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Staatskrise in Israel, Regierungskrise in der Ampel: Zeit für Revolutionen


Meinung
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Tagesanbruch
Die Revolution hat begonnen

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 28.03.2023Lesedauer: 6 Min.
Nein, künstliche Intelligenz kann den Menschen nicht ersetzen.Vergrößern des Bildes
Nein, künstliche Intelligenz kann den Menschen nicht ersetzen. (Quelle: Imago Images)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

auch heute ist wieder Krise. Wie eigentlich jeden Tag. Die Corona-Krise hatten wir gerade erst hinter uns gebracht, da stürzten wir wegen dem Typen im Kreml in die Energie- und die Inflationskrise und stellten erschrocken fest, dass sich auch die Bundeswehr in der Krise befindet. Klimakrise ist sowieso, Bildungskrise dito. Auch die Bankenkrise ist wieder da, und die Flüchtlingskrise schwillt wieder an. Die Demokratiekrise (Populisten!) und die Umweltkrise (Artensterben!) nicht zu vergessen. Wegen der hohen Kakaopreise warnen Süßwarenhersteller nun vor Ostern auch noch vor der Schokoladenkrise. Es kommt echt knüppeldick.

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"Guten Morgen, liebe Sorgen, seid ihr auch schon alle da?", hat mein Kumpel Jürgen schon vor 36 Jahren geträllert, aber heute ist's echt alles noch viel ärger: Wohin man auch schaut oder klickt, überall Krise. Auch wir bei t-online schreiben täglich über Krisen; mitunter wittern wir selbst da eine, wo vielleicht noch gar keine ist. Immer mehr Menschen sind von dem Daueralarm in Politik, Wirtschaft und Medien abgeschreckt, sie flüchten ins Private, machen die News-Apps zu und zappen weg, wenn die Nachrichten beginnen. "News Fatigue", die "Nachrichten-Müdigkeit", wird bereits an Universitäten erforscht. Die Leute wollen die ständigen Hiobsbotschaften nicht mehr hören.

Schauen wir heute also mal etwas anders auf die Dinge. Nicht mit Scheuklappen und nicht, indem wir dunkle Dinge rosarot färben. Schreiben wir ruhig über Krisen, aber nicht über deren schlimme Seiten. Sondern über die Chancen, die in Krisen liegen. "Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen", hat Max Frisch gesagt. Der musste es wissen, schließlich litt er jahrelang unter persönlichen Krisen. Tatsächlich zeigt ein Blick in die Geschichte, dass Krisen auch viel Gutes auslösen können. Weil sie uns dazu bringen, Gewissheiten zu überdenken und Neues voranzutreiben. Beispiele gefällig? Bitte sehr:

  • Die Pestepidemie im 14. Jahrhundert raffte zwar ein Drittel der europäischen Bevölkerung in den Tod. Sie erschütterte aber auch das engstirnige religiöse Weltbild und bereitete der Renaissance den Weg. Humanismus, Reformation, Alphabetisierung, Seehandel: Von den damaligen Errungenschaften profitieren wir bis heute.
  • Der Erste Weltkrieg zerfetzte in Europa den Frieden und 17 Millionen Menschen. Neue Waffen führten zu schweren Verwundungen, weshalb Mediziner neue Behandlungsmethoden ersannen: Blutbanken und die plastische Chirurgie entstanden. Wissenschaftler forschten unter Hochdruck und brachten ihre Erfindungen nach dem Krieg zur Marktreife, darunter die ersten Antibiotika, das Düsentriebwerk und den Fernseher. In den 1920er-Jahren kam jeder dritte Nobelpreisträger aus dem Kriegsverliererland Deutschland.
  • Der Ölpreisschock in den 1970er-Jahren stürzte die Weltwirtschaft in eine tiefe Krise. Zugleich war er die Geburtsstunde alternativer Technologien, vom Bio-Diesel über die Solarthermie bis zum Windkraftausbau.

