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Friedrich Merz gegen die AfD: Strategie des CDU-Politikers ist gefährlich


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Tagesanbruch
Ein ungeheurer Verdacht


Aktualisiert am 01.08.2023Lesedauer: 6 Min.
Friedrich Merz: Der CDU-Chef lehnt ein Verbot der AfD ab.Vergrößern des Bildes
Friedrich Merz: Er meint, was er sagt. (Quelle: Chris Emil Janssen/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

ich weiß, es ist Ferienzeit in Deutschland, vielleicht machen Sie gerade Urlaub. Ich gönne es Ihnen sehr. Doch spätestens nach diesem Wochenende fürchte ich, dass wir noch einmal über ein unangenehmes, kompliziertes Thema sprechen müssen: den Umgang mit der AfD. (Wenn Ihnen schon jetzt die Urlaubslaune vergeht, können Sie sich diesen Tagesanbruch ja für später aufbewahren. Ich habe das dumme Gefühl, er wird auch dann noch aktuell sein.)

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Ich möchte Sie gar nicht mit dem gefährlichen Unsinn belästigen, den Kandidaten auf dem Europaparteitag der AfD am Wochenende geredet haben. Auch wenn es wichtig ist, hinzuhören und zu berichten, wie es meine Kollegin Annika Leister getan hat und weiter tun wird. Es reicht für heute Morgen, die Einschätzung des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, zu zitieren: Da wurden "rechtsextremistische Verschwörungstheorien" verbreitet und Positionen vertreten, "die nicht mit unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar" sind.

Das ist für die AfD nicht neu, aber es zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, darüber nachzudenken, was Demokraten mit dieser Erkenntnis anfangen. Denn obwohl viele ihrer Positionen mit unserer demokratischen Grundordnung nicht vereinbar sind, sitzt die AfD eben längst in unseren demokratischen Parlamenten: in der EU, im Bund, in fast allen Ländern – und auch in vielen Kommunen.

Demokratisch gewählte Undemokraten – schon das lässt erahnen, dass es einfache Lösungen für einen Umgang mit der AfD nicht geben wird. Der CDU-Chef Friedrich Merz hat es sich kürzlich aus Sicht vieler Parteifreunde zu einfach gemacht. Im Sommerinterview sagte er, man müsse "akzeptieren", dass die AfD bei Wahlen gut abschneide. Es müsse "in den Kommunalparlamenten dann auch nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet".

Auf Twitter präzisierten seine Leute, das Verbot der Zusammenarbeit mit der AfD gelte "für die gesetzgebenden Körperschaften, also im Europaparlament, im Bundestag und in den Landtagen". Viele Liberale in der Partei widersprachen dieser Interpretation des Beschlusses energisch. Der Widerstand wurde so groß, dass Merz am nächsten Tag das Gegenteil behaupten musste. Die Beschlusslage der CDU gelte, es werde "auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit geben".

Problem gelöst? Sie ahnen es: leider nicht. Es reicht viel tiefer. Schon jetzt gibt es sie, die Fälle in den Kommunen, in denen Parteien mit der AfD zusammenarbeiten. Und zwar nicht nur die CDU, sondern auch die SPD, die Grünen und sogar die Linke.

Vor allem aber sollte man einen ungeheuren (Vorsicht: Ironie!) Verdacht haben: Friedrich Merz meint in der Regel, was er sagt. Auch wenn er am nächsten Tag das Gegenteil behauptet. Seine versuchte Kurskorrektur in den Kommunen passt genau in seine generelle Strategie im Umgang mit der AfD, die sich schon seit Wochen abzeichnet. Was uns zum nächsten, noch größeren Problem führt: Andere Politiker und viele Forscher halten Merz' Strategie für hochgefährlich.

Friedrich Merz ist davon überzeugt, die AfD überflüssig machen zu können, wenn er bei ihren Themen einfach auch eine harte Linie vertritt. Er will die Sorgen der Menschen ernst nehmen und Lösungen für sie finden, so könnte man das wohlwollend beschreiben. Weniger wohlwollend: Er will selbst ein bisschen AfD spielen, damit es die AfD nicht mehr braucht.

Es ist der Grund dafür, dass Merz seinen neuen Generalsekretär Carsten Linnemann kürzlich Schnellverfahren für Randalierer in Freibädern fordern ließ. Junge Männer, "oft mit Migrationshintergrund", wie er sagte. Linnemann – auch das ist natürlich kein Zufall – gehört anders als sein liberaler Vorgänger Mario Czaja dem konservativen Wirtschaftsflügel der Partei an.

Und es ist auch der Grund dafür, dass Merz den Parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, fordern ließ, das vom Grundgesetz garantierte individuelle Asylrecht abzuschaffen. Frei schrieb in seinem Gastbeitrag für die "FAZ", das europäische Asylsystem beruhe auf "Lüge" und "Heuchelei". Und polemisierte gegen die "lautesten Vertreter eines 'Wir schaffen das!'" – immerhin der berühmte Ausspruch der CDU-Kanzlerin Angela Merkel. Merz nannte das einen "wichtigen und guten Beitrag".

