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Ukraine-Krieg: "Putins Truppen beißen sich die Zähne aus"


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Krieg in der Ukraine
"Putins Truppen beißen sich die Zähne aus"

InterviewVon Patrick Diekmann

Aktualisiert am 11.02.2023Lesedauer: 8 Min.
Die Hölle von Bachmut: Immer wieder schickte Russland neue Angriffswellen gegen die ostukrainische Stadt, immer wieder wurden sie zurückgeschlagen.Vergrößern des Bildes
Die Hölle von Bachmut: Immer wieder schickte Russland neue Angriffswellen gegen die ostukrainische Stadt, immer wieder wurden sie zurückgeschlagen. (Quelle: STRINGER/reuters)

Die russische Armee hat ihre Frühjahrsoffensive gestartet, die Lage für die Ukraine spitzt sich zu. Könnte Putins Krieg noch im Jahr 2023 enden?

Die westlichen Panzer kommen zu spät, um die nächste Offensive der russischen Armee in der Ukraine zurückschlagen. Kreml-Chef Wladimir Putin hat seine Kriegsziele auch im Jahr 2023 noch nicht aufgegeben und seine Truppen greifen an vielen Frontabschnitten im Osten des Landes an. Es tobt ein blutiger Abnutzungskrieg.

Der Militär- und Russland-Experte Gustav Gressel erklärt im Interview mit t-online, warum die ukrainischen Verteidiger die Gewinne aus ihrer erfolgreichen Gegenoffensive im Spätsommer 2022 nun wieder verlieren könnten – und was China damit zu tun hat.

t-online: Herr Gressel, die Ukraine befürchtet eine große russische Frühjahrsoffensive. Wie ist aktuell die Lage an der Front?

Gustav Gressel: Russlands Frühjahrsoffensive läuft bereits. Die russischen Angriffe nehmen seit einem Monat stetig zu. Die russische Armee rückt selbst in den Frontabschnitten vor, an denen die Ukrainer noch die Initiative hatten. Das klare Schwergewicht der russischen Angriffe ist der Donezker Oblast.

Welche Folgen haben die Angriffe konkret auf die Kriegslage im Osten der Ukraine?

Die Ukraine muss Bachmut wahrscheinlich bald aufgeben. Krasna Hora ist fast eingekesselt und auch aus der Stadt muss sich die ukrainische Armee wahrscheinlich bald zurückziehen. Aber eigentlich gibt es an sehr vielen Frontabschnitten massive Angriffe, die russische Armee testet, wo es Schwachstellen in der Verteidigung gibt.

Gustav Gressel ist als Senior Policy Fellow bei der politischen Denkfabrik European Council On Foreign Relations (ECFR) tätig. Er beschäftigt sich in seiner Forschung schwerpunktmäßig mit den militärischen Strukturen in Osteuropa und insbesondere mit den russischen Streitkräften.

Besonders Bachmut war über viele Monate ein Fleischwolf, in den beide Seiten immer weitere Kräfte geschickt und verloren haben. Ist der Verlust nun ein herber Rückschlag für die Ukraine?

Es ist natürlich ein demoralisierender Rückschlag für die ukrainische Armee, aber Kiew wird den Krieg nicht wegen Bachmut verlieren.

Woher kommt plötzlich die Stärke der russischen Armee?

Russland greift nun mit immer mehr Kräften an, und das wird wahrscheinlich in den nächsten Monaten so weitergehen. Mittlerweile zeigt die Teilmobilisierung von Präsident Wladimir Putin Wirkung, und ich gehe davon aus, dass die Offensive im Spätfrühling ihren Höhepunkt erreichen wird. Dann wird sie wieder abflauen. Doch es ist unklar, wie viel Gelände die russische Armee erobern kann.

Wird die Ukraine nun das Gelände wieder verlieren, das sie durch die erfolgreiche Gegenoffensive im Spätsommer 2022 befreit hat?

Das ist die Frage. Es kommt darauf an, wer die Verluste der Angriffe besser wegstecken kann – die russische oder die ukrainische Armee. Endgültig wird man das erst in den kommenden Wochen sagen können.

Was ist die Verteidigungsstrategie der Ukraine im Angesicht der aktuellen russischen Offensive?

Die ukrainische Armee versucht, so lange Territorium zu halten, solange es der russischen Armee große Verluste bringt. Dann ziehen sie sich auf die nächste Verteidigungslinie zurück und setzen den Kampf dort fort. Das ist ein verlustreicher Kampf, denn auch für Russland steht das Abnutzen ukrainischer Kräfte im Vordergrund, nicht der Gewinn von Gebiet.

Bislang tut sich Russland aber schwer, größere Städte einzunehmen.

Der Kampf im Ort ist für die Ukraine besser als für die Russen. Im offenen Feld hat die russische Armee mit ihren Schützen- und Kampfpanzern und ihrer Artillerie einen enormen Feuerkraftvorteil, aber in Städten können die Ukrainer den Gegner auf kurze Distanz in Infanteriekämpfe zwingen, wo sie qualitativ besser sind. Deswegen klammern sich die ukrainischen Verteidiger an Städte wie Bachmut, weil es in solchen Städten für sie das beste Abnutzungsverhältnis gibt. Bedeutet: am meisten russische Tote für am wenigsten ukrainische Tote.