Krisen sind schlimm, aber sie können auch schöpferische Kräfte entfalten. Sie beschleunigen Innovationen, weil Menschen gezwungen sind, unter Hochdruck zu improvisieren. Auch die Corona-Krise hat die Welt verändert, und damit meine ich nicht Homeoffice und Videokonferenzen. Welchen gewaltigen Schub die Digitalisierung in den Monaten des Stillstands erfahren hat, als Millionen Menschen monatelang zu Hause saßen und vor Computern brüteten, offenbart nun der raketenhafte Aufstieg der künstlichen Intelligenz (KI).

Eine neue Revolution ist im Gange, und täglich macht die Technologie Quantensprünge. KI erweckt die Stimmen von Toten zum Leben, lässt beispielsweise den 2011 verstorbenen Apple-Gründer Steve Jobs über Covid-19 plaudern. Sie leitet Firmen und ist dabei auch noch erfolgreich. Sie malt per Knopfdruck Bilder nach unseren Wünschen. Gestern Abend (ja, es war schon spät) bat ich zum Beispiel um ein Bild mit dem Titel "Willy Brandt und Olaf Scholz als Brüder, die Wein trinken". Sieht dann so aus:

Gut, das ist ästhetisch noch nicht astrein, aber in ein paar Monaten wird es das sein. Und falls Ihnen das alles unheimlich vorkommt, lassen sie mich ergänzen, dass KI natürlich nicht nur seltsame Bildchen malen, sondern auch sehr viele sinnvolle Dinge tun kann. Schon jetzt kann sie Proteinstrukturen genauer beschreiben als jeder Mensch und Kombinationen gegen Krankheitserreger entwerfen. Schon in 10, 15 Jahren werden wir als Patienten wohl individuell hergestellte Medikamente bekommen, exakt auf unsere Beschwerden abgestimmt und frei von Nebenwirkungen. KI kann Verkehrsströme berechnen und helfen, viel CO2 einzusparen. Sie kann Wetterphänomene kalkulieren und vor Orkanen warnen. Sie kann Texte in jede x-beliebige Sprache übersetzen, was nicht nur im Urlaub, sondern auch in der Diplomatie und der Wissenschaft von Nutzen ist. Sie kann riesige Datenmengen binnen Sekunden durchforsten und uns so dabei helfen, neue Schlüsse zu ziehen und klüger zu werden. Auch im Kampf gegen all die Krisen.

Es ist wie so oft im Leben: Innovationen wirken oft zunächst bedrohlich, haben aber auch viele gute Seiten. Und dass die Maschinen uns Menschen irgendwann unterwerfen, ist eher nicht zu erwarten. "Künstliche Intelligenz kann nur so gut sein wie die Menschen", sagt der Dresdner KI-Forscher Richard Socher, den ich vor ein paar Tagen in New York traf. Er hat eine Suchmaschine gebaut, die mit KI arbeitet, ohne Nutzerdaten abzusaugen. Das könnte ein besseres Google werden. In den kommenden Wochen will er sie auf den deutschen Markt bringen, vor ein paar Tagen hat er Olaf Scholz und dessen Ministern erzählt, was Deutschland tun sollte, um nicht von der digitalen Entwicklung abgehängt zu werden. Informatik als Pflichtfach an Schulen einführen zum Beispiel und Investitionen in Start-ups erleichtern, um Wagniskapitalgeber anzulocken. Schließlich steht nirgendwo geschrieben, dass Digitalkonzerne nur aus Amerika und China kommen dürfen.

Wir erleben eine Revolution, und Deutschland hat gute Chancen, gewaltig von ihr zu profitieren. Dafür müssen wir allerdings schnell sein und die Gelegenheit beim Schopfe packen, statt uns ängstlich wegzuducken. Wäre doch schön, das Google von morgen würde von einem Sachsen erfunden.


