Neue alte Verfassung für die Ukraine Vereinbarung über Krisenlösung unterzeichnet
Die ukrainische Regierung und Oppositionsführer haben in Kiew eine vorläufige Vereinbarung zur Lösung der innenpolitischen Krise unterzeichnet. Neben Präsident Viktor Janukowitsch und Vitali Klitschko setzte auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) seine Unterschrift auf das Dokument, für das der am Donnerstag angereiste Steinmeier als Vermittler einen entscheidenden Beitrag leistete.
Zuvor stellte der Maidan-Rat die letzte Hürde für einen Ausweg aus der zersetzenden Staatskrise dar. Dem Gremium gehören verschiedene Regierungsgegner an, darunter Radikale und Gewaltbereite. Schließlich stimmte auch der Rat der Übereinkunft zu.
Neue Regierung und Wahlen
Janukowitsch hatte bereits am Freitagmittag die Bildung einer Übergangsregierung, eine neue Verfassung, die der Regierung mehr Macht verleihen soll, und vorgezogene Präsidentenwahlen angekündigt. Vorgesehen seien ein neues "Kabinett des nationalen Vertrauens" innerhalb von zehn Tagen, eine Rückkehr zu einer parlamentarischen Demokratie sowie eine baldige Abstimmung über den Staatschef, hieß es in Janukowitschs Mitteilung.
Fristen nannte der Staatschef nicht. Der Fraktionsvorsitzende von Janukowitschs Partei der Regionen, Alexander Jefremow, sagte allerdings der Agentur Interfax, die Präsidentenwahl sei für Dezember terminiert.
Parlament feiert erste Erfolge
Das Parlament sorgte später laut der Agentur Interfax für einen weiteren Erfolg - einen Schritt zurück im Sinne der Reformer. Mit breiter Mehrheit stimmten die Abgeordneten für eine Rückkehr zur Verfassung von 2004. Die wurde damals von Anführern der Orangenen Revolution um die inzwischen inhaftierte Ex-Premierministerin Julia Timoschenko erwirkt. Damit einher geht eine Beschneidung der Vollmachten des Präsidenten.
Außerdem hat das Parlament für die Absetzung des umstrittenen Innenministers Witali Sachartschenko gestimmt. Die Opposition macht den 51-Jährigen für brutale Einsätze der Polizei gegen friedliche Demonstranten verantwortlich. Dazu zählt auch der Einsatz von Schusswaffen gegen Regierungsgegner in den vergangenen Tagen.
Sachartschenko war im November 2011 ernannt worden. Seit dem Rücktritt von Ministerpräsident Nikolai Asarow Ende Januar war er - wie das gesamte Kabinett - nur noch geschäftsführend im Amt. In Kiew verbreiteten sich Gerüchte, dass der Politiker ins benachbarte Weißrussland geflohen sei.
Radikale Splittergruppe gibt nicht auf
Wenig später erklärte allerdings die Radikalenbewegung "Nationale Revolution", dass das Vereinbarte für sie nicht weit genug geht: "Diese Mitteilung beinhaltet kein klares Bekenntnis zu einem Rücktritt des Pseudo-Präsidenten", teilte die Gruppierung Rechter Sektor mit.
Dessen Angehörige wollen Janukowitsch um keinen Preis länger akzeptieren. Sie sprechen von Betrug. Ziel sei die komplette Beseitigung des "Regimes der inneren Besatzung". Ein dpa-Reporter berichtete ungeachtet dessen von gelöster Stimmung auf dem Maidan, dem zentralen Unabhängigkeitsplatz der Hauptstadt. Die Einigung war ersehnt worden, niemand möchte einen Bürgerkrieg riskieren.
Russen angeblich nicht zufrieden
Eine EU-Delegation um Steinmeier und der russische Vermittler Wladimir Lukin hatten in der Nacht in Kiew mit Janukowitsch und Oppositionsführern Vitali Klitschko, Arseni Jazenjuk und Oleg Tjagnibok verhandelt.
Anscheinend sind die Russen aber nicht mit dem Verhandlungsergebnis zufrieden. Bislang konnten sie auf den kremlfreundlichen Janukowitsch bauen. Lukin hat sich der Agentur Interfax zufolge geweigert, das Abkommen zur Lösung der Krise zu unterzeichnen. Sie beruft sich dabei auf informierte Kreise.
Steinmeier: "Wir werden sie nicht alleine lassen"
Die Radikalen unter den Regierungsgegnern von dem Abkommen zu überzeugen, war noch ein hartes Stück Arbeit. Sie hatten bislang stets Janukowitschs sofortigen Rücktritt gefordert. Der "Bild"-Zeitung sagte Klitschko, er habe Steinmeier gebeten, bei diesen "persönlich" dafür zu werben, bevor das Abkommen von den Oppositionsführern unterzeichnet werden solle. Er betonte: "Wir sind dazu bereit, alles zu tun, um für eine friedliche Lösung zu sorgen".
Steinmeier erklärte gegenüber den Führern auf dem Maidan dann auch: "Wir sind hierher gekommen, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. Wir glauben, dass dieses Abkommen eine Chance sein kann. Wir werden sie nicht alleine lassen.“ Nach der Unterzeichnung wertete er die Übereinkunft als "vielleicht letzte Chance, um einen Ausweg aus der Spirale der Gewalt zu finden".
Politische Lösung möglich
Er betonte aber auch: "Nicht alle Probleme sind gelöst." Trotzdem gebe es Grund, "zuversichtlich nach vorne zu schauen". Der Weg in eine politische Lösung der Krise sei nun möglich.
Wegen der Nähe zur EU und deren Flagge wird die aktuelle Protestbewegung auch als Blaue Revolution bezeichnet. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy begrüßte die Vereinbarung und versprach: "Die EU steht bereit, um die Ukraine zu unterstützen."
Stellvertretender Armee-Chef zurückgetreten
Unterdessen bröckelt Janukowitschs militärischer Rückhalt. Zwei Tage nach der Entlassung des ukrainischen Armeechefs Wolodimir Samana ist dessen Stellvertreter Juri Dumanski zurückgetreten. "Ich habe beschlossen, meinen Rücktritt einzureichen, um eine Eskalation zu verhindern", sagte Dumanski im TV-Sender Kanal 5.
Bei schweren Zusammenstößen waren seit Dienstag nach offiziellen Angaben mindestens 77 Menschen getötet worden, darunter auch mehr als ein Dutzend Sicherheitskräfte. Hunderte wurden verletzt.
Unbekannte Scharfschützen schossen gezielt auf Menschen. Woher sie stammten, ist unklar. Opposition und Regierung hatten sich gegenseitig für die blutige Eskalation der Lage verantwortlich gemacht.