Es ist erschreckend, dass ein Abnutzungskrieg oft nur eine Todesrechnung ist.

Richtig.

Versuchen die russischen Truppen noch immer, Häuserkämpfe zu vermeiden?

Die russische Armee versucht, Ortschaften nicht frontal einzunehmen, sondern das Gelände drumherum zu erobern, um die Ukrainer dann zum Rückzug zu zwingen. Deswegen hat die Ukraine aber einen Vorteil im Donezker Oblast, weil dieser als Schwerindustrieregion dicht besiedelt ist. Es gibt viele Ortschaften, die man sehr gut verteidigen kann. Deshalb beißen sich Putins Truppen die Zähne aus.

Die Ukraine zieht nun schon über 60-Jährige zum Kriegsdienst ein. Gehen den Verteidigern bald die Soldaten aus?

Nein. Die russischen Verluste sind gegenwärtig viel höher als die ukrainischen. Die Ukraine hat noch personelle Reserven, die Engpässe beim Material sind schwerwiegender.

Sie haben dagegen die Masse der Soldaten angesprochen, die durch Putins Mobilisierung zur Verfügung steht. Aber ist es der russischen Armee auch gelungen, militärische Ausrüstung und schweres Gerät in die Ukraine nachzuführen?

Putins Armee hat große Verluste erlitten, aber Russland kann in Teilen schweres Gerät schneller nachproduzieren, als die Ukraine es vom Westen geliefert bekommt.

Zum Beispiel?

Kampf- und Schützenpanzer, Granatwerfer, Artilleriesysteme. Putin hat seine Wirtschaft auf Kriegsproduktion umgestellt, aber die russische Wirtschaft hatte auch schon vorher einen höheren Militarisierungsgrad als die Ökonomien im Westen. Deshalb tut sich Russland bei der Nachproduktion etwas leichter.

Welche Folgen hat das für die Ukraine?

Vor allem hat die ukrainische Armee ein akutes Munitionsproblem. Da ist Russland zwar nicht in einer guten Position, aber zumindest in einer besseren. Putin hat enorm viele Probleme, aber die Munitions- und Ausrüstungslage ist nicht so schlimm wie die auf der ukrainischen Seite.

Das betrifft auch Panzer?

Genau. Russland produziert etwa 200 bis 250 Kampfpanzer im Jahr, das sind etwa 17 im Monat. Das sind T-90M und hinzukommen Panzer älterer Modelle aus den Depots.

Russland hat dementsprechend einen größeren Nachschub an Panzern?

Wir rechnen damit, dass Moskau mehr als 20 Kampfpanzer im Monat an die Front bringen kann. Das gleicht aber nicht die Verluste aus, die Russland in der Ukraine erleidet. Deswegen wird die russische Armee immer schwächer. Die ukrainische Armee hat jedoch auch große Verluste und die Panzerlieferungen aus dem Westen gleichen die noch weniger aus. Das ist ein Vorteil für Putin und deswegen hält er unbeirrbar an seinen maximalistischen Kriegszielen fest.

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Bereits im Sommer 2022 haben wir darüber gesprochen, dass die Ukraine einen großen Teil ihres schweren Geräts bereits verloren hat. Kommen die westlichen Kampfpanzer jetzt nicht zu spät?

Leider ist die Hürde im Westen, Panzer zu liefern, enorm spät gefallen. Für die Frühjahrsoffensive kommen die Panzer nicht rechtzeitig auf dem Gefechtsfeld an, aber mit dieser Offensive wird der Krieg nicht enden.

Das bedeutet?

Die Panzer werden rechtzeitig kommen, um die Ukraine dabei zu unterstützen, nicht zusammenzubrechen. Bis die Panzer da sind und sich die Munitionslage bessert – vor allem auch bei der Artilleriemunition – wird es schwierig für die ukrainische Armee. Das wird im Laufe des Jahres besser für die Ukraine, aber auch bei der Munitionsproduktion leider erst im Laufe des Jahres, weil bestimmte Schritte erst im Herbst letzten Jahres eingeleitet wurden.

Der Westen hat schon jetzt Probleme, die Anzahl von Panzern zu mobilisieren, die die Ukraine benötigt. Für das Szenario eines langen Abnutzungskrieges verheißt das nichts Gutes.

Langfristig denke ich, dass vom Leopard 2 A4 noch deutlich mehr Panzer geliefert werden können, aber viele von denen müssen erst neu aufbereitet werden, und das braucht Zeit. Durch die späte Entscheidung für die Panzerwende laufen wir da etwas der Lage hinterher. Ich hoffe, dass nun möglichst viele Staaten im westlichen Bündnis neue Panzer bestellen, um alte besser abgeben zu können. Dann können wir auch die Leopard-2-Produktion in Deutschland beschleunigen und das würde der Ukraine an der Panzerfront helfen.

