Politikwissenschaftler Patzelt zum rechten Terror "Leute, die es im Leben nicht sonderlich weit gebracht haben"
Deutschland scheint sich nach rechts zu bewegen. Selbst das Thema Rechtsterrorismus kommt der Gesellschaft immer näher: Gleich zwei Gruppen stehen derzeit vor Gericht. T-online.de sprach mit Werner J. Patzelt. Der in Dresden forschende Politikwissenschaftler gilt als einer, der nah an Pegida dran ist – zu nah, glauben manche. Im Mai erscheint sein neues Buch "Pegida. Warnsignale aus Dresden".
Herr Professor Patzelt, Sie gelten vielen als "Pegida-Versteher". Manche werfen Ihnen vor, insgeheim Sympathien für die Bewegung zu hegen. Stimmt das eigentlich?
Richtig ist, dass ich einer der wenigen bin, die wirklich verstehen, worum es bei Pegida geht. Das ermöglicht mir Ratschläge, wie dieses Land ohne Protestbewegungen wie Pegida auskommen kann. Umgekehrt wundere ich mich sehr über die Fahrlässigkeit von Leuten, die solche Ratschläge erteilen, obwohl sie selbst zugeben, gerade keine "Pegida-Versteher" zu sein. Im Übrigen hege ich Sympathie nicht für Pegida, sondern allein für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung samt praktiziertem Pluralismus.
Im Zusammenhang mit den Flüchtlingen haben wir einen beträchtlichen Aufstieg rechter Organisationen erlebt. Jetzt sehen wir sogar die Bildung terroristischer Vereinigungen. Fühlen Sie sich manchmal an die Weimarer Republik erinnert?
Das hieße, die Sache zu übertreiben und die Zustände in der Weimarer Republik zu verharmlosen. Wir leben heute in einer gefestigten Demokratie, die zwar einige Probleme hat, die aber – ungleich der Weimarer Republik – nicht durch die innere Kündigung eines Großteils der Bevölkerung bedroht ist.
Was sind das für Leute, denen möglicherweise tödliche Gewalt gegen wehrlose Flüchtlinge als geeignetes Mittel erscheint?
Nach dem, was wir aus den bisherigen Prozessen wissen, sind es Leute, die schon in relativ jungen Jahren in rechtsextreme Kreise hineingeraten sind, die es im Leben nicht zu sonderlich viel gebracht haben, und die ihre grundständige Prägung in Verbindung mit biografischen Enttäuschungen zur Gewaltbereitschaft gegenüber Ausländern und sonstigen Minderheiten verleitet.
Das kommt also nicht aus der berühmten Mitte der Gesellschaft?
Soweit man sieht, stammen viele solche Leute sehr wohl aus Familien "aus der Mitte der Gesellschaft". Der Vater von einem Mitglied des NSU war sogar Hochschullehrer. Aber dass Vater oder Mutter in der Mitte der Gesellschaft stehen, garantiert ja nicht, dass aus dem Nachwuchs vernünftige Menschen werden. Und Gewalttäter sind nun einmal keine vernünftigen Menschen.
Wie sehen sie AfD und Pegida in diesem Zusammenhang. Befeuern die diese Bewegungen oder nehmen sie eher Druck aus dem Kessel?
AfD und Pegida sind zwei Seiten der gleichen Medaille. In ihnen drückt sich aus, dass ein beträchtlicher Teil der Gesellschaft – wenn auch nicht die Mehrheit – damit unzufrieden ist, wie die politische Klasse dieses Land steuert. Ein nennenswerter Teil ist damit unzufrieden, dass Deutschland in der Europäischen Union sehr viele nationale Souveränitätsrechte abgibt und sich etwa zu erheblichen Dauerzahlungen an andere Staaten verpflichtet hat. Ein nicht geringer Teil der Gesellschaft ist damit unzufrieden, wie die deutsche Regierung die Einwanderung handhabt, nämlich möglichst viele ins Land zu lassen, aber nur wenige abzuschieben und ansonsten nicht viel Personal dafür einzusetzen, um rasch den rechtlichen Status von Zugewanderten zu klären. Und ein großer Teil der Bevölkerung ist unzufrieden damit, dass jahrelang zwar kein Geld für Lehrer, für eine bessere Bezahlung im öffentlichen Dienst oder für die Erneuerung der Infrastruktur da war, dass nun aber um der Einwanderungspolitik willen plötzlich Milliardenbeträge aufgebracht werden können – scheinbar aus der Portokasse.
