Mundlos-Vater im NSU-Ausschuss "Die drei waren in panischer Angst"
Uwe Mundlos
Auf dem Weg zu seinem letzten Banküberfall muss sich Uwe Mundlos noch einmal seiner Vergangenheit gestellt haben. Auf der A4 Richtung Eisenach muss er an jenem Tag im November 2011 an seinem Elternhaus, seinem ersten Leben vorbeigefahren sein: der Plattenbausiedlung in Winzerla, einem Stadtteil im Süden Jenas.
Am 26. Januar 1998 hatte er der Stadt den Rücken gekehrt, sein Zuhause zurückgelassen, seine Freunde, seine Eltern. "Vati, auf Wiedersehen, du siehst mich nie wieder", verabschiedete er sich am Telefon. Zwei Tage später rief er noch einmal an. "Ich verlasse euch für längere Zeit. Hab' euch lieb", sagte er zu seiner Mutter. Dann tauchte er für mehr als 13 Jahre unter. Dabei lebte er nicht weit von seiner Familie entfernt: erst im sächsischen Chemnitz, dann in Zwickau, keine Stunde von Jena entfernt.
Uwe Mundlos soll mit seinem Freund Uwe Böhnhardt zehn Menschen getötet, 14 Banken überfallen und sich am 4. November 2011 in einem Wohnmobil in Eisenach eine Kugel in den Kopf geschossen haben. Er ist damals 38 Jahre alt und gilt als der Intellektuelle der Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU).
Das Leid der Hinterbliebenen der Opfer ist unermesslich. Wie die Familien der mutmaßlichen Täter mit der einzigartigen Verbrechensserie umgehen, ließ die Aussage von Siegfried Mundlos erahnen. Der emeritierte Professor erschien als Zeuge vor dem NSU-Untersuchungsausschuss im Thüringer Landtag in Erfurt.
"Kein NSU-Netz, sondern ein Verfassungsschutz-Netz"
Siegfried Mundlos ist ein Mann mit zerzausten, schwarzen Augenbrauen und einem freundlichen Gesicht, der Sakko und lederne Aktentasche trägt, als sei er auf dem Weg zu einer Vorlesung. Einer, der sich selbst als "Wahrscheinlichkeitsrechner" bezeichnet, der seine Doktorarbeit in Theoretischer Mathematik geschrieben und mehr als 20 Jahre lang Informatik an der Fachhochschule Jena gelehrt hat. Einer, der abends seinen schwerstbehinderten Sohn im Rollstuhl durchs Viertel schiebt, weil er "ihm was gönnen" möchte, wie er sagt.
Wie viel Leid erträgt so ein Mann? Der erste Sohn ist seit der Geburt spastisch gelähmt. Als er im Alter von zehn Jahren erste Schritte im Wohnungsflur zurücklegt, ist das für die Eltern ein Erfolgserlebnis. Der zwei Jahre jüngere Sohn gesund, hochbegabt, intelligent - und Neonazi. Später als mutmaßlicher Serienmörder enttarnt.
Siegfried Mundlos hat sich seine eigene Theorie zurechtgelegt, um das Unbegreifliche zu begreifen: Der Verfassungsschutz habe die rechtsextreme Szene in Thüringen aufgebaut, bei der Gründung des Thüringer Heimatschutzes (THS), dem Sammelbecken verschiedener Kameradschaften, "maßgeblich mitgewirkt", regelrecht "eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme betrieben", sagt Mundlos senior.
Abgetaucht seien sein Sohn, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt nur, weil Letzterem eine Haftstrafe drohte. "Er wollte nicht noch mal ins Gefängnis, die drei waren in panischer Angst", sagt Mundlos. "Ich glaube, man hat Böhnhardt geraten, lieber in den Untergrund zu gehen zum Spitzeln als in den Knast." Der Verfassungsschutz könne doch "nicht so blauäugig gewesen sein, dass die drei ohne Geld oder Straftaten überleben". Er blickt mit großen Augen in die verdutzten Gesichter der Angeordneten.