Ist es denn glaubwürdig, wenn sich Deutschland nach so vielen Monaten des Zögerns nun an die Spitze einer Panzerallianz stellt?

Ja, ich denke schon. Boris Pistorius hat nun einen Panzergipfel in Warschau auf die Beine gestellt, um andere Staaten mitzunehmen. Er schlägt sich gut bisher. Für Deutschland steht einiges an Ruf auf dem Spiel.

Immerhin galt die Bundesregierung international lange als Bremser in der Panzer-Frage.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat es komplett verschlafen, dass Putin zu diesem Zeitpunkt noch immer auf Maximalsieg spielen wird. Das hat die strategischen Kriegsziele des westlichen Bündnisses dahingehend geändert, dass man die Ukraine nicht nur irgendwie am Leben erhalten muss. Im Grunde sind nun eine russische Niederlage und das Überleben der Ukraine zwei identische Ziele. Und diese Ziele muss der Westen materiell unterfüttern.

Hat Scholz das verstanden?

Ich glaube, dass diese Erkenntnis im Ministerium von Außenministerin Annalena Baerbock schon lange eingeflossen ist. Auch in der SPD gibt es immer mehr Politiker, die das realisiert und verstanden haben. Pistorius ist einer von denen und deshalb wird die Diskussionsmechanik in die richtige Richtung gedreht, und dadurch verändert sich auch das Umfeld um den Kanzler.

Die Waffendebatte geht nun bei Kampfflugzeugen weiter. Ist die Lieferung von Jets an die Ukraine überhaupt sinnvoll?

Die ukrainische Luftwaffe fliegt momentan größtenteils Luft-Luft-Einsätze, um Drohnen oder Raketen abzufangen. Die Lieferung von Kampfflugzeugen ergibt schon Sinn, aber auf dem Gefechtsfeld wird es wenig verändern. Die Abgabe von F16-Kampfflugzeugen würde es einfacher für die Ukraine machen, westliche Munition zu schießen. Russland schert sich ohnehin nicht um diese rote Linie, deswegen kann der Westen auch liefern. Aber die Frage ist nicht so akut wie bei den Kampfpanzern – dort läuteten schon die Alarmglocken.

Hat sich auch Deutschland beim Thema Waffenlieferungen strategisch verkalkuliert?

Im Westen hat man sich darauf verlassen, dass die Sanktionen gegen Russland schnell greifen und die Russen aus der Kriegsanstrengung herauswerfen. Wenn man sich die Produktionszahlen der russischen Rüstungswirtschaft anschaut, ist das leider nicht der Fall. Wir haben zu sehr in dem Glauben gelebt, dass Putin aufgrund der wirtschaftlichen Probleme seinen Krieg nur ein Jahr würde führen können. Das war ein Trugschluss.

Trotzdem scheint der kollektive Westen im Vergleich mit Russland deutlich im Vorteil, oder?

Natürlich. Der Westen hat weit mehr wirtschaftliches Kapital, mehr Innovation und eine weit höhere Finanzkraft. Aber wir haben diese Finanzkraft kaum in den Dienst einer militärischen Leistung gestellt, die der Ukraine nun weiterhelfen könnte. Das ist momentan das Problem.

Wo bekommt Russland denn die Halbleiter für ihre Rüstungsproduktion her?

Die kommen größtenteils aus China.

Liefert Peking noch immer keine Waffen an Russland?

Ich glaube nicht. Die Sprengköpfe für Artilleriegranaten sollen eigentlich aus Nordkorea kommen. Aber es könnte sein, dass Container mit Material aus China über die nordkoreanische Grenze rollen und dass diese dort umlackiert werden. Peking fürchtet US-Sanktionen und ist deshalb vorsichtig. Auf der anderen Seite hat China kein Interesse, dass Putin krachend verliert, und greift hier schon stützend ein.

Wie kommen Sie darauf?

Es lässt sich deutlich auf dem Gefechtsfeld erkennen, dass der Verschleiß an modernen Waffensystemen und Raketen auch bei der russischen Armee sehr hoch ist. Deswegen kann man live dabei zuschauen, wie die Bestände weniger werden und sich die Angriffsintervalle erhöhen. Bei der Munition für Granatwerfer und Artillerie gab es seit Kriegsbeginn jedoch kaum einen Abfall bei der Feuerintensität. Da muss eine helfende Hand für Putin im Spiel sein.

Abschließend: Am 24. Februar tobt der Krieg seit einem Jahr. Wie geht es nun weiter?

Die Ukrainer haben aktuell eine Schwächephase. Aber ich habe die Hoffnung, dass sie es geländebedingt trotz des Geräte- und Munitionsmangels schaffen, die russische Armee kontrolliert abzunutzen. In diesem Jahr wird der Abnutzungskrieg nicht enden, aber wir werden ein Stück weiter in Richtung Vorentscheidung fahren.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Gressel.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Gustav Gressel
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