Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch So wenig hat niemand verdient
Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
Haben Sie 45 Jahre lang 40 Stunden in der Woche gearbeitet und dabei mindestens 3.602 Euro verdient? Herzlichen Glückwunsch! Dann bekommen Sie 1.500 Euro Rente, sagt das Arbeitsministerium. Das Problem ist nur: Von derzeit 22 Millionen Vollzeitbeschäftigten in Deutschland verdienen etwa 9,3 Millionen Menschen weniger. Also fast die Hälfte.
Was das Ministerium außerdem nicht sagt: Viele Arbeitnehmer kommen gar nicht auf 45 Beitragsjahre.
Embed
Es sind verwirrend viele Zahlen, aber die Erkenntnis ist simpel. Um im Alter nicht mit sehr wenig Geld dazustehen, muss man heute gut verdienen. Das deutsche Durchschnittseinkommen liegt mit 4.105 Euro nur ein wenig höher.
Die Aussichten sind düster. Real stagnieren die Renten seit Jahren, während die Preise steigen.
Die kleinen Renten verschärfen noch ein weiteres Problem, nämlich die Unzufriedenheit mit dem Staat – eine Herausforderung für die Demokratie insgesamt. Denn wer wenig Geld hat, ist mit höherer Wahrscheinlichkeit unzufrieden mit der Demokratie, geht seltener wählen, ist anfällig für Populismus. Armut und Ungleichheit sind Wasser auf die Mühlen der Anti-Demokraten.
Die Kehrseite der Medaille: Etwa 2,1 Beitragszahler finanzieren derzeit eine Rentnerin oder einen Rentner. Im neuen Bundeshaushalt sind von insgesamt 446 Milliarden Euro mehr als ein Viertel aller Ausgaben (127 Milliarden Euro) als Zuschuss zur Rentenversicherung eingeplant. Dadurch fehlt Geld an anderer Stelle, bei Investitionen, Bildung, Infrastruktur.
So bleiben kann das nicht.
Lösungsansätze gibt es viele, und sie sind sehr unterschiedlich. Warum sollten die kleinen Renten nicht überdurchschnittlich steigen? Oder bestimmte Renten nicht mehr so stark erhöht werden? Oder warum sollte nicht freiwillig länger arbeiten, wer das möchte? Dazu mehr Zuwanderung und die neue Aktienrente. Wir werden nicht eine Maßnahme brauchen, sondern viele kreative Ideen kombinieren müssen, um das Problem in den Griff zu bekommen.
Doch weil die Ideen so unterschiedlich sind, wird gerne öffentlichkeitswirksam gestritten. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm forderte neulich unter großem Protest, man müsse das Rentenniveau an die Lebenserwartung koppeln. Die Rente mit 67 sei nicht mehr zu finanzieren. Bundeskanzler Olaf Scholz widersprach umgehend. In anderen europäischen Ländern gibt es ähnliche Regeln allerdings schon.
Arbeitsminister Hubertus Heil hat schon im Sommer als Ziel ausgegeben, das Rentenniveau solle langfristig nicht unter 48 Prozent sinken. Auch wenn das bedeuten würde, die Rentenbeiträge in einigen Jahren deutlich zu erhöhen.
Die politische Botschaft muss noch viel simpler sein. Niemand darf am Ende eines Arbeitslebens arm sein. Nicht heute und auch in Zukunft nicht.
Die Termine
Die Deutsche Nationalmannschaft spielt um 21 Uhr in Dortmund. Für ein Wiedersehen mit Rudi Völler am Spielfeldrand lohnt es sich einzuschalten. Im Ergebnis würde der Mannschaft wohl kaum einer den Sieg gegen Frankreich zutrauen. Doch wie sagte mal jemand? Im Fußball ist alles möglich.
Apple stellt in Kalifornien voraussichtlich das iPhone 15 vor. Worüber Firmenchef Tim Cook dann nicht reden wird: China hat seinen Beamten vor wenigen Tagen verboten, iPhones zu nutzen. Der Konzern kann gute Nachrichten also gebrauchen.
Israel steht vor einer Staatskrise. Das Oberste Gericht beginnt die Anhörung zum umstrittenen Justizumbau, in deren Zentrum das Gericht selbst steht. Die Richter wollen mehrere Wochen lang beraten. Dann aber ist es durchaus wahrscheinlich, dass sie das Gesetz einkassieren – und die Regierung das nicht akzeptieren wird.
Die Bundesinnenministerin und hessische SPD-Spitzenkandidatin Nancy Faeser wiederum sieht sich mit neuen Vorwürfen konfrontiert. Eine große Boulevardzeitung zitiert aus internen Vermerken ihres Ministeriums. Die nähren erneut Zweifel an den Gründen für die Abberufung von Ex-BSI-Chef Arne Schönbohm.
Was lesen?
Der 8. Mai ist ein Tag der Befreiung. Das stellt AfD-Chefin Alice Weidel nun infrage. Mein Kollege Christoph Schwennicke fasst das Ungeheuerliche zusammen.
Die Schweiz ist das beliebteste Auswanderungsland der Deutschen. Warum? Das hat einer der Auswanderer meiner Kollegin Dorothea Meadows erzählt.
Wladimir Putin will offenbar den Tiergarten-Mörder gegen westliche Gefangene austauschen. Mein Kollege Daniel Mützel fasst die Recherche des "Wall Street Journals" (engl.) zusammen. Und erklärt, warum ein möglicher Deal Bundeskanzler Olaf Scholz in eine schwierige Situation bringt.
Das historische Bild
Die Geschichte der Olympischen Spiele ist reich an Heldensagen, eine besondere lieferte ein Spitzenathlet, der ohne Schuhe Marathon lief. Hier lesen Sie mehr.
Ohrenschmaus
Heute vor 60 Jahren standen die Fab Four in London für ihr zweites Album im Studio. "With the Beatles" sollte auch in Deutschland ein Erfolg werden, und wurde extra für uns neu vertont.
Zum Schluss
Die Lösung aller Probleme des deutschen Fußballs.
In den nächsten Tagen wird es kühler in Deutschland, auch der Regen kehrt an einigen Orten zurück. Für heute wünsche ich Ihnen noch einen sommerlichen Tag. Morgen schreibt Florian Harms wieder an dieser Stelle.
Herzliche Grüße
Ihr
Peter Schink
Stellvertretender Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
Den täglichen Tagesanbruch-Newsletter können Sie hier kostenlos abonnieren.