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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Große Ankündigung" zum Ukraine-Krieg Ein Satz von Putin lässt aufhorchen
Wladimir Putin sollte in einer Rede seinen großen Kriegsplan für das Jahr 2023 verkünden. Doch am Ende kam alles ganz anders.
Die Erwartungen und die Anspannung waren groß. Von einer "großen Ankündigung" des russischen Präsidenten sprachen Russlands Staatsmedien im Vorfeld, live übertragen im Fernsehen sollte Wladimir Putin Klartext reden über seine Kriegspläne für das Jahr 2023, so der Plan für die Jahresabschlusstagung des Verteidigungsministeriums.
Doch es kam anders. Statt einen Plan für ein baldiges Ende seines Angriffskriegs zu präsentieren, verlor er sich in ideologischen Anfeindungen gegen den Westen und verkündete Durchhalteparolen. Nichts davon war wirklich neu – und erst recht nicht groß. Putin hat mit seiner Rede deshalb vor allem für eines gesorgt: Irritationen.
Insgesamt blieb lediglich ein einziger Satz hängen, der aufhorchen ließ: "Ich fordere das Verteidigungsministerium auf, auch die Kritik zu berücksichtigen und rechtzeitig und korrekt zu reagieren." De facto ist das ein Eingeständnis des Präsidenten, dass in dem Krieg aus russischer Perspektive viel schiefläuft. Denn sonst müsste Putin die Verantwortung nicht auf die Militärs abwälzen, so als habe er nichts mit der Invasion zu tun.
"Schritt für Schritt alle unsere Ziele erreichen"
Putin stellt sich damit hinter die russischen Militärblogger, die in der Bevölkerung äußerst beliebt sind und die die Leistungen der eigenen Armeeführung in den vergangenen Monaten oft sehr scharf kritisiert haben. Doch damit nicht genug: Der Kreml-Chef droht zugleich auch seinen Militärs und seinem Verteidigungsminister Sergei Schoigu und fordert Ergebnisse.
Putins Botschaft: Ihr bekommt unbegrenzte Mittel bereitgestellt – dafür ist jetzt aber dringend eine Verbesserung der Leistung erforderlich.
Klar ist damit auch: Die Sündenböcke sucht sich der Kreml-Chef notfalls schon jetzt in den Reihen der Militärs. Dass er sich zu diesen Maßnahmen gezwungen sieht, zeigt aber vor allem eines: Russland steht in der Ukraine das Wasser bis zum Hals, Putin braucht dringend Erfolge.
Zuletzt hatte die Ukraine das Momentum auf ihrer Seite und konnte Gebiete wie Cherson zurückerobern. Trotzdem will Russland seinen Krieg auch im kommenden Jahr weiterführen, bis alle Pläne in den besetzten Gebieten verwirklicht sind: "Ich bin sicher, dass wir Schritt für Schritt alle unsere Ziele erreichen", sagte Putin. Woher er diese Überzeugung nimmt, lässt er allerdings offen.
Die Erfahrung im Kampf gegen Nato-Waffen in der Ukraine solle analysiert und genutzt werden für den Aufbau der russischen Streitkräfte, fügte der russische Präsident hinzu: "Unsere militärischen Möglichkeiten wachsen mit jedem Tag." Das zeigt sich bisher allerdings nicht auf den Schlachtfeldern in der Ukraine – im Gegenteil. Die russische Armee fürchtet eher, dass sie ihre aktuellen Stellungen nicht halten kann.
Kein neuer Plan, alte Narrative
Gegen Russland werde heute praktisch das ganze militärische Potenzial aller Staaten der Nato eingesetzt, behauptete der 70-Jährige in seiner Ansprache. Einmal mehr versucht sich Putin damit als Opfer zu inszenieren:
Nicht Russland habe die Aggression begonnen, sondern der Westen, der 2014 den Umsturz in der Ukraine unterstützt habe. Die russischen Truppen waren am 24. Februar in die Ukraine einmarschiert. Putin sagte weiter, er habe jahrelang eine Annäherung an den Westen versucht, aber das sei dort nicht erwünscht gewesen.
