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Russlands Krieg gegen die Ukraine: "Dann ist Putin militärisch am Ende"


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Krieg gegen Russland
"Die Ukraine hat nur einen Schuss"

InterviewVon Patrick Diekmann

Aktualisiert am 05.04.2023Lesedauer: 6 Min.
Ein russischer Soldat im Dombass: Während Russlands Angriffswelle versandet, bereitet sich die Ukraine zum Gegenangriff vor.Vergrößern des Bildes
Ein russischer Soldat im Dombass: Während Russlands Angriffswelle versandet, bereitet sich die Ukraine zum Gegenangriff vor. (Quelle: IMAGO/Tsitsagi Nikita/imago-images-bilder)

Für Wladimir Putin läuft es schlecht in seinem Krieg. Zwar könnte Bachmut bald an Russland fallen, aber die russische Offensive steckt fest. Kommt nun der große Gegenangriff der Ukraine?

Die westlichen Panzer sind angekommen und die Ukraine zieht Kräfte und Munition zusammen. Während Russland immer mehr Soldaten und Gerät für die Einnahme von Bachmut verwendet, bereitet die ukrainische Armee eine große Gegenoffensive vor. Viele russische Militärblogger warnen: Dieser Angriff soll im Süden des Landes erfolgen, mit 60.000 Soldaten und 200 bis 300 Panzern. Die Ukraine könnte Teile der Landbrücke vom russischen Festland auf die Krim erobern. Für Kremlchef Wladimir Putin wäre das ein herber Rückschlag – militärisch und politisch.

Aber worauf wartet die Ukraine? Militär- und Russlandexperte Gustav Gressel spricht im t-online-Interview über die Risiken eines Gegenangriffs für die Ukraine. Er ist sich sicher: Zwar hat die russische Armee massive Nachschubprobleme, aber die Ukraine hat für diesen Angriff nur eine Chance.

t-online: Herr Gressel, die westlichen Kampfpanzer und Munition sind nun in der Ukraine eingetroffen. Warum startet der ukrainische Angriff nicht sofort?

Gustav Gressel: Das wird noch etwas dauern. Die Ukraine wartet auch darauf, dass sich die russische Offensive erschöpft. Die russische Armee hat während eines Angriffs weitaus höhere Verluste als in der Verteidigung. Bedeutet: Solange die russische Armee die Illusion von Angriffserfolgen hat und Putin auf weiteren Offensiven besteht, verschlingt das eine Menge Kräfte. Diese Kräfte ziehen sie von anderen Teilen der Front ab.

Gustav Gressel ist als Senior Policy Fellow bei der politischen Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR) tätig. Er beschäftigt sich in seiner Forschung schwerpunktmäßig mit den militärischen Strukturen in Osteuropa und insbesondere mit den russischen Streitkräften.

Das schwächt dann die russischen Möglichkeiten, auf eine ukrainische Gegenoffensive zu reagieren?

Genau. Wir können jetzt schon beobachten, dass die russischen Reserven weniger werden und dass die russische Armee sich im Prinzip auf die Angriffe auf Bachmut und Awdijiwka konzentrieren. Aber die Reserven, die nun für die Einnahme von Bachmut verheizt werden, können natürlich nicht zum Auffangen einer ukrainischen Gegenoffensive genutzt werden.

Die Ukraine wartet demnach auf einen guten Zeitpunkt für ihren Angriff?

Die Ukraine hat nur einen Schuss für diese Gegenoffensive. Das schwere Kriegsgerät aus dem Westen ist nicht in großer Stückzahl gekommen, und einige Kampf- und Schützenpanzer werden den Angriff nicht überleben. Es ist unklar für die Ukraine, wann und in welchem Umfang sie dann Ersatz bekommen wird. Die Materiallage ist dünn, und die anstehende Offensive muss Resultate bringen. Deshalb ist ein weiteres Ausdünnen der russischen Kräfte wichtig.

Ein Schuss ist nicht viel. Was wären die Folgen, wenn die ukrainische Offensive ein Misserfolg werden würde?

