Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Urlaub wird für viele Deutsche unbezahlbar
Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
zum Wachwerden ein kleines Quiz gefällig? Wenn ich Ihnen sage, dass heute der Siebenschläfertag ist, wissen Sie dann, was das bedeutet? Genau, dass uns in den kommenden Sommerwochen dasselbe Wetter bevorsteht wie heute. "Das Wetter am Siebenschläfertag sieben Wochen bleiben mag", lautet eine Bauernregel. Eine andere prophezeit eher düster: "Ist der Siebenschläfer nass, regnet's ohne Unterlass." Falls diese Regeln wirklich stimmen (diesbezüglich ist auf das Brauchtum leider nicht hundertprozentig Verlass), erwartet uns mit Blick auf die heutige Wettervorhersage ein recht ersprießlicher Sommer: Zwischen Flensburg und Füssen steigt das Thermometer auf 20 bis 25 Grad, Sonne wechselt sich mit Wolken ab, und damit es nicht zu trocken wird, regnet es auch hier und da. So weit, so gut.
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Wenn ich Sie nun auch noch frage, woher der Siebenschläfertag seinen Namen hat, wissen Sie das dann auch? Na klar wissen Sie's, weil Sie als t-online-Leserin (oder -Leser) ja ein Schlaufuchs sind (beziehungsweise eine Schlaufüchsin): Da gibt es doch diese niedlichen Nagetiere mit buschigem Schwanz, schwarzen Augen, runden Ohren und …
Ha! Erwischt! Falsche Antwort, total falsch. Aber grämen Sie sich nicht, ich hätte es auch nicht gewusst, deshalb habe ich schnell nachgesehen, als ich diese Zeilen tippte: Der Siebenschläfertag bezieht sich auf eine urchristliche Legende, der zufolge sieben Brüder einst in Ephesos an der Ägäisküste wegen ihres Glaubens verfolgt und in eine Höhle eingemauert wurden. Sage und schreibe 195 Jahre später, am 27. Juni anno 446, entdeckte man sie dort – und das Wunder geschah: Die sieben Schläfer erwachten wieder zum Leben und bezeugten den Glauben an die Auferstehung der Toten. Soweit die Legende.
Zurück ins Heute, wo es weniger Wunder, dafür aber genauere Wettervorhersagen gibt. Der Himmel zeigt sich nach der Hitzeperiode angenehm mild, der Sommer verspricht also schön zu werden. Da wächst die Vorfreude auf den Urlaub. Ob am Frühstückstisch, in der Schule oder im Büro: Landauf, landab spricht man dieser Tage über bevorstehende Ferienaktivitäten. Der eine jettet nach Thailand, die andere radelt die Donau hinunter. Familien rüsten sich für die Fahrt an die Ostsee, die Atlantikküste oder in die Alpen. Pärchen packen die Rucksäcke für den Städtetrip nach Barcelona, Kopenhagen oder Amsterdam. Stimmt schon, was der Volksmund sagt: Vorfreude ist die schönste Freude. Da schmeckt man die Pizza Quattro Stagioni schon vorab auf der Zunge, riecht das Meersalz in der Luft, fühlt die Höhensonne auf der Haut. Herrlich, herrlich, der wohlverdiente Urlaub ist wirklich jedem zu gönnen.
Erlauben Sie mir dennoch heute Morgen, ein wenig Wasser in den Urlaubswein zu gießen. Denn ich bin hellhörig geworden, als ich eine Meldung im "Spiegel" las: Ein Viertel der Deutschen hat kein Geld für Urlaub, meldet das Magazin unter Berufung auf eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey unter mehr als 10.000 Befragten. Vor allem Menschen in den unteren Einkommensklassen sind demnach betroffen:
65 Prozent der Leute in Haushalten mit einem Nettoeinkommen von weniger als 1.500 Euro im Monat fehlt das Geld für eine Reise.
In Haushalten mit einem Einkommen von 1.500 bis 2.499 Euro sind es 39 Prozent.
Bemerkenswert: Auch unter den Angehörigen der Mittelschicht mit einem Netto-Monatseinkommen von 2.500 bis 3.499 Euro sagen 20 Prozent, ein Urlaub sei zu teuer für sie.
Die Prozentzahlen schwanken, aber der Grund ist stets derselbe: Angesichts der hohen Inflation und der stark gestiegenen Preise für Hotels, Ferienwohnungen, Flüge und Züge muss ein Viertel der Bundesbürger auf den Urlaub verzichten. Nix mit Quattro Stagioni in bella Italia, Meeresbrise oder Höhensonne.
Nun mögen hartherzige Zeitgenossen erwidern: Na und? Auf dem Balkon oder im Park ist's doch auch schön! Empathischere Charaktere jedoch verstehen: Es macht etwas mit Menschen, wenn sie feststellen, dass sie sich ihren früheren Lebenswandel nicht mehr leisten können. Dass nicht mehr geht, was früher noch ging. Oder dass noch nie ging, was man sich sehnlichst wünscht. Dass viele andere genießen dürfen, was man selbst sich versagen muss. Ein wenig Sparsamkeit verkraftet jeder, aber wenn das Geld nicht mehr für die schönsten Momente des Lebens reicht, schleicht sich etwas ein: ein Gefühl der Enttäuschung. Vielleicht auch der Unzufriedenheit mit der allgemeinen Lage des Landes. Bei manchen womöglich auch des Neides auf all die anderen, die nun über ihre bevorstehenden Reisen plaudern, während man selbst daheim hocken muss.
