manchen sind Landkarten mit Frontverläufen eingezeichnet, zudem die Standorte russischer und ukrainischer Truppenverbände und deren Mannschaftsstärken. Einige der als "geheim" gekennzeichneten Schriftstücke stammten vom Februar und März, wie das Nachrichtenportal "Politico" berichtet.
Informationen gab es demnach auch zu Plänen der Nato und der USA, wie das ukrainische Militär auf eine bevorstehende Frühlingsoffensive vorbereitet und bewaffnet werden soll. Details zu Anzahl und Art geplanter Waffenlieferungen sowie die voraussichtlichen Lieferdaten seien vermerkt, heißt es in US-Medien.
Informationen zu anderen Ländern, wie zum Beispiel China oder Israel, seien ebenfalls in den Dokumenten enthalten, berichtet die "Washington Post". Auch sei teilweise zu erkennen, mit welchen Methoden die US-Geheimdienste die Informationen gesammelt hätten und wer die Quellen seien. Die Unterlagen stammten offenbar von US-Geheimdiensten sowie vom Oberkommando der US-Streitkräfte, schreibt das "Wall Street Journal".
Wie echt ist das Leak?
Schwer zu sagen: Manche der Unterlagen gelten als authentisch, andere wurden offenbar manipuliert. Wie der Recherchechef des Investigativ-Netzwerks Bellingcat, Aric Toler, nachweisen konnte, machten die Dokumente wohl zuerst auf der beliebten Gaming-Plattform Discord die Runde, bevor sie von russischen Nutzern bei Telegram verbreitet wurden. Toler zufolge ist ein Teil der Dokumente echt, auch wenn einige andere offensichtlich im Nachgang manipuliert worden sind.
Der US-Sender CNN berichtet, Regierungsmitarbeiter hätten die Echtheit der Unterlagen bestätigt. Die US-Behörden scheinen die Sache sehr ernst zu nehmen. Sowohl das Pentagon als auch das Justizministerium untersuchten die Vorfälle. US-Präsident Joe Biden sei "besorgt" über die Menge der Dokumente, die an die Öffentlichkeit gelangt sei, so ein hochrangiger Regierungsmitarbeiter "Politico".
Wer steckt hinter dem Datenleck?
Unklar ist, wer die Dokumente veröffentlicht hat. Der Maulwurf wird jetzt fieberhaft gesucht. Die Ermittlungen richteten sich zunächst nach innen, berichtete CNN unter Berufung auf Regierungskreise. Im Internet sind Fotografien von Ausdrucken der geheimen Dokumente zu sehen. Hunderte, vielleicht Tausende Mitarbeiter und Außenstehende mit der entsprechenden Sicherheitsstufe hätten Zugang gehabt, sagte ein Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums der "Washington Post".
Solche Verstöße gehörten zu den schwersten Verbrechen, die es in Bezug auf die nationale Sicherheit der USA gebe, sagte eine ehemalige Anwältin der US-Luftwaffe der Zeitung.
Wie könnte sich der Leak auf den Krieg auswirken?
Die Dokumente könnten der Ukraine und den USA gleich in mehrfacher Hinsicht schaden. Zwar seien sie schon einige Wochen alt, dennoch könnten sie Moskau wertvolle Informationen liefern, sagte Dmitri Alperovitch, Vorstand der Denkfabrik Silverado Policy Accelerator, der "Washington Post".
Auch wenn sie keine konkreten Schlachtpläne enthielten, zeigten sie doch Art und Menge der westlichen Waffen, die auf den Schlachtfeldern der Ukraine angekommen seien, wie viele Soldaten sie bedienen könnten und wie sich die Ukraine gegen russische Angriffe verteidigen wolle, so Alperovitch. Laut dem US-Sender CNN hat das ukrainische Militär bereits einige seiner militärischen Pläne geändert. Aus dem ukrainischen Präsidentenbüro hieß es dazu, die Strategie habe sich nicht geändert, spezifische taktische Pläne stünden aber jederzeit unter Vorbehalt.
Außerdem machten die Dokumente deutlich, wie weitgehend Russlands Sicherheitsapparat von US-Geheimdiensten durchdrungen sei, schrieb die "New York Times". Das gebe Moskau Informationen darüber, wo seine Schwachstellen lägen. CNN berichtete, dass US-Informanten in den russischen Reihen nun in Gefahr sein könnten.
Wie reagierten die Ukraine und Russland auf die Veröffentlichung?
Die Ukraine behauptet seit Tagen, es handele sich um von Russland gefälschte Dokumente. "Es ist ein gewöhnliches Geheimdienstspiel", sagte der Berater des Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak. Die russischen Geheimdienste hätten die Dokumente selbst erstellt mit dem Ziel, unter den Verbündeten der Ukraine Zweifel und Zwietracht zu säen und von den nächsten Etappen im Krieg abzulenken.
Hinter den Kulissen aber herrscht tiefe Verärgerung in Kiew wegen der veröffentlichten Daten, berichtet CNN unter Berufung auf das Umfeld von Präsident Wolodymyr Selenskyj, der wohl auch ausspioniert wurde. Russland hingegen sieht durch die Berichte in den USA einmal mehr die Verwicklung Washingtons im Konflikt in der Ukraine bestätigt. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte am Montag, die "Leaks sind einigermaßen interessant", man analysiere sie jetzt.
Am Freitag hatte er erklärt, dass die Beteiligung der USA und der Nato an dem Konflikt weiter zunehme. Russland erwartet aber keinen Einfluss auf seine Kriegsführung – und rechnet mit einem Sieg. Dagegen stellte das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) Angst und Nervosität unter russischen Kriegsbloggern nach Veröffentlichung der Dokumente fest.
Was bedeuten die Leaks für die Partner der USA?
Wie aus den Unterlagen hervorgeht, spionierten die US-Dienste auch in den Reihen der eigenen Verbündeten. Das könnte für Verstimmungen zwischen den Alliierten sorgen. Auch werfen die Veröffentlichungen neue Fragen darüber auf, wie sicher Geheimdienstinformationen sind, die andere Länder an die USA weiterleiteten, hieß es mit Blick auf den weitreichenden Austausch von geheimen Informationen zwischen den sogenannten Five-Eyes-Staaten USA, Großbritannien, Australien, Neuseeland und Kanada.
- Nachrichtenagentur dpa