Eigentlich bräuchte die russische Armee dringend mehr Truppen und Material. Denn die ukrainischen Verteidiger werden mit immer neuen Waffensystemen aus dem Westen unterstützt, aktuell mit der Patriot-2-Flugabwehr. Doch Putin verzichtet bisher auf Gegenmaßnahmen.
Stattdessen bekräftigte er, dass er die russische Wirtschaft nicht auf Kriegswirtschaft umstellen wolle. Dieses Versprechen ist ein innenpolitisches Zugeständnis an die Bevölkerung, denn der Ukraine-Krieg ist in Russland unbeliebt. Allerdings hätte Moskau längst wirtschaftliche Schritte einleiten müssen, um sich auf einen langen Abnutzungskrieg in der Ukraine vorzubereiten.
Das hat Putin nun erneut versäumt. Es ist damit auch ein Zeichen dafür, dass er innenpolitisch unter Druck steht und sich zumindest über den Rückhalt in der eigenen Bevölkerung Gedanken macht. Auch deswegen verspricht er seiner Bevölkerung, dass es keine Einschnitte durch den Krieg geben wird. Dass dies ein leeres Versprechen ist, dürfte klar sein. Schließlich ist Putins Krieg teuer und seit Kriegsbeginn wird Russland vom Westen scharf sanktioniert.
Mehr Soldaten und die Hyperschallrekete
Unklar bleibt, warum Putin seine Rede so groß ankündigen ließ. Experten dachten, dass vielleicht Belarus auf russischer Seite mit in den Krieg einsteigen oder dass der Kreml von China stärker unterstützt werden könnte. Immerhin war Putin Anfang der Woche nach Minsk gereist und sein Vertrauter Ex-Präsident Dmitri Medwedew tauchte überraschend zu Gesprächen mit Xi Jinping in Peking auf.
Es ist demnach denkbar, dass diese Auslandsreisen für Moskau nicht nach Plan verliefen. Putin und Medwedew kehrten zumindest ohne große Ergebnisse zurück nach Russland, die Propaganda konnte davon nicht wirklich profitieren. Es kann zumindest gemutmaßt werden, dass deshalb auch Putins Ankündigung eher bescheiden ausfiel.
Diese sah dann so aus: Die reguläre russische Armee soll um 350.000 Kräfte verstärkt werden, wobei der Kreml das Problem hat, dass sich kaum noch jemand freiwillig für einen Kriegseinsatz in der Ukraine meldet – aber eine weitere Mobilisierung soll es laut Putin vorerst nicht geben. Darüber hinaus kündigte der russische Präsident an, die Atomstreitkräfte zu modernisieren und an der Einführung einer Hyperschallrakete festhalten zu wollen. Neue Waffentechnik kommt zwar in der russischen Bevölkerung stets gut an, und die Hyperschallraketen sind für den Westen eine bedrohliche Waffe. Trotzdem waren das keine wirklich großen Neuigkeiten.
Am Ende diente Putins Rede offenbar dazu, Stabilität zu suggerieren und nicht einen neuen Plan zu verkünden. Besonders deutlich wurde das daran, dass sich Russlands Staatschef am Mittwoch noch einmal dazu gezwungen sah, den Russinnen und Russen zu erklären, warum Moskau die Ukraine angegriffen hat. Der Grund sei die "Gehirnwäsche der ehemaligen Sowjetrepubliken" durch "geopolitische Rivalen".
Vor allem die Ukraine sei laut Putin manipuliert worden. Dabei habe sich Russland jahrelang um brüderliche Beziehungen bemüht, sagte er. Er sehe die Ukrainer auch immer noch als Brudervolk an. Was jetzt passiere, sei nicht das Ergebnis russischer Politik, sondern "Frucht der Politik" von "Drittländern".
Putin hielt also an seinem schon bekannten ideologischen Narrativ fest. Mittlerweile dürfte ihm allerdings klargeworden sein, dass die russische Armee in der Ukraine nicht mit Blumen empfangen wird. Spätestens seit der russischen Invasion sieht die große Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung Russland nicht mehr als Brudervolk – diese Verbundenheit hat Putin mit seinem Angriffskrieg wohl nachhaltig zerstört.
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, rtr und afp