Die Ukraine würde wahrscheinlich ein ganzes Jahr Zeit verlieren, weil sie ewig lang brauchen wird, um neues Material aus dem Westen zu bekommen. Politisch wäre es außerdem ein moralischer Dämpfer und auch problematisch in den Verhandlungen mit dem Westen, weil schon jetzt einige Kräfte im Westen einen Waffenstillstand und ein Einfrieren der Front propagieren. Damit wären wir in einer Situation, in der der Druck auf Kiew steigen würde, einen für sie sehr schlechten Waffenstillstand zu akzeptieren.

Warum ein schlechter Waffenstillstand?

Weil er Russland die Chance gibt, die nächste Eroberung von ukrainischem Gebiet vorzubereiten. Dann könnte der gleiche Krieg in drei bis fünf Jahren wieder beginnen. Putin würde mit seinem Krieg davonkommen und könnte in Ruhe seine Gebietsgewinne konsolidieren. Es wäre wahrscheinlich, dass Russland dann diese kriegerische Politik fortsetzt. Damit hätte Putin eine Verschnaufpause.

Die ukrainischen Behörden haben die Menschen in den von Russland besetzten Gebieten aufgefordert, die Regionen zu verlassen. Ist das ein Anzeichen, dass es bald losgehen könnte?

Nicht unbedingt. Kiew ist auch aufgrund der russischen Zwangsrekrutierung dieser Menschen besorgt. Russland schickt sie nicht nur an die Front, sondern sie müssen als Zwangsarbeiter Verteidigungsstellungen mit ausbauen und Gräben ausheben.

Wie sehen diese Verteidigungslinien aus?

So wie der Westwall im Zweiten Weltkrieg. Tiefe Gräben, Verteidigungsanlagen aus Beton, Schutzräume für Infanterie, Panzersperren und Minenfelder. Besonders in Richtung der Krim haben die Russen sehr viel gegraben. Diese Linien sind nicht unüberwindbar, aber es wird Zeit brauchen, diese Sperren aus dem Weg zu räumen. Das verlangsamt eine ukrainische Offensive natürlich.

Das heißt auch: Für die Ukraine wird es wahrscheinlich nicht so einfach wie bei der Offensive im Spätsommer 2022.

Nein. Deshalb bittet Kiew den Westen um mehr schwere Waffen und um mehr Ausrüstung. Sie wissen, dass eine Offensive wahrscheinlich langsamer und mühsamer sein wird. Die Ukraine braucht vor allem auch Munition und ist schon auf Einkaufstour in der ganzen Welt. Das wird für den Kampf um Stellungen und befestigte Linien entscheidend sein.

Ist das Abwarten vor diesem Hintergrund strategisch sinnvoll? Je mehr Zeit Russland zur Vorbereitung hat, desto stärker sind diese Verteidigungslinien.

Es ist in jedem Fall eine komplizierte Abwägung, das Warten hat Vor- und Nachteile. Die Russen verheizen sich einerseits weiter in Bachmut. Andererseits werden die russischen Stellungen im Laufe der Zeit immer besser ausgebaut werden. Die Ukraine kann zu früh, aber auch zu spät losschlagen. Das ist eine schwere Aufgabe für den ukrainischen Generalstab, aber er wird für das Warten sicherlich seine Gründe haben, die wir von der Seitenlinie nur schwer beurteilen können.

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Wäre die Ukraine denn überhaupt schon bereit für eine Offensive?

Die Ukraine hat zwar viele neue Waffensysteme bekommen, aber die müssen nach dem Abschluss der Ausbildung der ukrainischen Soldaten nun erst einmal zu gemeinsamen Verbänden zusammengeführt werden. Diese neu gebildeten Brigaden trainieren jetzt zusammen. Bedeutet: Die Ukraine ist aktuell in der Phase ihres geplanten Gegenangriffs, in der sie die Verbände aneinander gewöhnt und auf ihre Aufgaben vorbereitet. Das ist wichtig, weil alles reibungslos funktionieren muss.

Russische Militärblogger erwarten den ukrainischen Angriff im Süden in der Region Saporischschja. Halten Sie das für wahrscheinlich?

Es wäre zumindest ein logisches Ziel für die Ukraine, die Landbrücke vom russischen Festland zur Krim zu kappen – politisch und militärstrategisch. Damit könnte Kiew wieder einen Teil der Küste in Besitz nehmen, und von dort könnte man mit Raketenwerfern in Richtung Krimbrücke feuern. Das würde die ganze Logistik der Russen im südlichen Korridor extrem unter Druck setzen. Auch politisch wäre es für die Ukraine ein großes Erfolgserlebnis.

