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Deutscher Wohlstand in der Krise: Ampel streitet, die Wirtschaft reagiert


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Tagesanbruch
Das kann schlimm enden

MeinungVon Tim Kummert

Aktualisiert am 31.01.2023Lesedauer: 5 Min.
Es wird teurer: Frau im Supermarkt vor einem Regal mit WurstwarenVergrößern des Bildes
Es wird teurer: Frau im Supermarkt vor einem Regal mit Wurstwaren. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

gestern konnte man kurz glauben, dass es noch gute Nachrichten gibt. Am Vormittag flatterte die Meldung herein, dass die deutsche Konjunktur 2022 wider Erwarten ein Plus verzeichnet. Und als vergangene Woche der Jahreswirtschaftsbericht präsentiert wurde, war die Prognose: Auch im Jahr 2023 könnte es mit den Unternehmen bergauf gehen. Also doch alles paletti im Wirtschaftswunderland. Oder?

Die Wahrheit sieht so aus: Das Plus des Bruttoinlandsprodukts des Jahres 2022 liegt bei nur noch 1,8 Prozent, die Wirtschaftsleistung ist im vergangenen Quartal bereits geschrumpft. Für 2023 wird ein so geringes Wachstum prognostiziert, dass man schon ganz genau hinschauen muss: gerade mal 0,2 Prozent. Ursprünglich hatte mancher sogar mit einer Rezession gerechnet, die sich über das ganze Jahr erstreckt.

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Man würde zu gern glauben, dass Deutschland nahezu unbeschadet durch die aktuelle Krise kommt. Und dass der Krieg in der Ukraine, bis auf eine ein wenig gestiegene Inflation, hier keine Spuren hinterlässt. Doch das stimmt nicht. Wer mit mittelständischen Unternehmern spricht, wer die Entwicklung in ländlichen Gebieten beobachtet, wer einen Blick in die Regionalzeitungen wirft, für den zeichnet sich das Bild eines Landes, in dem es bröckelt.

Lassen Sie uns an diesem Morgen kurz in den wirtschaftlichen Abgrund schauen. Um eine Vorstellung davon zu bekommen, was uns erwartet, wenn die Regierung nicht endlich handelt. Denn während sich die Lage langsam zuspitzt, zankt und zögert die Ampelkoalition seit Wochen. Scholz, Habeck, Lindner und Co — sie machen es der Wirtschaft schwer.

Während die Ampel streitet, reagiert die Wirtschaft. Das Unternehmen Linde (Hersteller von Prozessanlagen) verlegte erst seinen Dienstsitz von München nach Dublin, jetzt steigt es aus dem Dax aus. Der Impfstoffhersteller und Forschungskonzern Biontech verlegt einen Teil seiner Krebsforschung künftig nach Großbritannien.

Branchen wie die Bauwirtschaft ächzen, weil zu wenig investiert wird. Etliche Landwirte stellen den Betrieb ein. Sie sind zerrissen zwischen hohen Ansprüchen der Verbraucher und dem Zwang, möglichst günstig zu produzieren. Da verkauft mancher lieber seine Weideflächen, solange er noch Geld dafür bekommt.

In der frischen Ausgabe des "Länderindex Familienunternehmen“ von Mitte Januar belegt die Bundesrepublik in einem Standort-Ranking den 18. Platz. Von insgesamt 21. Vier Plätze schlechter als 2020, an der Spitze des Rankings befinden sich Länder wie die USA, Schweden und Kanada. Hinter Deutschland kommen lediglich Ungarn, Spanien und Italien. Der deutsche Wohlstand fußt darauf, dass die Wirtschaft brummt wie ein gut geölter VW-Motor. Doch mit Pandemie, Ukraine-Krieg, Energieknappheit und Inflation ist nun Sand im Getriebe. Krankt der Mittelstand, zieht er alles mit sich herunter.

Die hohen Energiepreise sind einer der Gründe für die Misere. Und eigentlich sollen die Atomkraftwerke im April vom Netz, darauf hat man sich in der Koalition geeinigt. Die FDP würde diesen Beschluss jetzt gern noch mal aufbohren, Grüne und SPD sind dagegen. Doch während sie sich streiten, kommt keine Debatte über andere Entlastungen im Energiesektor in Gang.

Was der Wirtschaft ebenfalls helfen würde: Eine kluge Einwanderungspolitik für den Arbeitsmarkt. Die Ampel streitet aber auch darüber, ein Gesetzentwurf von Innenministerin Nancy Faeser wird hitzig debattiert: Grüne und SPD wollten die Staatsbürgerschaft verramschen, heißt es bei den Liberalen. Eine Einigung ist nicht in Sicht.

Und dann sitzt die Koalition ja noch an dem großen Wurf, der die Wirtschaft nach vorn katapultieren soll: der Planungsbeschleunigung. Bauvorhaben sollen in Deutschland viel zügiger umgesetzt werden können, überflüssige Bürokratie soll entfallen. Doch auch hier: Es geht nicht vorwärts.