Krachkoalition

Apropos Bundesregierung: Nach einem guten Jahr im Amt liegen die Nerven in der Ampelregierung blank. Nach fast 20-stündigen Verhandlungen vertagten sich SPD, Grüne und FDP gestern Nachmittag, weil der Kanzler mit mehreren Ministern zu deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen nach Rotterdam aufbrechen musste. Heute Vormittag geht es im Kanzleramt in die Verlängerung beim Versuch, die Streitthemen abzuräumen.

Zur Erinnerung: Da sind zum einen die Autobahnen, die FDP-Verkehrsminister Volker Wissing im "neuen Deutschland-Tempo" ins Land klotzen will – was die Grünen mit Blick auf den Klimaschutz ablehnen. Da sind zum anderen die konventionellen Öl- und Gasheizungen, deren Einbau die Grünen ab 2024 verbieten wollen, worin SPD und FDP eine Überforderung von Hausbesitzern und Mietern sehen. Und da ist die für 2025 geplante Kindergrundsicherung der grünen Familienministerin Lisa Paus, die FDP-Finanzminister Christian Lindner für unbezahlbar hält. Was schließlich zum alles überlagernden Thema führt: dem Geld. Die Ausgabenwünsche der einzelnen Ressorts sind schlicht zu groß, als dass sie ohne Neuverschuldung zu finanzieren wären, berichtet unser Reporter Johannes Bebermeier.

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Ob die Zerschlagung des Gordischen Knotens heute gelingt? Der Einigungsdruck ist hoch, wenn die Ampelleute CDU-Chef Friedrich Merz Lügen strafen wollen, der die Bundesregierung bereits "stehend k.o." wähnt. Immerhin können die Streithähne diesmal nicht bis in die Puppen disputieren: Um 16 Uhr hat der Kanzler seinen nächsten unaufschiebbaren Termin, dann empfängt er den kenianischen Präsidenten William Ruto. "Ein Kompromiss ist nur dann gerecht, brauchbar und dauerhaft, wenn alle Parteien damit gleich unzufrieden sind", zitiert unserer Chefreporterin Miriam Hollstein das Orakel Henry Kissinger.


Staatskrise in Israel

Zehntausende Demonstranten gehen auf die Straßen, Reservisten verweigern den Militärdienst, Investoren ziehen Geld aus dem Land ab: Der rechte Regierungschef Benjamin Netanjahu hat Israel in eine tiefe Krise gestürzt. Immer mehr Bürger wehren sich dagegen, dass er mit seinen radikalen Koalitionären die Gewaltenteilung aushebelt, indem er die Justiz knebelt. Verteidigungsminister Yoav Gallant flog aus dem Kabinett, weil er eine Verschiebung der "Justizreform" forderte. Prompt trommeln die Gewerkschaften zu noch größeren Streiks. Banken, Kitas, Universitäten und Einkaufszentren sind geschlossen, vom Flughafen Tel Aviv startete gestern kaum ein Flieger.

Der Druck wirkt: Der rechtsextreme Polizeiminister Itamar Ben-Gvir hat angekündigt, dass die Reform auf kommenden Monat "verschoben" werden soll. Netanjahu klagte in einer heuchlerischen Rede gestern Abend über eine "extremistische Minderheit", die Israel "spalten" wolle. Dabei ist er doch selbst der Spalter. Die Gemüter wird er so wohl kaum beruhigen.


Ohrenschmaus

Wie wäre es, wenn ich Ihnen morgens eine schöne Musik auftische? Dann sind Sie gleich gut gelaunt. Geht aber nur, wenn Sie mitmachen und mir Ihre schönsten Lieder schicken. Ich lege mal vor: Was halten Sie hiervon?


Lesetipps



Nagelsmann weg, Tuchel da: Welche Bayern-Spieler profitieren von dem Trainerwechsel, welche verlieren? Unser Fußballreporter Julian Buhl verrät es Ihnen.


Zum Schluss

Die Ampelleute können alles besser.

Ich wünsche Ihnen einen harmonischen Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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