Der Ton in Berlin wird rauer Bosbach bezeichnet US-Spione als "Verräter"
Washington übt sich in Schweigen und gar Gleichgültigkeit, derweil wird die Empörung in Berlin wegen der Spionageaffäre größer und der Ton rauer. Finanzminister Wolfgang Schäuble wirft den USA "Dummheit" vor. Und der Chef des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), bezeichnete die mutmaßlichen deutschen Informanten der US-Geheimdienste als "Verräter"
"Die Tatsache, dass man sein eigenes Land verrät, lässt sich weder rechtfertigen noch entschuldigen", sagte Bosbach der "Berliner Morgenpost". Die Zuträger müssten unumwunden als "Verräter" bezeichnet werden.
Zu deren möglichen Motiven sagte er: "Man weiß nicht, ob es blanke Geldgier war oder ob politische Motive eine Rolle gespielt haben, allerdings ist das auch zweitrangig."
Bosbach fordert von den USA Hilfe, "die Vorgänge restlos aufzuklären". Die an den Fällen beteiligten US-Bürger müssten Deutschland verlassen. Er halte es für nicht vorstellbar, "dass die Bundesregierung die identifizierten US-Kontaktpersonen ohne Konsequenzen weiterhin in Deutschland operieren lässt".
"Über so viel Dummheit kann man nur weinen"
Schäuble begann seine Kritik am großen Nato-Partner zunächst diplomatisch: Ohne die Partnerschaft mit US-Geheimdiensten hätte Deutschland viele Terrorbedrohungen nicht abwehren können, sagte er nach Angaben des Senders Phoenix. Um dann aber richtig deutlich zu werden: Dies heiße aber nicht, "dass die Amerikaner drittklassige Leute bei uns anwerben dürfen. Das ist so was von blöd, und über so viel Dummheit kann man auch nur weinen. Deswegen ist die Kanzlerin da auch 'not amused'." Gleichwohl fühle er sich "von den Amerikanern weniger bedroht als von manchen anderen in der Welt", so Schäuble.
Geheime Infos gegen Bares
Am Mittwoch war bekanntgeworden, dass die Bundesanwaltschaft gegen einen mutmaßlichen Spitzel im Verteidigungsministerium ermittelt. Seit einer Woche sitzt bereits ein Beamter des Bundesnachrichtendienstes in Untersuchungshaft, weil er die Amerikaner gegen Bezahlung mit geheimen Informationen versorgt haben soll. Auch diesen Fall hatten die USA offiziell nicht kommentieren wollen.
Am Donnerstag beschäftigt die Affäre um die Aktivitäten der US-Geheimdienste auf deutschem Boden den Bundestag. Das Gremium zur Kontrolle der Geheimdienste kommt trotz Parlamentsferien zu einer Sondersitzung zusammen. Es tagt grundsätzlich geheim.
Sogar über Ausweisung wird nachgedacht
Die Vorgänge werden zunehmend zum Problem für die deutsch-amerikanische Partnerschaft, die Bundesregierung sprach am Mittwoch erstmals von "tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten". In Berlin wird nun über Gegenmaßnahmen nachgedacht - bis hin zur Ausweisung amerikanischer Botschaftsmitarbeiter. In der kommenden Woche fliegt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in die USA.
Allerdings schweigt die US-Regierung auch zu dem neuen Spionageverdacht gegen ihre Geheimdienste. Man habe entsprechende Berichte gesehen, wolle aber Ermittlungen deutscher Justizbehörden oder Behauptungen über Geheimdienstangelegenheiten nicht kommentieren, sagte Caitlin Hayden, Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates.
"Wenig Problembewusstsein"
US-Regierungssprecher Josh Earnest betonte am Mittwoch die deutsch-amerikanische Sicherheitspartnerschaft. Diese Zusammenarbeit stärke die nationale Sicherheit sowohl in Deutschland als auch in den USA, sagte er. Die konkreten Vorwürfe, wonach es einen Spion auch im Berliner Verteidigungsministerium gebe, wollte er nicht kommentieren. Er fügte lediglich hinzu, es gebe Gespräche zwischen deutschen Diplomaten und ihren US-Kollegen sowie zwischen Geheimdienst- und Justizexperten.
Solche Gespräche führt derzeit auch eine Delegation des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags in Washington, angeführt von Norbert Röttgen. Doch die Schlussfolgerungen sind nüchtern: "Wir stellen fest, dass bei unseren Gesprächspartnern sehr wenig Problembewusstsein vorhanden ist", so der CDU-Politiker. Und: "Wir haben keine Informationen und Hinweise darauf erhalten, dass sich die Politik ändert, dass sich die Kommunikation ändert, so dass noch ein weiter Weg zu gehen ist, um den Schaden zu begrenzen."
Zur Empörung in Berlin über die Spionagefälle selbst gesellt sich in Berlin also zunehmend die Empörung über die gleichgültige Reaktion der Amerikaner darauf. Das führt zu Forderungen deutscher Politiker, härter mit dem transatlantischen Partner umzuspringen.
Sämtliche Abkommen auf dem Prüfstand
Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth forderte zum Beispiel, die Gespräche mit den USA über ein Freihandelsabkommen sofort zu stoppen. "So kann man doch nicht verhandeln, solange auf der anderen Seite des Tisches einer sitzt, der die eigene Strategie vorher kennt", sagte die Grünen-Politikerin der "Augsburger Allgemeinen". Die Idee einer verstärkten Gegenspionage hält Roth für absurd. "Wenn wir so denken, landen wir in einem gefährlichen Strudel."
Der netzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Klingbeil, forderte die Aussetzung sämtlicher Abkommen, die den Datenaustausch mit den USA regeln. "Auch das Freihandelsabkommen kann jetzt nicht einfach weiterverhandelt werden", fügte er gegenüber der "Neuen Osnabrücker Zeitung" hinzu. "Spionage und vertrauensvolles Verhandeln passen nicht zusammen."
Nach Einschätzung der Linken-Parteivorsitzenden Katja Kipping muss der Generalbundesanwalt jetzt gegen die US-Geheimdienste NSA und CIA ermitteln. "Der CIA-Chef hat keinen heißen Draht ins Kanzleramt verdient, sondern einen internationalen Haftbefehl", sagte sie der "Passauer Neuen Presse". "Militärspionage ist ein neuer Tabubruch. So sieht kein Bündnis auf Augenhöhe aus."
"Die Amerikaner machen einen Fehler"
Zwischen Berlin und Washington gibt es nach den Enthüllungen über den US-Geheimdienst NSA und das abgehörte Kanzler-Handy bereits seit einem Jahr Misstöne, nun wurde das Verhältnis erneut schwer belastet, kaum dass die Wogen einigermaßen geglättet schienen.
"Ich glaube, dass die Amerikaner einen Fehler machen", sagte der ehemalige Regierungskoordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit, Karsten Voigt (SPD), dem Hessischen Rundfunk. "Der Schaden, den sie politisch anrichten, steht in keinem Verhältnis zu dem möglichen Nutzen, den sie durch zusätzliche Informationen erhalten haben."