Neue Rekruten für die Front Wer nicht kämpfen will, wird zu einem "Unberührbaren"
Russland verheizt seine Kämpfer so schnell, dass neue Rekruten hermüssen. Dabei setzt der Kreml offenbar auf das perfide Kastenwesen im Strafvollzug.
In russischen Gefängnissen herrscht ein brutales Kastenwesen. Ganz unten in der Hierarchie stehen die "Unberührbaren" oder "Hähne" genannten Männer: Sie können von allen anderen vergewaltigt werden, müssen bei den Toiletten schlafen. Wer auch nur das Essen mit ihnen teilt, wird selbst zum "Unberührbaren". Die Vergewaltigung ist paradoxerweise die einzig erlaubte Interaktion mit ihnen. Jetzt behauptet ein russischer Telegramkanal, dass der Kreml dieses Kastenwesen gezielt als Druckmittel einsetze, um Soldaten für den Krieg gegen die Ukraine zu gewinnen.
"In Tulas Strafkolonie Nr. 1 werden übliche Insassen jetzt zwangsweise mit 'Unberührbaren' zusammengesperrt, die bislang getrennt von den anderen waren", heißt es im Telegramkanal Tscheka-OGKPU, dessen Autoren der Söldnertruppe Wagner nahestehen. "Wer das verhindern will, soll einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium abschließen, drohen sie den Häftlingen." Die Gefängnisleitung würde allen dringend raten, in den Krieg zu ziehen, da in Tula bald deutlich schärfere Regeln gelten würden. Freiwillig lasse sich kaum noch jemand für den Wehrdienst gewinnen, da alle wüssten, wie gering die Überlebenschancen seien, so die Nachrichten in dem Kanal.
Schießt Prigoschin gegen die Armeeführung?
Von unabhängiger Seite bestätigen lässt sich der Bericht nicht. Die Wagner-Gruppe und das russische Verteidigungsministerium hatten zuletzt öffentlich über die Zuteilung von Munition und Kämpfern gestritten. Die Truppe des Putin-Vertrauten Jewgeni Prigoschin rekrutierte voriges Jahr mehr als 20.000 Häftlinge aus Gefängnissen, von denen die meisten mutmaßlich tot oder vermisst sind.
Dann untersagte der Kreml der Wagner-Gruppe, weitere Häftlinge anzuwerben, da diese zu wichtig für die Kriegswirtschaft seien. Erst am Montag wandte sich der Wagner-Chef mit einem Brief an den Kreml und forderte Unterstützung für seine Kämpfer in Bachmut. Vor diesem Hintergrund könnte der Beitrag im Tscheka-OGKPU-Kanal auch ein weiterer Schuss Prigoschins in Richtung der Armeeführung sein.
Diplom nur gegen Wehrdienst
Klar scheint allerdings, dass Russland neue Soldaten braucht. Seit Herbst soll der Kreml mehr als 300.000 Männer rekrutiert haben. Doch nach Ansicht vieler Militärexperten hat die russische Frühjahrsoffensive ihren Höhepunkt schon erreicht. Seit Januar hat Russland besonders im Nordosten in der Region Luhansk sowie bei Bachmut und Wuhledar weiter südlich entlang der Front angegriffen. Trotz massiver Verluste konnte Russland nur bei Bachmut Gelände gewinnen, ohne die Stadt in der Region Donezk ganz einzunehmen. Vorige Woche schrieben russische Medien, dass der Kreml vom 1. April an etwa 400.000 frühere Vertragssoldaten neu rekrutieren wolle – auch das ein Hinweis auf den Personalmangel der russischen Truppen.
Am Montag berichtete das unabhängige russische Portal Verstka ebenfalls von neuen Rekrutierungsbemühungen in Moskau. Absolventen des staatlichen Luftfahrtinstituts sei ihr Diplom verweigert worden, sollten sie sich nicht bei der russischen Armee verpflichten, schreibt Verstka. Die Militärkommissare säßen in dem Büro, in dem auch Diplome ausgehändigt würden, erzählte ein Student dem Portal: "Das Diplom bekommst du nur, wenn du gleichzeitig einen Vertrag unterzeichnest."
- Telegramkanal Tscheka-OGKPU: Eintrag vom 20. März (russisch; Stand: 21. März 2023)
- Telegramkanal von "Verstka": Eintrag vom 19. März (russisch; Stand: 21. März 2023)
- Radio Liberty: Das Verteidigungsministerium beginnt mit der Rekrutierung von Vertragssoldaten, das Ziel sind 400.000 Menschen (russisch; Stand: 21. März 2023)