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Ukraine-Krieg | Schlacht um Bachmut: Was, wenn Selenskyjs "Festung" fällt?


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Ukraine-Kämpfer über blutige Schlacht
"Bachmut wird fallen"


Aktualisiert am 03.04.2023Lesedauer: 5 Min.
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Flagge gehisst?: Video soll angeblich Prigoschin in Bachmut zeigen. (Quelle: reuters)

Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin behauptet, die umkämpfte Stadt Bachmut "rechtlich" eingenommen zu haben. Für die Ukraine wäre das ein Rückschlag.

Der Kampf um die ostukrainische Stadt Bachmut tobt seit Monaten. Nun könnten die russischen Angreifer einen wichtigen Etappensieg für sich verbucht haben: Wie der Chef der berüchtigten Wagner-Miliz, Jewgeni Prigoschin, in der Nacht zum Montag mitteilte, habe man das Verwaltungsgebäude von Bachmut eingenommen. Als Beleg postete er ein Video, das den Söldnerchef in Kampfmontur und Flagge in den Händen zeigt. Prigoschin sagt, er habe die Stadt "im rechtlichen Sinne" erobert.

Ob das Video tatsächlich das Verwaltungsgebäude in Bachmut zeigt, konnte bisher nicht unabhängig verifiziert werden. Zweifel sind zumindest angebracht, denn die Aufnahme wurde offenbar nachts und mittels eines Infrarot-Scheinwerfers gemacht. Prigoschin mit der Wagner-Flagge in der Hand sowie die Ruinen hinter ihm sind in grünes Licht getaucht und nur schwer zu erkennen.

Die ukrainische Armee dementiert dagegen die Einnahme Bachmuts. Man habe zuletzt mehr als 20 russische Angriffe auf die Stadt abgewehrt. Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte in seiner abendlichen Ansprache am Sonntag, die militärische Lage um Bachmut sei "besonders aufgeheizt". In sozialen Medien kursierten am Montagmorgen auch Fotos von Wagner-Söldnern, die offenbar vor einer Tür stehen, auf der "Bezirksrat Bachmut" steht.

Rückschlag für die Ukraine

Doch am Montagmittag bestätigen auch die ersten pro-ukrainischen Quellen in sozialen Netzwerken die Einnahme des Bachmuter Verwaltungsgebäudes. Datenanalysten auf Twitter und Telegram konnten zudem Prigoschins Video geolokalisieren, also anhand von Bilddaten die genaue Position bestimmen, wo das Video aufgenommen worden ist. Es soll tatsächlich das ehemalige Verwaltungsgebäude von Bachmut zeigen, sagt etwa der pro-ukrainische Kriegsblogger NOELreports.

Sollte sich der russische Vorstoß bewahrheiten, wäre dies für die ukrainischen Verteidiger in Bachmut ein Rückschlag. Den ukrainischen Kräften bliebe dann nur noch die Option, sich in den Westen der Stadt zurückzuziehen. Wagner-Söldner und reguläre russische Truppen stehen mittlerweile im Süden, Osten und Norden der Stadt. In dem blutigen Häuserkampf wird um jede Straße, um jedes Haus erbittert gekämpft. Tausende, vielleicht sogar Zehntausende Soldaten auf beiden Seiten haben bereits ihr Leben verloren.

Auch wenn die russische Offensive laut westlichen Einschätzungen ihren Scheitelpunkt erreicht hat, konnte die Kreml-Armee zuletzt wichtige ukrainische Verteidigungslinien in Bachmut durchbrechen: Mitte März fiel das Eisen- und Metallwerk im Norden der Stadt, das die Ukraine eigentlich zur "uneinnehmbaren Festung" ausgebaut hatte. Auch haben die Russen bereits an mehreren Stellen den Fluss Bachmutka überquert, eine der letzten natürlichen Verteidigungslinien in ukrainischer Hand.

Symbol des ukrainischen Widerstands

Trotz des hohen Blutzolls auch bei den eigenen Truppen lehnt die ukrainische Regierung weiterhin einen Rückzug ab. Auch Präsident Selenskyj hatte Bachmut vergangenen Dezember zur "Festung" erklärt und war selbst in die Frontstadt gereist, um Soldaten für ihren Mut zu würdigen. Bei seiner Rede im US-Kongress wenige Tage später hatte der Präsident auch eine ukrainische Flagge im Gepäck, mit den Unterschriften der Verteidiger von Bachmut.

Für Selenskyj ist die Stadt zum Symbol des ukrainischen Widerstands geworden, eine Einnahme würde dieses Symbol beschädigen. Vor Kurzem betonte Selenskyj noch einmal die politische Bedeutung von Bachmut: Sollte die Stadt in die Hände der Russen fallen, würde Wladimir Putin "diesen Sieg an den Westen, an seine Gesellschaft, an China, an den Iran verkaufen." Wenn der Kremlchef "Blut rieche" und merke, dass die Ukraine Schwäche zeige, würde er seine Angriffe beschleunigen.

"Man braucht immer Frischfleisch"

Der ukrainische Soldat Maksym* (Name geändert) sieht die Verteidigung von Bachmut kritisch. "Politisch wäre es für Selenskyj schlecht, wenn die Russen die Stadt einnehmen. Seine Zustimmung würde sinken", so Maksym zu t-online. Doch dazu werde es schon bald unweigerlich kommen, ist der Drohnenpilot überzeugt: "Bachmut wird fallen."