Das weiß der Kreml aber natürlich auch.

Genau, und deswegen bereiten sich die russischen Truppen darauf vor. Wir dürfen auch nicht unterschätzen, wie weitflächig das Gelände dort ist. Bei dieser Landmasse verlieren sich die 62 Leopard 2 und die etwa 100 modernen Schützenpanzer. Für eine solch große Fläche bräuchten sie eigentlich noch mehr Panzer aus dem Westen.

Wären sie dort nicht auch ein einfaches Ziel für die russische Luftwaffe?

Nicht unbedingt. Die ukrainische Flugabwehr ist sehr mobil und sie rückt bei einem ukrainischen Angriff vor. Vor allem die Gepard-Flakpanzer sind bei den Ukrainern sehr beliebt, weil sie mit den vorderen Spitzen mitfahren können. Aber sie haben davon auch nur 33 Geräte, die eine Reichweite von drei Kilometern haben. Auch der Schutz vor den Luftangriffen verliert sich dann etwas in der Tiefe bei einer Offensive. Bisher haben die Ukrainer sich aber im Donbass gut vor diesen Angriffen schützen können – mit dem Gerät, das ihnen zur Verfügung steht. Das Problem für die Ukraine liegt hier aber auch im Munitionsnachschub, auch für die Geparden.

Wie sieht es denn auf russischer Seite mit dem Nachschub aus? Sehen Sie Anzeichen dafür, dass Putin seinen Krieg vielleicht nicht mehr lang führen könnte?

Da wäre ich vorsichtig. Wenn es so weitergeht wie aktuell, dann ist Putin im Herbst militärisch am Ende. Wir wissen allerdings nicht, inwieweit China Russland unter die Arme greift, vor allem mit Substitutionen.

Das müssen Sie erklären.

Zum Beispiel steht die Panzerproduktion in Russland momentan still. Die Panzerhüllen stehen zwar in den Fabriken, aber sie können nicht montiert werden, weil elementare Komponenten fehlen. So kann die russische Rüstungsindustrie Nachtsichtgeräte, Funkgeräte oder allgemein Geräte mit Steuerungschips nicht in ausreichender Quantität produzieren. Diese Komponenten wurden vor dem Krieg aus dem Westen importiert. Nun muss Russland entweder Schlupflöcher finden, um westliche Sanktionen zu umgehen. Oder China produziert Kopien dieser Produkte und liefert sie nach Russland. Das halte ich für wahrscheinlich.

Dann könnte die Produktion in Russland wieder angekurbelt werden?

Davon ist auszugehen. Wir können aber natürlich nicht in Putins Kopf schauen und wissen nicht, was er tun wird. Er hat aber durch diesen Angriffskrieg und dann durch seine Mobilmachung in Russland enorm viel riskiert und viel innenpolitisches Kapital in diesen Konflikt investiert. Man sollte nicht unterschätzen, dass er versuchen wird, alle Rädchen zu drehen, den Krieg zu verlängern, bevor er in Richtung einer Friedenslösung verhandeln wird. Deshalb wäre ich ganz vorsichtig mit Rechnungen, dass den Russen ökonomisch die Luft ausgeht. Das ist nur ein gegenwärtiger Trend.

Auch das lässt sich von außen schwer beurteilen. Es gibt nur viele Indizien, dass es große Probleme für die russische Rüstungsindustrie gibt.

Klar. Russland hat große Probleme, das lässt sich auch auf dem Gefechtsfeld erkennen. Vor sechs Monaten durften ukrainische Panzer nur wenige Sekunden zum Feuern aus der Deckung fahren, um nicht das Ziel der Lenkwaffen von russischen Panzern zu werden. Aber die russische Armee scheint diese nun größtenteils verfeuert zu haben, und nun stellen sich die ukrainischen Panzer unverfroren vor die russischen Stellungen und schießen da rein. Es gibt somit Anzeichen für großen Munitionsmangel auf der russischen Seite. Das läuft für Putin schlecht, aber wie gesagt: Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Gressel.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Gustav Gressel
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