Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Es ist kein Geheimnis mehr, dass etwas nicht stimmt
Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
In Zukunft wird alles besser. Das ist eine dieser Versprechungen, die wir alle naselang zu hören bekommen. Versuchen wir uns also an einem Gedankenexperiment – und malen uns die Zukunft, wie sie uns gefallen könnte. Rosige Aussichten in bunten Farben, vielfältig, klug, voller innovativer Ideen. Eine ideale Fernsehwelt der Moderne. Schnitt.
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Louis Klamroth in einem sportlich-schicken Outfit: weiße Sneakers, schwarze Chinohose, lockeres Hemd. Der Moderator lächelt, um ihn herum edles Interieur in gedeckten, aber keineswegs blassen Farben. Das "Hart aber fair"-Studio versprüht Aufbruchstimmung: Materialien aus Holz und Metall, die Sitzmöglichkeiten bequem, ohne altbacken zu wirken. Die Gäste fühlen sich wohl darin. Sie sitzen aufrecht, wirken aufmerksam.
Riesige Screens bilden den Hintergrund, hüllen den Raum in eine zum Thema passende Sphäre. Gerade so elegant, dass es nicht futuristisch wirkt. Zeitgemäß eben – so wie auch die Ansprache, die Moderation. Keine Karteikarten, kein oberlehrerhaftes Stehpult, keine Floskeln. Klamroth spricht mit seinen Gästen auf Augenhöhe, lässt sie ausreden, aber spürt, wenn es an der Zeit ist, das Tempo anzuziehen. Ihm dienen geschickt arrangierte, dynamisch geschnittene Einspielfilme voller Expertise und Hintergrundwissen als Mittel der Auflockerung. Schnitt.
Die 75 Minuten Gesprächszeit sind wie im Flug vergangen. Sie brachten Mehrwert und Unterhaltung. Die Themenwahl war abseitig – es ging um alternative Urlaubsmodelle zum Schutz des Weltklimas – und traf doch einen Nerv. Lange (oder noch nie?) hatte sich niemand mehr in einer der zahlreichen öffentlich-rechtlichen Talkshows so profund mit diesem Thema befasst. Kein Jens Spahn oder Norbert Röttgen, kein Karl Lauterbach oder Carlo Masala weit und breit. Erfrischend neue Gesichter bevölkerten das WDR-Studio von "Hart aber fair": fast schon eine Sternstunde des Fernsehens. Schnitt.
Tags darauf lädt Markus Lanz in seine gleichnamige Talkshow. ZDF statt ARD, Hamburg statt Köln – und auch sonst alles anders. Keine personelle, keine inhaltliche Überschneidung. Lanz diskutiert mit Expertinnen und Betroffenen über vernachlässigte bis verheimlichte Risiken in der Schönheitschirurgie. Es werden Missstände aufgedeckt, neue investigative Rechercheergebnisse präsentiert. Am nächsten Tag wird die Diskussion in den Medien weitergeführt: ein echter Coup für die Redaktion von "Markus Lanz".
Ausgeträumt.
Vorhang auf für die Wirklichkeit: Louis Klamroth lud gestern zum Thema "Die Wirtschaft lahmt: Wie wird Deutschland wieder spitze?" und zu Gast war unter anderem Jens Spahn. Gähn. Der Look der Sendung: Eins zu eins der gleiche wie einst unter Frank Plasberg. Alles ein bisschen angestaubt, alles irgendwie gestrig. Heute Abend kommt der nächste Talkmaster zurück aus der Sommerpause: Markus Lanz. Die Chancen, dass wieder CDU-Mann Spahn unter den Gästen ist, besteht durchaus. Schließlich war er zuletzt am 27. Juni dieses Jahres bei Lanz – für die öffentlich-rechtlichen Talkshow-Gesetzmäßigkeiten geradezu eine Ewigkeit her.
Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass etwas nicht stimmt im deutschen Talkshow-Staat. Ob Anne Will, Sandra Maischberger, Louis Klamroth, Maybrit Illner oder Markus Lanz: Im Prinzip liefern sie alle das Gleiche, nur eben unter anderem Namen. Wirklich originell geht es in den Studios von ARD und ZDF nicht zu. Das haben selbst die Verantwortlichen bemerkt. "Eine Neujustierung der politischen Gesprächssendungen ist erforderlich", mahnte ARD-Programmdirektorin Christine Strobl im Juni dieses Jahres. Recht hat sie. Doch die Mühlen der ARD mahlen langsam. Passiert ist seitdem nichts.
Ein gefährlicher Stillstand – oder Vorbote einer Art Götterdämmerung? Anne Will dankt ohnehin Ende des Jahres ab und die Produktionsfirma von "Hart aber fair" wird 2024 eine andere sein. Vielleicht kommt auch deshalb nun ein Rumoren aus den Kulissen der ARD an die Öffentlichkeit, das eigentlich ein "internes Papier" bleiben sollte. Die "Süddeutsche Zeitung" hat es enthüllt. Demnach befinden sich die ARD-Talkshows allesamt auf dem Prüfstand. Sie seien "in ihrer Machart, ihrem Profil und Inhalt" zu ähnlich, so ein Aufsichtsgremium des Senderverbunds.
Womit wir wieder bei der Zukunft des Fernsehens wären. Es wird Zeit, dass sich das ändert, und zwar schnell. Nicht nur bei der ARD, das ZDF ist genauso gemeint – auch wenn dort bisher kein senderinterner Protest gegen die Talkformate verbürgt ist. Allerdings wird die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten im Frühjahr 2024 vorschlagen, wie hoch der Rundfunkbeitrag zukünftig sein soll. Derzeit berät die Expertenrunde, ob eine Erhöhung auf 18,36 Euro monatlich berechtigt ist. Zwischen 2025 und 2028 steht eine neue Beitragsperiode an – und auch Talkshows kosten Geld und müssen sich ihre Legitimation mit sinnvollen Beiträgen erarbeiten.
