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Wer beim Armdrücken gewinnen will, braucht kräftige Muckis. Mit Glück reicht aber auch eine große Klappe. Donald Trump hat sich zu seinen diesbezüglichen Fähigkeiten noch nicht geäußert, aber man darf sich sicher sein, dass er als GRÖSSTER ARMDRÜCKER ALLER ZEITEN die ERBÄRMLICHEN VERSAGER plattmachen würde, die mit ihrem GREISEN KANDIDATEN EINE SCHLAPPE NACH DER NÄCHSTEN EINFAHREN!!! Wenn er lange genug reden und Nachrichten raushauen darf, kann der Donald alles. Nur keine Kleinbuchstaben.
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Seit seinem Triumph bei den Vorwahlen in Iowa und New Hampshire scheint der laute Präsidentendarsteller vor Kraft zu strotzen. Nicht nur hat er seine innerparteilichen Konkurrenten aus dem Weg geräumt und spielt die letzte verbliebene Herausforderin, Nikki Haley, locker an die Wand. Auch im direkten Kräftemessen mit Präsident Joe Biden steht er blendend da. In den Umfragen liegt Superstar Trump gleichauf oder vorn. Scharen von Amerikanern stehen wieder in seinem Bann.
Aber ist er tatsächlich so stark? Oder hat sein Gegner nur ein besonders dünnes Ärmchen? Die erschreckend guten Chancen, die Trump im Showdown gegen Biden mittlerweile wieder hat, verdankt er nicht nur den vielen Wählern, die für ihn stimmen wollen – sondern auch den Anhängern der Konkurrenz, die gar nicht erst zur Urne gehen. Die Demokraten in den USA – im engeren Sinne die Demokratische Partei, aber zugleich alle, die noch bereit sind, für die Demokratie einzustehen – sind schwach. Das zeigt sich auf jeder Ebene.
Ganz oben beim Präsidenten geht es schon los. Der Senior an der Spitze hat ein Wahrnehmungsproblem. Mister Biden fühlte sich in grandioser Selbstüberschätzung berufen, wieder anzutreten und dem Ansturm der Trumpisten ein zweites Mal die Stirn zu bieten, weil keiner sonst dazu in der Lage sei. In seinem Umfeld hat niemand es gewagt, dem alten Herrn den Spiegel im Bad zu putzen und seinem geschönten Selbstbild ein Quäntchen Selbstreflexion hinzuzufügen. "Lass doch mal stecken in deinem Alter": Das hätte halt mal jemand aussprechen müssen, als es noch nicht zu spät war.
Doch das Offensichtliche zu benennen, war mit Risiken gespickt. Denn die Dame auf Platz zwei, Vizepräsidentin Kamala Harris, hat keine gute Figur gemacht und ist für die Mehrheit der Amerikaner unwählbar. An ihr vorbei einen neuen Kandidaten zu küren, ohne dabei in ein selbstzerstörerisches Hauen und Stechen zu verfallen, haben die Vordenker der Demokraten nicht gewagt.
Der komplizierte Tanz aus Taktieren, Abwägen, Balancieren und Manövrieren um die heikle Führungsfrage schnurrt rückblickend auf ein grundlegendes Versagen zusammen: Den führenden Demokraten fehlte der Mumm. Mut hätte die Entscheidung für einen anderen Kandidaten als Herrn Biden in der Tat erfordert, denn es liegt noch mehr im Argen als nur die Personalfrage: Die Geißel der USA heißt Polarisierung. Die Unfähigkeit zu Kompromissen und zum Konsens hat nicht nur die amerikanische Gesellschaft in zwei unversöhnliche Lager zerrissen, sondern auch die Demokraten in kampfbereite Fraktionen gespalten, die mit mindestens ebensolcher Verve aufeinander eindreschen wie auf den politischen Gegner.
Jüngstes Beispiel: Amerikanische Muslime, einst auf der Palme gegen Trump, wenden sich massenhaft von Biden ab. Die israelfreundliche Politik des Präsidenten hat die Entfremdung dieser Wählergruppe wie ein Turbolader beschleunigt. Für US-Muslime hat die Solidarität mit Palästina Vorrang vor der heimischen Rest-Demokratie.