Und daraus folgt?
Ein beträchtlicher Teil der Bürger wünscht sich ein anderes Politik- und Personalangebot! Die AfD weckt hier Hoffnungen, wie die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen und die damals stark gestiegene Wahlbeteiligung zeigen. Und in Dresden sind – aufgrund ganz besonderer Umstände – im November 2014 allwöchentliche Montagsdemonstrationen entstanden, bis heute andauernde. Sie sind durchaus kein Lokalphänomen, sondern ein weiteres Zeichen dafür, dass es insgesamt zwischen dem Volk und seinen Vertretern nicht so richtig läuft.
Aber Pegida, AfD und viele in der CSU stellen Einwanderung ausschließlich als Gefahr dar. Das soll nichts damit zu tun haben?
Doch, schon! Viele Leute wollen nämlich keine ungesteuerte Einwanderung in die von ihnen mitfinanzierten Sozialsysteme. Das abzustellen, ist ein weit verbreiteter Wunsch. Den greifen aber weder Linke noch Grüne auf, sondern das tut – nicht allein, aber in erster Linie – die AfD. Und eben das bringt ihr Zuspruch und Wählerstimmen.
Warum ist es eigentlich so schwer, Deutschland ein richtiges Einwanderungsgesetz zu geben?
Mit dem Gedanken, ein Einwanderungsland zu werden, haben sich zwei völlig verschiedene Vorstellungen verbunden. Die Konservativen meinten, wir sollten weiterhin keine nationalen Minderheiten im Land haben. Das blockierte die Diskussion umso nachteiliger, als es ja seit den 1960er Jahren eine starke türkische Minderheit in Deutschland gibt – und seither jede Menge von EU-Ausländern. Die anderen – Grüne und SPD – stellen sich ein Einwanderungsgesetz so vor, dass man einfach Deutschland für alle öffnet, die gerne ins Land kämen. In etwa so, wie wir das praktisch in der zweiten Jahreshälfte von 2015 gehandhabt haben, und dabei mehrheitlich erkannten, dass es so nicht endlos gehen kann. Zugespitzt: Die einen wollen eine selektive Einwanderungspolitik ganz nach den Interessen Deutschlands, die anderen eine freie Zuwanderung ganz nach den Interessen der zu uns Kommenden. Dieser Streit ist nicht ausdiskutiert und nicht entschieden. Deswegen haben wir auch keine stimmige Einwanderungs- und Integrationspolitik. Natürlich merken die Leute diese Unstimmigkeit und sind mit ihr sowie mit einer politischen Klasse unzufrieden, die auf diesem Politikfeld nichts Nachhaltiges leistet.
Und wie soll es Ihrer Meinung nach weitergehen?
Wir brauchen eine breite Diskussion über ein Einwanderungs- und Integrationsgesetz. Eine Diskussion, die klärt, warum wir Einwanderung brauchen und was für eine Art von Einwanderungspolitik wir deshalb führen sollten. Ebenso brauchen wir eine Diskussion darüber, welche Art von Integrationspolitik notwendig ist, damit diese Gesellschaft nicht auseinanderfällt, obwohl sich in ihr bald schon kulturelle und ethnische Konflikte mit sozialen und finanziellen Verteilungskonflikten verbinden werden.
Könnte die AfD in Deutschland so weit aufsteigen, wie die FPÖ in Österreich oder der Front National in Frankreich?
Sie könnte das unter den folgenden Bedingungen: Wenn die CDU sich weiterhin weigert, von der Mitte bis zum rechten Rand alles zu integrieren, was in die Demokratie halbwegs integrierbar ist; wenn die AfD es schafft, zu einer Art bundesweiter CSU zu werden; und wenn es der AfD gelingt, sich vom rechten Narrensaum fernzuhalten. Dann hat die AfD die Chance, in der rechten politischen Spielfeldhälfte genau das zu werden, was die Grünen in der linken Spielfeldhälfte geworden sind.