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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Scheinargument fällt in sich zusammen" Jetzt kommt die Regierung in die Bredouille
Die US-Regierung steht offenbar kurz davor, der Ukraine Patriot-Flugabwehrsysteme zu liefern, Berlin hatte das kürzlich abgelehnt. Die Opposition macht Druck.
In der Debatte um Waffenlieferungen für die Ukraine droht die Bundesregierung erneut als Bremserin dazustehen. Hintergrund ist die offenbar kurz bevorstehende Entscheidung der US-Regierung, Kiew Flugabwehrsysteme des Typs Patriot zu liefern. Deutschland hatte die Weitergabe einer Patriot-Batterie der Bundeswehr von Polen an die Ukraine kürzlich abgelehnt. Jetzt erhöht die Opposition im Bundestag den Druck auf die Scholz-Regierung.
"Die Bundesregierung muss Farbe bekennen: Unterstützt sie die Ukraine mit schweren Waffen oder nicht?", sagte der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Henning Otte (CDU) t-online. "Für die Union ist klar: Deutschland muss die Ukraine mit notwendigem Material unterstützen. Dazu kann auch das Boden-Luft-Raketensystem Patriot gehören", so Otte weiter.
"Sich immer hinter vermeintlichen Absprachen innerhalb der Nato zu verstecken, um die Uneinigkeit innerhalb der Koalition zu überdecken, ist der sicherheitspolitischen Lage nicht angemessen. Spätestens mit der möglichen Lieferung von Patriot durch die USA fällt das Scheinargument in sich zusammen", sagte der CDU-Politiker.
Patriots erzeugen weitere "Abfangschicht"
Mehreren US-Medien zufolge könnte die Entscheidung in Washington über die Lieferung von Patriots an die Ukraine noch in dieser Woche fallen. Unklar ist, wie viele Batterien die USA liefern würden. Kiew erhofft sich von dem System eine entscheidende Verbesserung im Kampf gegen russische Raketen und Drohnen, die weiterhin fast täglich die Energieinfrastruktur der Ukraine treffen.
Eine Patriot-Batterie kann Flugzeuge, Raketen, Marschflugkörper und Drohnen in einer Höhe bis 30 Kilometer zerstören und würde die Luftverteidigung der Ukraine um eine "Abfangschicht" erweitern: Das von Deutschland gelieferte Iris-T-System kann anfliegende Geschosse in einer Höhe bis 25 Kilometer abschießen. Eine Patriot-Batterie ist allerdings aufwendiger zu betreiben – und könnte ein leichtes Ziel für russische Angriffe sein.
Patriots sind anfällig für Angriffe
"Man braucht 50 bis 60 Soldaten, um eine volle Patriot-Batterie mit sechs oder mehr Abschussrampen aufzubauen und 30 Soldaten, um sie zu betreiben und zu warten", sagte der US-Luftverteidigungsexperte David Shank dem Fachmagazin "The War Zone". "Da eine Batterie ungefähr einen Quadratkilometer Fläche einnimmt, ist sie anfällig für die gegnerische Aufklärung und das stark strahlende Radar wird sich vor der russischen Armee nicht verbergen lassen."
Ein Angriff auf eine Patriot-Batterie würde wahrscheinlich mit einer Radar suchenden Rakete erfolgen, so Shank: "Und wenn das Radar zerstört ist, ist die gesamte Batterie nutzlos." Idealerweise müsse eine Patriot-Batterie darum selbst mit Luftverteidigungssystemen geschützt werden.
"Zeit läuft davon"
Die Bundesregierung hatte Polen im November die Lieferung von Patriot-Systemen angeboten, nachdem Teile einer ukrainischen Abwehrrakete im polnischen Grenzort Przewodow niedergegangen waren und zwei Menschen getötet hatten. Die polnische Regierung wollte die Patriots dann überraschend an die Ukraine weiterreichen, was Berlin aber ablehnte mit der Begründung, dass die Patriots nur für Nato-Gebiet vorgesehen seien.
Kritiker warfen der polnischen Regierung vor, Berlin mit dem Vorschlag bloßstellen zu wollen. Die mögliche Lieferung von US-Patriots an die Ukraine bringt das Thema jetzt aber wieder auf die Agenda der Bundesregierung.
Die Wehrexpertin des Koalitionspartners FDP, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, äußerte sich auf Nachfrage von t-online zurückhaltend zur Lieferung von Patriots: "Alles, was dazu beiträgt, den seit zehn Monaten andauernden russischen Horrorangriff auf die ukrainische Zivilbevölkerung zu stoppen, ist wertvoll."
Deutschland solle sich darauf konzentrieren, ausreichend Munition für die Systeme zu liefern, die schon in der Ukraine sind, und darüber hinaus der Ukraine "endlich den Schützenpanzer Marder und den Kampfpanzer Leopard 2 zur Verfügung stellen". Die Zeit laufe den leidenden Menschen in der Ukraine davon, so die FDP-Politikerin.
- Emails von Henning Otte und Marie-Agnes Strack-Zimmermann
- Material der Nachrichtenagentur dpa