Die monatelange Verteidigung Bachmuts hatte für die Ukraine allerdings auch strategische Gründe. Durch die starken ukrainischen Verteidigungslinien verloren die russischen Angreifer deutlich mehr Soldaten als die Verteidiger – Experten schätzen das Verhältnis auf 5:1. Diese Kämpfe haben Kiew Zeit verschafft, die man zur Vorbereitung einer möglichen Frühjahrsoffensive in diesem Jahr brauchte.

Maksym kämpfte bis Januar drei Monate in Bachmut und ist seit März wieder dort stationiert. Er berichtet von immer neuen Angriffswellen, mit denen Wagner-Söldner die ukrainischen Stellungen unter Druck setzen. Die Ukraine brauche permanent "Frischfleisch" (gemeint sind neue Soldaten), um Verluste wettzumachen, sagt Maksym. Zwar sei Bachmut weiterhin ein "guter Ort, um russische Truppen effektiv zu töten". Doch die Lage für die ukrainischen Truppen werde immer schwieriger, da bald eine Einkreisung der Stadt drohe.

"Jeder kann sterben, jederzeit"

Der Drohnenpilot Maksym kritisiert die ukrainische Regierung auch aus einem anderen Grund: "Warum sind noch rund 15.000 Zivilisten in Bachmut?" fragt er. Die Armee hätte sie längst aus der Stadt bringen müssen, Bachmut sei eine Todeszone: "Jeder kann sterben, jederzeit." Vor Kurzem habe er gesehen, wie Kinder auf der Straße spielten, obwohl in der Nähe russische Granaten einschlugen. Sie hätten einfach weitergespielt, als wenn nichts wäre, so der Soldat.

Ein 12-jähriges Mädchen habe ihm "Frohe Weihnachten" gewünscht, er habe nur mit dem Kopf geschüttelt und gesagt: "Kind, es ist Februar". Viele Menschen lebten von der Außenwelt abgeschnitten, sagt Maksym, die humanitäre Lage in der Stadt sei dramatisch. Auch habe die Anwesenheit von Zivilisten taktische Nachteile für die Ukrainer: Bewohnte Häuser könnten nicht als Schutz vor Angriffen genutzt werden.

Auswirkung auf ukrainische Gegenoffensive?

Die zunehmend düstere Lage für die Ukrainer in Bachmut heizt auch die Debatte über die geplante ukrainische Gegenoffensive an. Kiew hat für die nächsten Wochen oder Monate eine weitreichende Angriffsoperation angekündigt, die sogar die Krim befreien soll. Präsident Selenskyj hatte seiner Bevölkerung versprochen, 2023 werde das "Jahr des Sieges".

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Doch zuletzt kamen vermehrt Zweifel auf, wie weit die ukrainischen Streitkräfte noch in der Lage sind, eine wirksame Gegenoffensive zu führen – vor allem angesichts der Tatsache, dass die Ukraine ihre Kräfte in der Schlacht um Bachmut weiter aufreibt. Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck zeigt sich vorsichtig optimistisch: "Durch die Panzerlieferungen und die Unterstützung mit weitreichender Artillerie aus dem Westen sind die Chancen einer erfolgreichen Gegenoffensive der Ukraine gestiegen."

Der Militärexperte gibt aber zu bedenken, dass die russische Armee heute besser in der Lage sei, einen ukrainischen Gegenangriff aufzuhalten als noch im September 2022 in der Region Charkiw, wo Russland eine demütigende Niederlage einstecken musste. Russland sei diesmal vorbereitet und habe an manchen Frontabschnitten solide Verteidigungsanlagen gebaut, so Mangott.

Ukraine hat weiter "maximalistisches Kriegsziel"

Dass die Ukraine auch die Krim erobern könnte, hält Mangott allerdings für "nahezu ausgeschlossen". Auch andere Militärexperten im Westen halten das für wenig wahrscheinlich. Zugleich scheint die Ukraine von diesem Ziel nicht abweichen zu wollen. Offenbar, um diesen Anspruch zu unterstreichen, hat der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats der Ukraine, Olexij Danilow, einen "12-Punkte-Plan" für die Krim vorlegt.

Er soll darlegen, was Kiew nach einer möglichen Befreiung der Halbinsel vorhat. Danilow fordert unter anderem die "Entgiftung" der lokalen Bevölkerung von russischer Propaganda. Auch von "Säuberungen" und einer "Entnazifizierung" ist die Rede.

Das Papier hat international für Aufregung gesorgt. Auch Politikwissenschaftler Mangott äußert sich kritisch: "Was die Ukraine da verkündet hat, damit erobert sie sicherlich nicht die Herzen der Krim-Bewohner." Er habe seine Zweifel, ob es klug war, diese Pläne öffentlich zu machen. Kiew habe dem Westen und Russland wohl klarmachen wollen, dass sie weiter ihr "maximalistisches Kriegsziel" verfolge. Das Signal solle sein: "Wir gehen bis zum Ende, wir möchten die ganze Ukraine zurück."

Verwendete Quellen
  • Interview mit Gerhard Mangott
  • Interview mit dem ukrainischen Soldaten Maksym
  • Twitter-Account von NOELreports
  • Twitter-Account von War_Mapper
  • Telegram-Account von Wagner-Orchester
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