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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Milder Herbst – und Winter? Experte: "Das könnte man als Stein im Mosaik sehen"
Bis zu 27 Grad. Und das Ende Oktober: Deutschland erlebt Sommertage im Herbst. Ist das noch normal oder schon die Klimakrise? Ein Meteorologe gibt Antworten.
Es ist warm in Deutschland. Am Wochenende werden Temperaturen jenseits der 25-Grad-Marke erwartet. Bestes Ausflugswetter also – doch beim Blick auf den Kalender fällt auf: Auch wenn die Sonne an Sommer erinnert, beginnt in der kommenden Woche schon der November. Ist das noch normal oder eine Auswirkung der Klimakrise?
Andreas Gassner ist Meteorologe beim Wetterdienst DTN. Im t-online-Interview gibt er Antworten – und einen Ausblick auf den Winter.
t-online: Herr Gassner, erleben wir eine Rückkehr des Sommers im Oktober?
Andreas Gassner: Bei Tagen mit Höchstwerten von 25 Grad Celsius oder mehr spricht man von Sommertagen. Das ist durchaus vorhergesagt, vor allem im Südwesten Deutschlands. Freitag bis Sonntag erwarten wir in Baden-Württemberg rund um den Schwarzwald sogar Spitzenwerte von stellenweise bis zu 27 Grad.
Also viel zu warm für diese Jahreszeit.
Das ist ein wirklich sehr extremer Oktober. Wenn wir uns den Monat bisher anschauen, liegen wir in Deutschland verbreitet zwei bis vier Grad über dem langjährigen Durchschnitt. In den letzten Oktobertagen könnten es dann sogar mehr als fünf Grad werden.
Das geht in Richtung Temperaturrekord: Vor allem in einigen Regionen Süddeutschlands könnte es sein, dass es dort noch nie einen so warmen Oktober gegeben hat.
Am 7. Oktober 2009 waren es im baden-württembergischen Müllheim 30,9 Grad. Könnte auch dieser Wärmerekord für den Oktober geknackt werden?
Höchsttemperaturen zwischen 25 und 27 Grad, wie sie für die nächsten Tage erwartet werden, gab es in der Vergangenheit immer wieder. Es ist außergewöhnlich, ja, aber bei den Spitzenwerten kein Rekord. Das eigentlich Rekordverdächtige ist, dass es nicht nur einzelne Tage sind, sondern eine lange Zeit der überdurchschnittlich hohen Temperaturen.
Wie warm es bei Ihnen wird, zeigt Ihnen die Wetteranimation hier oder oben im Video.
Woher kommt die Wärme?
Über dem Atlantik vor den Britischen Inseln liegt aktuell ein recht kräftiges Tiefdruckgebiet, südwestlich von uns aber ein Hochdruckgebiet. Diese Druckkonstellation löst eine Süd- bis Südwestströmung aus.
Was heißt das?
Luftmassen weit aus dem Süden mit Ursprung über der Sahara werden angezapft und über Spanien, Frankreich und Italien nach Deutschland getragen – auch Saharastaub ist mit dabei. Über dem Mittelmeer, aber auch bei uns wie im Großteil Europas gibt es nach den Sommerwochen noch immer einen großen Temperaturüberschuss, auch weil die Böden weiter sehr warm sind.
Also ist es nicht nur bei uns so warm?
Nein. Wie auch in den vergangenen Jahren häufig der Fall, ist es in weiten Teilen Europas momentan zu warm. Diese wiederholt zu hohen Temperaturen könnte man als einen Stein im Mosaik der Klimaerwärmung sehen.
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Aber Ursache des Sommers im Oktober ist die Klimakrise nicht?
Man kann nicht sagen, dass die Klimakrise die aktuelle Wetterlage explizit ausgelöst hat. Klima setzt sich aus vielen Wetterlagen zusammen und meint die Entwicklung in den vergangenen 30 Jahren. Deswegen sollten wir in solchen Einzelfällen nicht von Klima reden. Und doch gibt es natürlich einen größeren Zusammenhang.
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Nämlich?
Haben sich Strömungsmuster einmal eingestellt, bestehen sie eine längere Zeit – auch weil die Strömungsverhältnisse in der höheren Atmosphäre sich verändert haben. Eine herrschende Wetterlage hält also tendenziell länger an. Daher wird uns das aktuell zu warme Wetter wohl auch noch länger beschäftigen.
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Also bleibt es auch im November so warm?
Ab Dienstag, also pünktlich zum ersten November, dürften die Temperaturen wieder etwas zurückgehen. Sommerwerte von 25 Grad und mehr sind dann nicht mehr zu erwarten. Wir rechnen mit Temperaturen von knapp unter 20 Grad – was für November immer noch deutlich zu hohe Temperaturen sind. Erst gegen Monatsmitte deutet sich an, dass wir dann langsam auf normale, durchschnittliche Temperaturen zurückfallen werden.
Viele Deutsche dürfte das freuen, müssen sie so doch weniger heizen. Wird es so auch im Rest des Winters bleiben?
Es gibt schon einige Langfristprognosen, auch wenn diese immer mit Vorsicht zu betrachten sind. In der zweiten Novemberhälfte und in der ersten Dezemberhälfte sind Anzeichen zu erkennen, dass die Temperaturen eine Zeit lang in den unterdurchschnittlichen Bereich fallen könnten und uns eine kleine Kälte erwartet.
Also muss die Heizung diesen Winter sogar noch mehr als sonst aufgedreht werden?
Nein, das würde ich so nicht sagen. Denn wenn wir noch weiter nach vorn blicken, deutet sich an, dass sich die Temperaturen ab der zweiten Monatshälfte des Dezembers Richtung normal oder sogar überdurchschnittlich entwickeln werden – Weihnachtstauwetter wohl wieder einmal inklusive. Ab Februar scheint es dann sowieso wieder in die überdurchschnittliche Richtung zu gehen.
Angesichts der Klimaerwärmung muss man mit der kurzen Normalität im Dezember daher fast zufrieden sein. Ein größeres Risiko für einen Kaltwinter gibt es momentan nicht – aber in der aktuellen Energiekrise kann man darüber ja eigentlich froh sein.
Herr Gassner, vielen Dank für dieses Gespräch.
- Telefonat mit Andreas Gassner vom Wetterdienst DTN am 26.10.2022