Siegfried Mundlos führt immer wieder Argumente an, die seine Theorie stützen sollen: die Adressenliste, die 1998 bei einer Razzia bei seinem Sohn gefunden wurde, die sei "doch kein NSU-Netz, das ist ein Verfassungsschutz-Netz", ruft er. Fünf Kandidaten darauf seien als V-Leute enttarnt worden.
Mundlos und Zschäpe "alles andere als gefestigt"
Das anonyme Schreiben, das er nach dem Verschwinden des Trios bekommen habe und worin behauptet werde, dass Zschäpe V-Frau gewesen sei. Den Brief habe er damals weggeworfen, einen Ermittler nur mündlich informiert. Warum? "Wir wurden so zugemüllt mit Schreiben, außerdem hat diese Nachricht doch keinen Beweiswert." Bislang gibt es von Seiten der Ermittler überhaupt keine Belege dafür, dass einer der Untergetauchten eine V-Person war.
Uwe Mundlos' Abstieg in die rechtsextreme Szene begann 1991, mit schwarzen Springerstiefeln, Bomberjacke, schwarz-rot-goldenen Hosenträgern und geschorenen Haaren. Er und Zschäpe seien damals "alles andere als gefestigt" gewesen, sagt der Vater. "Sie litten an dem Umbruch." Uwe Mundlos propagierte die Auschwitz-Lüge, kleidete sich in imitierten SS-Uniformen, fuhr im Autokonvoi durch Rudolstadt, schwenkte Fahnen zu Marschmusik, verehrte Rudolf Heß, Hitler und das Dritte Reich.
Die radikalen Ansichten seines Sohnes erschütterten Professor Mundlos. Ausgerechnet sein Sohn Uwe, der sich hingebungsvoll um den gelähmten Bruder kümmerte, der der Großmutter seiner Freundin Beate Zschäpe Blumen mitbrachte, der Klassenkameraden Nachhilfe gab. Siegfried Mundlos fuhr nachts nach Chemnitz, als sein Sohn dort nach einer Kundgebung festgenommen worden war, er chauffierte ihn und Zschäpe nach Krakau zum Campingurlaub.
Siegfried Mundlos fluchte, als die Polizei wegen einer Hausdurchsuchung bei den Eltern klingelte. Er verzweifelte, als alle seine Bemühungen, den Sohn aus der Szene zu hieven, misslangen. Und schließlich flehte er seinen Sohn an. Es nützte nichts.
Er freute sich, als der Sohn sein Studium aufnahm, hoffte, dass er den Ausstieg schafft und seine Kommilitonen ihm helfen, "wieder klar zu werden", sagt er am Montag. "Ich ahnte ja nicht, dass mein Gegenüber der Verfassungsschutz ist." Bevor er Uwe als vermisst meldete, suchte Siegfried Mundlos Rat beim Landeskriminalamt. Er sollte seinem Sohn vorschlagen, Kronzeuge zu werden und über die Szene auszupacken. "Ich wusste, das würde er nie tun. Dafür war er zu gradlinig, zu ehrlich, das hätte er nie gemacht."
Aus "falsch verstandener Freundschaft" sei sein Sohn mit Böhnhardt, der ein Vorbild für diesen gewesen sei, geflohen. "Mein Sohn war sehr naiv, fühlte sich geschmeichelt, als Freund von Böhnhardt zu gelten." Während die Eltern Böhnhardt einige Jahre Kontakt zu den Untergetauchten hielten, hörten die Eltern Mundlos nie wieder was von ihrem Kind, wie der Vater sagt.
Die Böhnhardts hätten nie "einen konkreten Hinweis" gegeben, dass sie Kontakt zu dem Trio hätten oder gar vom Verfassungsschutz um Unterstützung gebeten worden seien. "Ich hätte mich sofort für eine Rückhol-Aktion angeboten", sagt Siegfried Mundlos vor dem Ausschuss. Und noch etwas sagt der Vater, der seinen Sohn schon verloren zu haben scheint, bevor dieser in den Untergrund ging: "Ich bin kein Verschwörungstheoretiker. Wir leben in einem Rechtsstaat, Schuld muss erst nachgewiesen werden."
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