Ich nehme dieses Gefühl ernst. Und dachte mir gestern, während ich diese Zeilen schrieb: Wie wäre es denn, wenn sich möglichst viele Sommerurlauber an den Tagen vor ihrer Abreise im eigenen Stadtviertel oder am Wohnort umsehen und nach weniger Begüterten schauen? Und wenn sie diesen dann eine kleine Freude machen? Eine Tageskarte im Spaßbad für Kinder, einmal Eis satt für eine ganze Familie, ein Kinobesuch für Ältere oder einfach nur eine Stunde Zeit, um mal mit der Seniorin von gegenüber eine Tasse Kaffee zu trinken: Anderen Menschen eine Freude zu machen ist gar nicht schwer. Und das Beste ist: Man ist hinterher auch selbst glücklicher.
Ohrenschmaus
Apropos Ferien: Das ham wir uns verdient!
Urteil gegen Autoboss
Nach Strich und Faden hatte Audi seine Kunden betrogen: Der Autokonzern baute eine Technik zur Manipulation der Abgaswerte in seine Dieselmotoren ein. Lange behauptete der ehemalige Firmenchef Rupert Stadler, er habe davon nichts gewusst. Doch ein monatelanges Gerichtsverfahren in München entlarvte ihn. Stadler knickte ein und schloss mit der Staatsanwaltschaft einen Deal. Er legte ein Teilgeständnis ab und soll dafür nun Straferleichterung bekommen: wohl rund eine Million Euro Strafgeld und bis zu zwei Jahre Gefängnis auf Bewährung. Mit Blick auf Zigtausende geschädigte Autokäufer kann man das gering finden. Trotzdem wäre der heute erwartete Richterspruch wegweisend: Erstmals würde im europäischen Abgasskandal ein Vorstandsvorsitzender verurteilt.
Wankender Diktator
Wladimir Putin kämpft um seine Macht: Nach dem Putschversuch der Wagner-Söldner versucht der Kremlchef krampfhaft, seine Autorität wiederherzustellen. In einer Fernsehansprache stellte er der Truppe von Warlord Jewgeni Prigoschin gestern Abend ein Ultimatum: Die Männer sollen sich entweder dem Verteidigungsministerium unterstellen oder abdanken oder nach Belarus verschwinden. Die "Organisatoren der Meuterei" jedoch würden zur Rechenschaft gezogen – eine unmissverständliche Todesdrohung gegen seinen ehemaligen Kumpanen Prigoschin. Hier lesen Sie die Rede im Wortlaut. Und was sagt der Warlord dazu, dass er in sozialen Medien verunglimpft wird? Unser Rechercheur Lars Wienand hat ihn gefragt – und eine bemerkenswerte Antwort bekommen.
Baerbock fühlt vor
Wie reagieren Moskaus Freunde auf die Eskalation in Russland? Südafrikas Regierung hält Putin bislang die Treue – bleibt das so? Das will Außenministerin Annalena Baerbock heute in Pretoria herausfinden. Außerdem stehen der Klimaschutz und Energiefragen auf der Agenda.
Müder Peitschenheld
Taugt er was, der neue "Indiana Jones"-Film, der am Donnerstag in die Kinos kommt? Mein Kollege David Digili ist leidenschaftlicher Fan der Serie, konnte den Streifen vorab anschauen – und meint zerknirscht: "Diesen Film hätte es so nicht gebraucht."
Koste es, was es wolle
76 Millionen Euro: Kann ein einzelnes Bild wirklich so viel wert sein? Diesen astronomischen Preis erhofft das Auktionshaus "Sotheby's" heute zu erzielen, wenn Gustav Klimts Gemälde "Dame mit Fächer" in London unter den Hammer kommt. Das Bild gilt auch deshalb als so wertvoll, weil es die finale Schaffenskraft des Malers ausdrückt: Es stand noch auf der Staffelei in seinem Atelier, als Klimt 1918 in Wien starb. Vor knapp 30 Jahren wechselte das Bild noch für 10 Millionen Dollar den Besitzer. Die aberwitzige Preissteigerung zur heutigen Summe zeigt: Immer mehr Reiche legen ihr Geld in Kunst an.
Übrigens: Mit 76 Millionen Euro könnte man 210.000 hungernde Kinder ein Jahr lang ernähren.
Grafik des Tages
Die AfD stellt erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik einen Landrat – ausgerechnet in Thüringen, wo die Partei vom Verfassungsschutz als offen rechtsextremistisch eingestuft wird. Landeschef Björn Höcke gilt als Stratege der Unterwanderung demokratischer Institutionen. Rechte Gewalttäter könnten sich durch den Wahlerfolg ermutigt sehen. Eine gefährliche Entwicklung, da Rechtsextremisten immer mehr Gewalttaten begehen, wie der Verfassungsschutzbericht dokumentiert.
Lesetipps
Wie fühlt sich das an unter den AfD-Leuten im Landkreis Sonneberg? Was unsere Reporterin Annika Leister berichtet, klingt beunruhigend.
Alle Welt blickt nach Russland – dabei hat China längst die Herrschaft übernommen: Peking diktiert dem Westen, wo es langgeht, schreibt unser Kolumnist Christoph Schwennicke.
Der Mindestlohn steigt auf 12,41 Euro. Zu wenig, poltern die Gewerkschaften. Dabei ist angesichts der Wirtschaftslage einfach nicht mehr drin, kommentiert mein Kollege Florian Schmidt.
Was bedeutet das Heizungsgesetz für Mieter? Darum hat sich die Ampelregierung zu wenig gekümmert, klagt Lukas Siebenkotten. Im Gespräch mit unserem Reporter Johannes Bebermeier kritisiert der Mieterbund-Chef die neue Regelung scharf.
Das historische Bild
1980 probten Atomkraftgegner den Aufstand und gründeten eine eigene "Republik". Was daraus wurde, erfahren Sie hier.
Zum Schluss
Der Kanzler hat einen Plan.
Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Tag.
Herzliche Grüße
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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