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Hungerkrise in Kenia: "Hier geschieht eine Katastrophe"


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Tagesanbruch
So schlimm war es noch nie

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 07.12.2022Lesedauer: 5 Min.
Kinderkrankenhaus in Garissa: Plan der täglichen Ein- und Ausgaben.Vergrößern des Bildes
Kinderkrankenhaus in Garissa: Plan der täglichen Ein- und Ausgaben. (Quelle: F. Harms)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

in Deutschland fällt Schnee, in Garissa fallen die Blätter von den Sträuchern. Sie verdorren, wie vieles hier. 36 Grad Celsius, der Boden ist staubtrocken. "Diese Dürre ist schlimmer als die vor der Hungerkrise 2011", sagt Tom Amolo. "Und die war schon beispiellos." Er koordiniert für das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen die Projekte in der Region im Osten Kenias. "Die Regenzeit fällt praktisch aus, und nächstes Jahr wird es voraussichtlich noch schlimmer."

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Es gibt viele Gründe für die Not der Menschen hier und in den Nachbarländern Somalia und Äthiopien: das Bevölkerungswachstum, bewaffnete Konflikte, Korruption, inkompetente Behörden. Alle tragen sie zur gegenwärtigen Instabilität bei – doch die akute Notlage geht eindeutig auf den Klimawandel zurück: Die letzten fünf Regenzeiten sind ausgefallen, die Tiere verenden, den Nomaden wird die Existenzgrundlage geraubt, sie hungern, erkranken, und am härtesten trifft es die Kinder. "Unterernährung" ist für viele Europäer ein abstrakter Begriff, viele können sich darunter wenig vorstellen. Was er bedeutet, erfährt man hier in Garissa. Zum Beispiel in der lokalen Krankenstation, in die Mütter ihre entkräfteten Kinder bringen.

So wie die 23-jährige Nimo Issaka, die ihre Zwillinge Mansour und Marwan mitgebracht hat. 16 Monate sind die beiden alt und akut unterernährt. Nur sechseinhalb Kilogramm wog Mansour vor einer Woche, bei seiner Größe sollten es eigentlich neuneinhalb sein. Seine Mutter bekommt von den Ernährungsberaterinnen Erdnusspaste, mit der sie ihre Söhne aufpäppelt: drei Päckchen à 500 Kalorien täglich. Sie haben schon ein wenig zugenommen, 7,3 Kilo bringen sie jetzt auf die Waage.

Neben Issaka hockt Halima Hamissi, die mit ihren 30 Jahren sechs Kinder auf die Welt gebracht hat. Ihr Sohn Mohaboub wurde im Oktober in die Krankenstation eingeliefert, da war er dem Tod schon näher als dem Leben. Jetzt ist er 14 Monate alt und dank täglicher Ernährung mit Erdnusspaste und Muttermilch wieder zu Kräften gekommen. "Er spielt sogar wieder", erzählt Halima mit einem Lächeln, "dass es ihm wieder gut geht, ist jetzt das Wichtigste in meinem Leben". Regelmäßig läuft sie zwei Stunden ins Krankenhaus, um ihren Buben versorgen zu lassen. Daheim in einem Weiler sind die Felder verdorrt, es wächst kein Gemüse mehr. Ihr Mann versucht, die Familie mit dem Verkauf von Kohle über die Runden zu bringen, aber das Geld fehlt an jeder Ecke. In diesem Video erzähle ich mehr über die Lage im Kinderkrankenhaus.

"Die Menschen werden unverschuldet ins Elend gestürzt", sagt Shehmat Yussuf. "Binnen Monaten verlieren sie ihre Lebensgrundlage." Die 54-Jährige leitet das lokale Ernährungsprogramm und berichtet von 10.000 unterernährten Kindern allein rund um Garissa. "Das ist die höchste jemals erhobene Zahl, so schlimm wie jetzt war es noch nie." Rund 200 lokale Hilfsstationen unterhält Unicef in der Region, ohne diese Unterstützung würden wohl täglich Hunderte verhungern. Doch die Hilfe muss finanziert werden. "Wenn wir nicht mehr Spenden bekommen, geschieht hier in den kommenden Monaten eine Katastrophe", warnt Shehmat. Neben der akuten Nothilfe wünscht sie sich mehr langfristige Hilfsprojekte: "Wir müssen die Bewässerung der Felder neu organisieren, da gibt es ja innovative Technologien, die mit wenig Wasser auskommen", sagt sie. "Außerdem braucht es Beschäftigung für die Jugendlichen, damit sie nicht den islamistischen Einflüsterern hinterherlaufen." Am wichtigsten ist ihr etwas anderes: "Mädchen sollten in die Schule gehen und einen Beruf erlernen können, statt zu Hause zu sitzen und nur Mutter zu werden. Dann ändert sich hier wirklich etwas." Dabei könne auch Deutschland helfen, meint sie: Jobs für Mädchen könnten die Hilfsorganisationen zwar organisieren, etwa als Näherinnen oder Krankenschwestern. "Aber dafür brauchen wir dringend mehr Spenden."

Auch Christin ist dringend auf Hilfe angewiesen. Die 32-Jährige aus einem Dorf in der Nähe sitzt auf einem Bett in der Station für schwerstunterernährte Kinder auf der Intensivstation im Krankenhaus von Garissa. Neben ihr liegt ihr Töchterchen Blessing. Vier Monate ist das Mädchen jung, geschrien hat es schon länger nicht mehr. Es japst nach Luft, während die allgegenwärtigen Fliegen über seine Augen krabbeln. Die Kleine wurde mit gerade einmal 2,4 Kilo Körpergewicht eingeliefert. Nun wiegt sie 3 Kilo, immer noch viel zu wenig. Sie hat einen Herzfehler, der hier nicht behandelt werden kann. "Sie bräuchte dringend einen Facharzt", sagt die Stationsärztin Florence Gitumbo. "Aber den gibt es nur in Nairobi, 370 Kilometer entfernt." Rund 700 Euro würden die Anreise, die Unterbringung und die Facharztbehandlung für das Mädchen kosten. "Das kann sich die Mutter nicht leisten." Deshalb muss Blessing hier nun apathisch zwischen den Fliegen liegen. Womit hat ein Kind das verdient?

Wenn sie einen Wunsch frei hätte, welcher wäre das, habe ich Blessings Mutter gefragt. Ihre Antwort war eindeutig: "Mein größter Wunsch ist, dass mein Kind eine bessere medizinische Versorgung bekommt." Ist das möglich? Ich habe Christin und der Ärztin Florence von Deutschland erzählt. Und ihnen berichtet, dass es dort viele Menschen mit so großen Herzen gibt, dass auch Kinder in Afrika hineinpassen. Da haben sie sich gefreut. Falls Sie also helfen wollen, können Sie das zum Beispiel hier oder hier tun.

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Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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