Das ist nur eine Bruchlinie unter vielen. Sozial eher konservative Wähler, unter besagten Muslimen ebenso wie unter Hispanics und anderen traditionell orientierten Demokraten, schütteln den Kopf über die linken Vorkämpfer im eigenen Lager, die für LGBTQ+, Gender-Dies und Antikapitalismus-Das die Regenbogenfahnen schwenken. Die wiederum rümpfen die Nase angesichts des altbackenen Opis Biden.
Beim Tauziehen um den richtigen Kurs verpulvern die demokratischen Fraktionen ihre Energie. Immer wieder brandmarken sie Mitstreiter, die eine andere Meinung vertreten, als die eigentlichen Bösen. Tatsächlich müsste man als Verräter und Steigbügelhalter der Trump-Leute aber nicht innerparteiliche Rivalen benennen, sondern eher eine Haltung: nämlich den Unwillen, Prioritäten zu setzen und gegebenenfalls auch mal eine Kröte zu schlucken, um noch größeres Unheil abzuwenden. Die zerstrittenen Demokraten verlieren die Fähigkeit, ihre jeweiligen Liebhaberthemen zähneknirschend dem gemeinsamen, wichtigsten Ziel unterzuordnen: Trump zu verhindern.
Bei uns in Deutschland ist der Widerstand gegen die Totengräber der Demokratie besser aufgestellt. Das weiß jeder, der in den vergangenen Tagen den Fernseher eingeschaltet hat oder selbst zur Demo auf die Straße gegangen ist. Leider ist das aber nur die halbe Wahrheit.
Es stimmt schon: Hunderttausende haben sich aus dem Stand zu einer mächtigen Willensbekundung formiert. Doch wer genau hinhörte, vernahm am Rand der Sprechchöre eine irritierende Begleitmusik: Es sind dieselben Töne, die man auch von den Demokraten in Amerika kennt. In München zum Beispiel hat die linke Versammlungsleiterin gegen die CSU gegiftet, während diese wiederum gegen die Beteiligung der Fridays-for-Future-Bewegung ätzte. In Koblenz boykottierten FDP und CDU die Demo, weil die Linkspartei dabei war. Vernagelter geht es nicht mehr.
Die Leute auf der Straße hat das offenkundig nicht die Bohne interessiert. Quer durch die politischen Lager, die Extremistenpartei AfD natürlich ausgeschlossen, sind die Bürger der Bundesrepublik auf die Straße gegangen – und mit gutem Beispiel voran. Die eigenen Interessen zurückzustellen, hat die Breite der Beteiligung überhaupt erst möglich gemacht. Sonderwünsche, Parteipräferenzen und Politikverdrossenheit haben die Marschierenden hintangestellt, um für ein demokratisches, pluralistisches und tolerantes Deutschland einzustehen.
Es war eine Abstimmung mit den Füßen. Sie erteilt einen Auftrag an die Parteien. Der lautet: Macht es wie wir. Rauft euch zusammen. Zofft euch über dies und das – aber wenn es um die Grundfesten der Demokratie geht, dann hört auf damit. Lasst das Taktieren, schielt nicht auf billige Punkte, spart euch die Seitenhiebe gegen eure Mit-Demokraten, auch wenn sie ein anderes Parteilogo haben. Denn die treten genauso für die Fundamente unserer Gesellschaft ein wie ihr.
Es genügt nicht, dass von der CSU bis zur Linkspartei jeder Politiker beteuert, man finde die AfD ja ebenfalls doof. Hunderttausende auf der Straße haben es vorgemacht und damit eine klare Erwartung formuliert: Stellt euch gemeinsam vor die Demokratie! Passiert ist das noch nicht. Wo ist der gemeinsame Auftritt aller Parteichefs vor der Öffentlichkeit? Wo bleibt das Unterhaken? Von Berlin bis Buxtehude haben die Bürger gezeigt, wie es geht. Wir warten, liebe Damen und Herren in der Politik!
Ohrenschmaus
Alle zusammen: Das ist gar nicht schwer!