Vergangene Woche endete ein Koalitionsgipfel dazu ergebnislos, weil sich die Ampelpartner nicht über den Neubau von Straßen verständigen konnten. Grüne sind eher dagegen, FDP eher dafür. Tempo gern, nur nicht bei den deutschen Autobahnen — das ist in etwa die Zusammenfassung des Streits zwischen Grünen und FDP. Viel Streit, wenig Einigung. Die Koalition verplempert wertvolle Zeit.


Eine Reizfigur

Es zeichnete sich bereits ab, jetzt ist es offiziell: Das CDU-Präsidium hat Hans-Georg Maaßen dazu aufgefordert, aus der Partei auszutreten. Maaßen ist ehemaliger Chef des deutschen Verfassungsschutzes und nun im einstweiligen Ruhestand. Er nimmt das nicht sonderlich wörtlich, sondern sorgt für reichlich Unruhe. Kürzlich ließ er sich mit folgendem Satz zitieren: "Nach grün-roter Rassenlehre sind Weiße eine minderwertige Rasse." Jetzt wurde Maaßen am Wochenende zum Vorsitzenden der "Werteunion" gewählt, einem Verein, der immer wieder mit rechten Positionen auffällt.

Das ist auch den Christdemokraten zu viel. Bis zum 5. Februar habe Maaßen Zeit, seinen Rücktritt aus der CDU einzureichen, heißt es aus der Parteizentrale. Ob Maaßen dem folgt, darf man bezweifeln. Gestern Abend verschickte die "Werteunion" eine Mitteilung, in der dieser Satz zu finden war: "Weder die Werteunion noch ihr neuer Bundesvorsitzender Hans-Georg Maaßen lassen sich zum Austritt aus der CDU nötigen; auch nicht durch Ultimaten." Sollte die CDU Maaßen also mit Zwang loswerden wollen, steht der Partei ein zähes Ausschlussverfahren bevor. Manche Geister wird man nur schwer los.


Debatte um den Soli bleibt

Es ist eine gute Nachricht für den Bundeshaushalt, weil jährlich weiter etwa 18 Milliarden in die Kasse fließen. Der Solidaritätszuschlag ist gesetzmäßig, so hat es gestern der Bundesfinanzgerichtshof entschieden. Freuen wird sich Finanzminister Christian Linder dennoch nicht. Die FDP hält den Soli für ungerecht, weil ihn nur noch wenige Gutverdiener bezahlen müssen und er damit wie eine Reichensteuer wirkt.

Ausgeräumt ist der Streit um die Abgabe aber nicht. Aus Kreisen des Bundesfinanzministeriums berichtet der "Spiegel": "Über den Solidaritätszuschlag wird das Bundesverfassungsgericht in einem anderen Verfahren entscheiden." Die Bundesregierung habe ein Interesse an einer verfassungsgerichtlichen Klärung. Der Ausgang bleibt weiterhin offen.


Was heute wichtig ist

Die Inflation ist weiterhin hoch, die Wirtschaft unter Druck. Wie sich das auf die Jobs in Deutschland auswirkt, gibt die Bundesagentur für Arbeit am Vormittag bekannt. Dann werden die Arbeitslosenzahlen für Januar veröffentlicht.

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In unserem Nachbarland Frankreich könnten heute weite Teile des öffentlichen Lebens wegen eines Streiks lahmgelegt werden. Der Grund: Viele Franzosen sind erzürnt über die geplante Rentenreform von Regierungschef Emmanuel Macron. Der plant, das Renteneintrittsalter auf 64 Jahre anzuheben. Die Einschränkungen könnten erheblich werden, beim letzten Mal wurde bereits die Stromversorgung gedrosselt und der Zugverkehr kam zum Erliegen.


Was lesen?

Im Februar 2022 überfiel Putin die Ukraine. Doch sein Feldzug gegen das Land reicht weiter zurück. Warum der Westen das bedrohte Land dringend braucht, erklärt der ukrainisch-amerikanische Historiker Serhii Plokhy im Gespräch mit meinem Kollegen Marc von Lüpke.


Warum Annalena Baerbock einen bestimmten Satz besser nicht von sich gegeben hätte, schreibt unser Kolumnist Gerhard Spörl.


Bayern-Boss Oliver Kahn fordert von den Spielern ein vorbildliches Verhalten ein. Er selbst handelt dabei aber offenbar nach Doppelstandards, kommentiert meine Kollegin Melanie Muschong aus dem Sport-Ressort: "Wer mit seinen Profis hart ins Gericht geht, sollte zunächst auch immer bei sich selbst anfangen."


Das Historische Bild

Lange galt die Wehrmacht als nahezu unbesiegbar, doch dieser Nimbus endete am 31. Januar 1943 in Stalingrad. Hier erfahren Sie mehr.


Was amüsiert mich?

Zumindest als Orientierung in Gehaltsverhandlungen wird der Soli weiterhin gebraucht.

Ich wünsche Ihnen einen guten Dienstag. Morgen schreibt wieder unser Chefredakteur Florian Harms für Sie.

Herzliche Grüße

Ihr

Tim Kummert
Politischer Reporter im Hauptstadtbüro von t-online
Twitter: @TKummert

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Mit Material von dpa.

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