Seinen Versuch, die AfD zu bekämpfen, hat Friedrich Merz dann auch noch selbst recht treffend beschrieben. Die CDU werde künftig zeigen, sagte er, dass sie eine "Alternative für Deutschland mit Substanz" sei. Eine AfD mit Substanz – auch so etwas purzelt einem CDU-Chef nicht einfach zufällig aus dem Mund.

Bei der Zusammenarbeit in den Kommunen dürfte Friedrich Merz' Kalkül ähnlich sein. Hier wie dort will er der AfD die Chance nehmen, sich zu profilieren, indem sie behauptet, sie sei die einzige Partei, die sich um die wahren Sorgen der Menschen kümmere. Was nach dieser Logik im Bund das Asylrecht ist, ist in den Kommunen etwa das Schlagloch. Kann die AfD es nicht zu leicht skandalisieren, wenn die CDU eine Reparatur ablehnt, nur weil der Antrag von der AfD kommt?

Es gibt in Berlin führende Politiker anderer Parteien, die Friedrich Merz glauben, dass er die AfD bekämpfen und nicht heimlich hoffähig machen will. Doch seine Strategie finden sie grundfalsch, und viele Wissenschaftler tun das auch. Mehrere Studien zeigen, dass die AfD nicht geschwächt, sondern eher gestärkt wird, wenn konservative Parteien ihnen nacheifern.

Denn was erst mal gar nicht verkehrt klingt, führt gleich zu mehreren Problemen. Wer versucht, der AfD ihre Themen wegzunehmen, muss ein bisschen so wie die AfD sprechen und macht ihre Themen groß. In der Debatte aber wird die AfD immer den Vorteil haben, noch einen Schritt weiter gehen zu können als alle anderen, die sich noch an so Dinge wie Rechtsstaat und Demokratie gebunden fühlen. Auf der Suche nach einfachen Lösungen gewinnt immer der Schamloseste. Und das ist die AfD.

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Selbst wenn der AfD mal ein Aufreger abhandenkommen sollte, sucht sie sich einfach einen neuen. Das zeigt schon ihre Geschichte: Nach dem Euro waren es die Flüchtlinge. Nach den Flüchtlingen war es Corona. Und nach Corona sind es die Hitzeschutztipps von Karl Lauterbach. Banal? Egal. Hauptsache es knallt.

Es lauter knallen zu lassen als die AfD, ist quasi unmöglich. Und da ihre Wähler sie genau dafür und für die vermeintlich einfachen Lösungen wählen, gibt es für sie wenig Grund, plötzlich die nicht ganz so aufgeregte Kopie namens Friedrich Merz und seine CDU zu wählen.

Es ist wahrscheinlicher, dass etwas anderes passiert: Wer so schamlos redet wie die AfD, signalisiert den Menschen, dass Schamlosigkeit okay ist. Plötzlich erscheinen Dinge normal, die früher verpönt waren. Man gewöhnt sich an die ständigen Schamlosigkeiten. Der Diskurs verschiebt sich – und die AfD profitiert. Denn sie bekommt Aufmerksamkeit, wenn über ihre Themen diskutiert wird. Und gleichzeitig sinkt die Hemmschwelle, sie zu wählen.

Für die Zusammenarbeit in den Kommunen bedeutet das alles, dass es gut wäre, es sich nicht so leicht zu machen wie Friedrich Merz. Einfach zu sagen, in den Gemeinden, wo jeder jeden kennt, funktioniert es nicht anders und sowieso geht es ja nur um Turnhallen und Kitas, wird der AfD nicht gerecht. Und der wichtigen Arbeit in den Gemeinden ebenso wenig.

Das bedeutet nicht, dass es einfach ist. Es bedeutet noch nicht mal, dass es immer gelingen wird. Dazu sind die Gemeindeordnungen in Deutschland zu verschieden, die Verhältnisse und Mehrheiten mitunter zu schwierig und speziell. Wenn die AfD den Landrat oder Bürgermeister stellt, wird es quasi unmöglich. Aber den Anspruch nur deshalb aufzugeben, weil es nicht immer gelingen wird, kann auch nicht die Lösung sein.

Es beginnt schon bei dem ominösen AfD-Antrag, der in diesen Tagen so oft als Beispiel angeführt wird, mit dem ein Schlagloch beseitigt werden soll. Denn wenn das Schlagloch wirklich allen so wichtig ist, hindert die demokratischen Parteien in der Regel nichts daran, es einfach mit einem eigenen Antrag zu stopfen. Statt der AfD diesen Erfolg zu gönnen – und sie so als etwas erscheinen zu lassen, was sie nicht ist: eine gewöhnliche Partei.


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Zum Schluss

Ich wünsche Ihnen einen schönen Dienstag.

Ihr Johannes Bebermeier
Politischer Reporter
Twitter: @jbebermeier

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Mit Material von dpa.

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