Analyse der militärischen Lage Nato sieht Ukraine bereits als Verlierer des Konflikts
Die Nato hat ihre militärische Einschätzung der Lage in der Ost-Ukraine grundlegend geändert. Noch vor einer Woche gingen die Strategen der Allianz davon aus, dass Russland die Separatisten mit verdeckt operierenden Truppen nur deshalb verstärkt hat, weil die pro-russischen Rebellen unter Druck der ukrainischen Armee zurückweichen mussten.
Als die Generäle der Allianz dann aber Ende der vergangenen Woche zu einer Krisensitzung über die Lage des Militärs des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko zusammen kamen, zeichneten sie ein düsteres Bild. "Militärisch ist der Konflikt für Kiew bereits verloren", konstatierte ein ranghoher Nato-General. Poroschenko, so das Urteil, blieben "eigentlich nur noch Verhandlungen, um seine Männer lebend aus der Zange der Russen abzuziehen".
Die Lagebeschreibungen hinter verschlossenen Türen waren weitaus dramatischer als die wenigen Bilder, die die Nato Mitte der Woche veröffentlichte. Auf großen Karten waren mit dicken Pfeilen russische Einheiten markiert, die mittlerweile vom Norden, dem Westen und dem Süden an der Grenze der Ost-Ukraine stehen, mindestens 20 Battaillone mit jeweils mindestens 500 Mann und schweren Geschützen zählen die Späher der Nato.
Besondere Sorgen machte den Nato-Militärs die neue Front im Süden nahe der Großstadt Mariupol. Moskau könnte die Truppen nutzen, um eine Landverbindung zur Krim freizukämpfen - und so die völkerrechtswidrige Annexion der Halbinsel konsolidieren. Zudem hat die Ukraine faktisch die Kontrolle über die eigene Ostgrenze komplett verloren.
Auf der anderen Seite der Grenze sieht die Lage nicht viel besser aus. So haben die ukrainischen Einheiten, eingekreist von Separatisten und russischen Soldaten mit schwerer Artillerie, so gut wie keine Bewegungsfreiheit mehr.
Große Erfolge Anfang August - dann die Rückschläge
Kiew hatte in der ersten Augustwoche noch massive militärische Erfolge erzielt und die Großstädte Donezk und Lugansk nahezu eingeschlossen. In Kiew hofften viele auf einen schnellen Sieg. Russland verstärkte daraufhin seine militärische Unterstützung. Eine Offensive der pro-russischen Kämpfer warf Kiews Militär weit zurück.
Seitdem setzt es für Kiew einen Rückschlag nach dem anderen. Am Montag zogen sich ukrainische Einheiten nach schwerem Beschuss vom Flughafen Lugansk zurück. Nach ukrainischen Angaben war an der Einnahme ein russisches Panzerbataillon beteiligt. Erstmals kontrollieren die Separatisten damit einen Flughafen. In Kiew wächst die Furcht, dass Moskau die Rebellen nun auch mit Kampffliegern unterstützen könnte.
Im Süden fiel Ende der vergangen Woche der Grenzort Nowoasowsk in die Hände pro-russischer Kämpfer. Die Einheiten könnten Mariupol rasch erreichen, es ist die letzte Großstadt in der Region, die Kiew noch kontrolliert.
Schwere Verluste, viele Gefangene
Mehrere ukrainische Einheiten wurden eingekesselt. Kämpfer der Freiwilligenbataillone "Asow" und "Dnjepr" stecken nach schweren Kämpfen nahe der Kleinstadt Ilowaisk fest. Die Rede ist von mehr als 100 Verwundeten und mehreren Hundert Gefangenen. Nur wenigen Mitgliedern der Truppe gelang es, den Kessel zu verlassen. Wegen all der Misserfolge wolle Poroschenko die Führungsposten in der Armee nun neu besetzen, berichtete die Nachrichtenagentur dpa.
Aus Sicht der Nato-Strategen ist deswegen eine Invasion mit noch mehr russischen Kräften gar nicht nötig. Eine erneute Wende zu Kiews Gunsten schließen sie aus. Die bereits eingesickerten Einheiten seien zu überlegen. "Poroschenko wird diktiert, wo er seine Männer hinbewegen kann", so der Nato-Mann, "im Krieg nennt man das einen Sieg."