Krisen & Konflikte Armee verübt Massaker in Kairo
Verheerendes Blutbad in Kairo: Nach Angaben von Ärzten der Moslembrüder haben angreifende Sicherheitskräfte mehr als 70 Protestierende getötet und etwa Tausend durch Schüsse verletzt. Ihr Sprecher sagte, die Zahl der Opfer könne noch viel höher sein. Der TV-Senders Al Dschasira berichtet, 120 Menschen seien bei dem Angriff am Rande einer 24-Stunden-Wache von Mursi-Anhängern nahe einer Moschee getötet und etwa 4500 verletzt worden. Nach Angaben des ägyptischen Gesundheitsministerium sind mindestens 65 Menschen ums Leben gekommen.
Die meisten Toten und Verletzten soll es in der Nasr-Straße, die zum Protestlager der Moslembrüder vor der Raba-al-Adawija-Moschee führt. Tausende Anhänger der islamistischen Organisation lagern dort seit mehr als drei Wochen.
Der Sprecher der Moslembrüder sagte weiter, die Sicherheitskräfte hätten gezielt auf Anhänger des entmachteten Präsidenten Mohammed Mursi geschossen: "Sie schießen nicht, um zu verletzen. Sie schießen, um zu töten."
Schüsse in den Kopf
Demonstranten sei in Kopf und Brust geschossen worden, Scharfschützen im Einsatz gewesen. Zunächst habe die Polizei in der Nacht mehrfach Tränengas eingesetzt. Dann hätten Sicherheitskräfte aus nächster Nähe auf Menschen geschossen, sagte der Sprecher. Reporter vor Ort sagten, auch Stunden nach Beginn der heftigen Unruhen seien noch Schüsse zu hören gewesen.
Was genau das Blutbad am Rande des Protestcamps ausgelöst hat, ist noch unklar. Die amtliche Nachrichtenagentur Mena berichtet, es seien auch Schrotgewehre abgefeuert worden, doch sei nicht sicher, wer dafür verantwortlich ist.
Ständig neue Opfer
Im Feldspital der Moslembrüder spielten sich am Samstagmorgen nach Angaben ägyptischer Reporter dramatische Szenen ab. Immer wieder wurden Tote und Schwerverletzte gebracht. Die Ärzte kamen mit der Versorgung der Verwundeten kaum nach.
Die Sicherheitskräfte hätten "ein neues Verbrechen begangen" so der Sprecher der Moslembrüder. Von den ägyptischen Behörden lagen zunächst keine Angaben zum Hergang vor.
Vor dem Einschreiten der Polizei hatte die Regierung angekündigt, die Proteste der islamistischen Moslembruderschaft aufzulösen. Die Sitzblockaden von Zehntausenden Mursi-Anhängern in Kairo würden "im Rahmen des Gesetzes" gestoppt, sagte Innenminister Mohammed Ibrahim.
Millionen auf der Straße
Der Gewalt vorausgegangen waren die größten Demonstrationen in Ägypten seit zweieinhalb Jahren. Millionen Ägypter waren auf die Straße gegangen, nachdem Armeechef Abdel-Fattah al-Sisi zu einer Massenkundgebung aufgerufen hatte.
Damit sollte das Volk ihm ein Mandat geben, gegen Gewalt und Terrorismus vorzugehen, sagte Al-Sisi.
Kritiker sagten, Al-Sisi wollte sich damit eine Art "grünes Licht" geben lassen, um noch schärfer gegen die demonstrierenden Muslimbrüder vorzugehen. Die islamistische Moslembruderschaft wollte ihrerseits die bisher größte Demonstration seit dem Sturz Mursis abhalten.
Angeheizt wurden die Proteste von dem Haftbefehl gegen den Islamisten Mursi, dem die Staatsanwaltschaft Mord an Soldaten und Zusammenarbeit mit der radikal-islamischen Hamas vorwirft. Das Militär hatte Mursi Anfang Juli nach Massenprotesten gegen dessen Politik der Islamisierung abgesetzt.
Bereits am Freitag war es zu erneuten Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern Mursis gekommen. Dabei hatte es neun Tote und 200 Verletzte gegeben - die meisten von ihnen in Alexandria, der zweitgrößten Stadt des Landes.
"Gefahr von Bürgerkrieg"
Der Machtkampf in Ägypten zwischen Islamisten und Militär droht nach Ansicht des CDU-Außenpolitikers Ruprecht Polenz in einen Bürgerkrieg zu eskalieren. Derzeit seien die politischen Kräfte in Kairo sehr stark polarisiert und nicht kompromissbereit, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag der "Passauer Neuen Presse".
"Solange sich das nicht ändert, besteht die Gefahr von gewaltsamen Auseinandersetzungen bis hin zum Bürgerkrieg." Man müsse Sorge haben, dass das Militär keine liberale säkulare Demokratie anstrebe, sondern eine staatliche Ordnung, die die eigenen Privilegien absichere.
Selbst der Einfluss der Amerikaner sei in der aktuellen Situation beschränkt. "Ich fürchte, die internationale Gemeinschaft kann relativ wenig tun", sagte Polenz.