Schnell könnte auffallen: Die Clubs der ewig gleichen Gesichter und der frappierend ähnlichen Themen eröffnen Einsparpotenziale. Oder wer schreit vor Trennungsschmerz auf, wenn es plötzlich nur noch drei statt fünf Talkrunden in den Hauptprogrammen gibt? Allein das ZDF gibt an: "Talksendungen und Talkmagazine kosten – abhängig von Länge, Anzahl und redaktioneller Gestaltung der Ausgaben – zwischen 40.000 und 100.000 Euro pro Einheit". Eine Stange Geld. Zumal die Minutenpreise der ARD-Formate in der Vergangenheit immer höher beziffert wurden.
Schon jetzt ächzen die Öffentlich-Rechtlichen unter den hohen Rücklagen, die sie für die Pensionszahlungen bilden müssen, unter der Inflation und dem gestiegenen Kostendruck. Es wird bereits gespart – vielleicht jedoch an der falschen Stelle? Die aktuelle Diskussion um die Talkshow-Flut könnte genau diese Frage wieder aktueller denn je machen. Daher ist es richtig, dass eine "Neujustierung" angestrebt wird. Die Verantwortlichkeiten sollten gebündelt werden, um das Projekt erfolgreich zu machen – vor allem innerhalb eines Senderverbunds.
Derzeit ist das ein einziges Kuddelmuddel. "Hart aber fair" und "Maischberger" werden vom WDR verantwortet, die Sendung von Anne Will liegt beim NDR und dazwischen kochen die jeweils zuständigen Produktionsfirmen ihr eigenes Fernsehsüppchen. Es gibt keine übergeordnete, ARD-geführte Koordination – und das ist Murks.
Denn was ist eigentlich der Sinn einer Talkshow? Ein Ideenaustausch und ein Wettbewerb der Meinungen mit Erkenntnisgewinn. Dafür wären Rahmenprogramme, Themenabende und eine crossmediale Sendungsgestaltung viel sinnvoller als das Schielen auf die Quote am Folgetag. Eine Reportage zum Thema, eine Talkshow im Anschluss, um die Rechercheergebnisse zu diskutieren: Das könnte auch gelingen, wenn der WDR einen 90-Minüter liefert und der NDR nachfolgend die passende Talkshow produziert. Allein: Es fehlt an Willen und Struktur.
Dabei kann das doch alles nicht so schwer sein. Ob Personal, Gestaltung oder Programmierung: ARD und ZDF können ihre Plauderformate auf allen Ebenen optimieren. Verkrustete Abläufe auflösen, agiler werden, Mut haben: Dann gelingt der Sprung in die Zukunft namens Gegenwart – und es schalten vielleicht auch wieder mehr jüngere Zuschauer ein. Es wäre bitter nötig.
Eine Leichtathletik-Weltmeisterschaft ohne deutsche Erfolge?
Die WM in Budapest läuft – und wir laufen nur hinterher? Auch die deutsche Hoffnung und Doppel-Europameisterin Gina Lückenkemper aus Berlin konnte gestern nichts an dem aus deutscher Sicht betrüblichen Medaillenspiegel ändern. Heute also der nächste Anlauf. Meine Kollegin Melanie Muschong aus dem Sportressort ist derzeit in Ungarn vor Ort und rechnet Tobias Potye im Hochsprung Chancen aus. Dabei ist Potye "der Hochspringer, der nicht im Training springt", wie sie berichtet.
Was wir außerdem im Blick behalten sollten: das Diskuswerfen der Frauen um 20.20 Uhr. Mit Shanice Craft, Kristin Pudenz und Claudine Vita sind alle drei deutschen Starterinnen im Finale – und damit ein Hoffnungsschimmer auf Edelmetall.
Stürmerstar im Babyglück
Apropos sportliche Erfolge: Der englische Nationalstürmer Harry Kane hat mit seinem Wechsel zu Bayern München eine Euphoriewelle unter den Anhängern des Rekordmeisters ausgelöst. Damit es mit den ganz großen Titeln klappt, braucht es aber das passende Umfeld für den Mehr-als-100-Millionen-Euro-Einkauf. Diese private Wohlfühloase hat nun Form angenommen. Der 30-Jährige und seine Frau Kate sind erneut Eltern geworden. Was der vierfache Vater über sein Neugeborenes verrät, lesen Sie hier.
Keine Show für Putin
Der sogenannte Brics-Gipfel beginnt heute in Südafrika, doch der russische Präsident Wladimir Putin ist wegen eines internationalen Haftbefehls zum Zuschauen verdammt. Gastgeber sind die Staats- und Regierungschefs Brasiliens, Russlands, Indiens und Chinas. Putin lässt sich dabei von seinem Außenminister Sergej Lawrow vertreten – und will seine Botschaften wenigstens per Videokonferenz verbreiten.
Das historische Bild
Stolz war Frankreich 1932 auf seinen Luxusdampfer "Normandie", doch das Ende des Schiffes war tragisch. Hier erfahren Sie mehr.
Zum Schluss
Ich wünsche Ihnen einen vergnüglichen Dienstag. Morgen schreibt t-online-Chefredakteur Florian Harms an dieser Stelle.
Beste Grüße
Steven Sowa
Stellvertretender Unterhaltungschef
Twitter: @StevenSovani
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Mit Material von dpa.
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