Demo-Hotspot Saarbrücken
So wie in vielen weiteren deutschen Städten wollen heute auch in Saarbrücken wieder Bürger gegen rechts demonstrieren: Unter dem Motto "Gegen die AfD – an jedem Tag!" beginnt die Kundgebung um 17.30 Uhr auf dem Landwehrplatz. Weil aber auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zu Besuch ins Saarland kommt (er übergibt Ministerpräsidentin Anke Rehlinger einen Förderbescheid für grünen Stahl), wird es nicht bei dieser einen Protestveranstaltung bleiben. Vielmehr planen wütende Bauern, mit 200 Traktoren auf dem Ludwigsplatz gegenüber der Staatskanzlei Stellung zu beziehen und wegen der Agrardieselsubventionen den Druck auf die Ampelkoalition zu erhöhen. Weiterhin sind ein Mahnfeuer und eine Schlepper-Demo in Blieskastel vorgesehen, wo der Vizekanzler später am Tag ein Werk besucht. Verkehrstechnisch wird es also eng an der Saar.
Frauen für Europa
Der Europawahlkampf nimmt Fahrt auf. An diesem Wochenende küren sowohl SPD als auch FDP in Berlin ihre Kandidaten für die Europawahl am 9. Juni – und beide Parteien setzen auf Frauen an der Spitze. Für die Sozialdemokraten soll erneut die ehemalige Generalsekretärin, Familienministerin und Justizministerin Katarina Barley als deutsche Nummer eins ins Rennen gehen, obwohl sie 2019 nur enttäuschende 15,8 Prozent erreichte. Die Liberalen wollen ihr Talkshow-Schlachtross Marie-Agnes Strack-Zimmermann nach Brüssel und Straßburg schicken. Zieht man dann noch in Betracht, dass für die Grünen Terry Reintke antritt und für die Linke die parteilose Klima- und Flüchtlingsaktivistin Carola Rackete, erscheint die Entscheidung über die führenden Köpfe für Europa in Deutschland immer mehr als Damen-Wahl. Finde ich gut. Fehlt nur noch, dass EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ihre Kandidatur für eine zweite Amtszeit erklärt. Mitte Februar dürfte es so weit sein.
Eilantrag zum Gazakrieg
Ende Dezember hatte Südafrika beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag Klage wegen Völkermords gegen Israel eingereicht. Das Verfahren zu diesem Vorwurf kann noch Jahre dauern. Damit verbunden ist aber auch ein Eilantrag Südafrikas, im Gazakrieg einen sofortigen Waffenstillstand anzuordnen – und hierzu will das höchste Gericht der Vereinten Nationen heute seine Entscheidung verkünden. Zwar haben die UN-Richter keine Machtmittel, um ein Ende der Kämpfe durchzusetzen. Eine einstweilige Verfügung gegen Israel würde aber den internationalen Druck auf das Land erhöhen. Meine Kollegin Marianne Max zeigt Ihnen, wie sich die Länder der Welt zu der Initiative positionieren.
Lesetipps
Deutschland hat ein gewaltiges Problem mit Antisemitismus – allerdings keinesfalls nur von rechts. Welche großen Gefahren vom Islamismus und vom Linksextremismus ausgehen, erklärt der Historiker Michael Wolffsohn im Gespräch mit meinem Kollegen Marc von Lüpke.
Nicht nur bei den Katholiken, auch in der evangelischen Kirche gibt es brutalen Missbrauch: Eine Studie enthüllt systematische sexuelle Gewalt, deren Aufarbeitung gezielt verschleppt wurde.
Unterstützen die Eisenbahner geschlossen den Crashkurs von Gewerkschaftschef Claus Weselsky? Auf keinen Fall, zeigt mein Kollege Malte Bollmeier.
In Deutschland erstarken Rechtspopulisten. Das liegt auch an der Klimakrise, erklärt unsere Kolumnistin Sara Schurmann.
Zum Schluss
Die deutsche Bevölkerung ist auf 84,7 Millionen Menschen gewachsen.
Ich wünsche Ihnen einen hellsichtigen Tag.
Herzliche Grüße
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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