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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Lächelnd am Sarg der Tochter Alexander Dugins bizarrer Todeskult
Alexander Dugin preist den Tod seiner Tochter als nationales Opfer. Können frühere Äußerungen sein Verhalten erklären?
Theorien zum Mordanschlag auf Darja Dugina waren schnell zur Hand, doch wer die Kremlpropagandistin aus welchem Grund getötet hat, könnte für immer ungeklärt bleiben. War es der russische Geheimdienst FSB? Was hat es mit der ominösen "Nationalen Republikanischen Armee" auf sich, die den Anschlag von Sonntagabend bei Moskau für sich reklamiert? Oder war es, wie der FSB behauptet, eine ukrainische Spionin? Für weitere Spekulationen sorgt auch das seltsame Verhalten von Duginas Vater Alexander Dugin: Könnte es sein, dass der rechtsextreme Ideologe sein Kind geopfert hat?
"Unsere Herzen dürstet es nicht einfach nach Rache oder Vergeltung. Das wäre zu klein, nicht russisch", ließ Dugin schon am Montag über einen Vertrauten auf Telegram ausrichten. "Wir brauchen nur unseren Sieg. Auf dessen Altar hat meine Tochter ihr mädchenhaftes Leben gelegt. Also siegt bitte!" Ähnlich klang Dugin bei der Trauerfeier für seine Tochter am Dienstag: "Sie hat für den Sieg gelebt, sie ist für den Sieg gestorben", sagte er am offenen Sarg seiner Tochter. "Sie starb für das Volk, sie starb für Russland." Lesen Sie hier mehr zu den Theorien um Duginas Tod.
Irritationen um Foto von Trauerfeier
Für einen beinharten rechtsextremen Ideologen ist es vielleicht üblich, den Tod des eigenen Kindes als Opfer im Dienst der Nation darzustellen. Irritationen löste aber auch dieses Foto aus, das Dugin entspannt lächelnd während der Trauerfeier zeigt:
Doch es sind nicht nur Dugins unmittelbare Reaktionen auf den Anschlag, sondern vor allem frühere Äußerungen, die den Verdacht, er könne sie geopfert haben, nahelegen. So befasst sich ein undatierter Artikel auf seiner Webseite "Arctogaea" intensiv mit Beispielen für Menschenopfer im Alten Testament. Neben dem bekannten Beispiel von Abraham, der seinen Sohn Isaak opfern will, bevor Gott persönlich eingreift, geht es in dem Text auch um den weniger bekannten Fall von Jiftach.
Texte offenbaren Dugins Todeskult
Der Heerführer hatte geschworen, das Erste zu opfern, was ihm aus seinem Haus entgegenkommt, sollte Gott ihm den Sieg über die Ammoniter schenken. Jiftach besiegte die Ammoniter und kehrte nach Hause zurück, wo ihm zuerst seine einzige Tochter tanzend entgegenkam. Jiftach hielt sich an seinen Schwur und opferte sein Kind. "Ein mutiges Mädchen bittet ihren Vater, ihr etwas Zeit zu geben, um ihrer Jungfräulichkeit nachzutrauern", beschreibt der Artikel die biblische Szene. "Danach geht sie freiwillig zum Altar, und der Vater 'leistete sein Gelübde über sie, die er gab'". Es klingt fast wie die Trauerrede Dugins auf seine Tochter.
Hinweise auf Dugins Todeskult finden sich auch in einem Artikel vom April 2020. Darin behauptet Dugin, dass es notwendig sei, die politischen Eliten in Krisenzeiten zu opfern. Dugin nutzt den Verweis auf einen archaischen "Regenkönig", um seine Idee auszuführen: "Oberflächlich betrachtet mag der Regenkönig die 'Elite', die 'obere Kaste', die 'Spitze der Gesellschaft' sein, aber in Wirklichkeit ist er nicht viel mehr als ein gemästetes Opfertier, das dazu bestimmt ist, an die mächtigen und unberechenbaren Kräfte des Notstands verfüttert zu werden. Eliten werden gebraucht, um sie zu zerstören."
"Es ist gut, jung zu sterben"
Schon 2011 behauptete Dugin: "Es ist gut, jung zu sterben." In dem Text beklagt Dugin einen vermeintlichen Jugendwahn in westlichen Ländern, der auch die russische Gesellschaft erfasst habe. In der Folge sei für den alten Mann, der die höchste Form der menschlichen Existenz sei, kein Platz mehr in der russischen Gesellschaft. "Es ist gut, mit 30 an AIDS oder mit 26 an Drogen zu sterben", polemisiert Dugin. "Mit 14 kanntest du alle Sünden, und mit 26 bist du ein kaputtes Vieh, ausgestattet mit allen möglichen Krankheiten, mit Haarausfall, und beendest deine Existenz auf dem Müllhaufen von einer Überdosis Heroin. Das ist das Ideal unserer Generation. Das Alter ist völlig ausgeschlossen."
Ein Wissen um die Anschlagspläne oder gar eine Beteiligung Dugins am Tod seiner Tochter lässt sich aus diesen Äußerungen freilich nicht ablesen. Allerdings scheint es auch nicht völlig absurd anzunehmen, dass der Tod seiner Tochter Dugin in irgendeiner Weise nützlich oder sinnvoll erscheint. Der Osteuropa-Experte Sergej Sumlenny weist darauf hin, dass in Dugins esoterischer Gedankenwelt das Kindesopfer eines mächtigen Vaters "titanische, übernatürliche Kräfte freisetzen und seine Lage entscheidend verbessern kann".
Streit im Kreml um den Kriegskurs?
Sumlenny hält es für wahrscheinlich, dass Dugins Tochter vom FSB oder von Kräften innerhalb des Kremls getötet wurde. Das Ziel der Attentäter könnte Sumlenny zufolge darin bestehen, dem Kreml einen Vorwand zu liefern, um den Krieg gegen die Ukraine noch zu intensivieren. Denkbar sei aber auch eine gegenteilige Botschaft, so Sumlenny: eine Warnung an die Hardliner und Falken in Moskau, "den Mund zu halten".
"Ich weiß, diese Motive widersprechen einander, aber das ist nicht verwunderlich", schreibt Sumlenny auf Twitter. "In der Führung des FSB können unterschiedliche Auffassungen existieren und es können unterschiedliche Befehle erteilt werden." Es sei durchaus vorstellbar, dass eine Gruppe den Krieg anheizen und eine andere ihn beenden wolle. Wichtiger als die Frage nach der Urheberschaft des Attentats sind für Sumlenny allerdings die absehbaren Folgen: "Wir werden sehr bald wissen, welchen Nutzen der Kreml aus dem Tod Duginas zu ziehen versucht."
- vz.ru: "Es ist gut, jung zu sterben" (russisch; Stand: 24. August 2022)
- arcto.ru: Byzantinische Ikonographie der Darstellung des Herrn (russisch; Stand: 24. August 2022)
- twitter.com: Tweets von @sumlenny (englisch; Stand: 24. August 2022)