Kalle Gerigk wollte Kündigung nicht akzeptieren 100 Beamte vollstrecken Zwangsräumung in Köln
Polizisten soweit man schaut. Das Haus Fontanestraße 5 in der Kölner Innenstadt ist umstellt. Kinder schauen ängstlich aus dem Nachbarfenster, Einsatzleiter geben über Funk letzte Anweisungen. Die Zufahrten sind bereits in aller Frühe abgeriegelt worden. Ungefähr 100 Beamte sind im Einsatz. Es geht um Kalle. Kalle Gerigk, den zurzeit wohl bekanntesten deutschen Gentrifizierungs-Gegner. Er kämpft um seine Mietwohnung.
Etwa 100 Demonstranten machen sich jenseits der Straßensperre für ihn stark: "Alle für Kalle!", rufen sie. Von den Balkonen der umliegenden Häuser flattern Transparente: "Kein Eigenbedarf - Falle für Kalle". Im Internet kursieren Fotos von einem "Alle-für-Kalle"-Plakat, das von der Berliner Siegessäule baumelt. Und von einer "Kalle-bleibt"-Parole auf einer Mauer, die in El Salvador stehen soll.
Der erste Versuch einer Zwangsräumung von Kalle Gerigks Wohnung war im Februar am Protest von rund 300 Unterstützern gescheitert. Sie hatten sich vor den Wohnungseingang gesetzt, eine Bühne aufgebaut und Künstler und Musiker spielten wie bei einem Straßenfest. Mit der zweiten Protestaktion wolle Kalle ein Zeichen gegen die Entmischung der Innenstadtviertel setzen.
Protest gegen Gentrifizierung
Doch warum die Aufregung? Die Antwort heißt "Gentrifizierung". Jene Form der Verdrängung alt eingesessener Mieter mit kleinem Geldbeutel durch wohlhabendere Schichten. In Berlin zum Beispiel hat der Stadtteil Prenzlauer Berg diese Entwicklung weitgehend hinter sich, in Mitte läuft sie gerade.
Nach Angaben der Bundesregierung sind die Mieten in deutschen Großstädten seit 2008 um mehr als zehn Prozent gestiegen. In den Zentren angesagter Metropolen ist die Lage besonders dramatisch. Die Nachfrage steigt dort ständig, das Angebot kann aber kaum noch erweitert werden - es ist schlicht alles vollgebaut. In einer Stadt wie Köln nimmt die Einwohnerzahl zudem ständig zu. Da bleibt vielen nur noch der Rückzug in die Vorstädte.
Kalle wurde wegen Eigenbedarf gekündigt
Warum das in der Millionenstadt am Rhein nun alles an Kalle festgemacht wird, weiß er auch nicht genau. Es hat sicher etwas mit seinem Namen zu tun, auf den man so schöne Reime finden kann. Kalle kann auch gut reden, er ist im Karneval aktiv. Und außerdem scheinen die Fronten in seinem Fall so schön klar: Auf der einen Seite der nette Kerl, der seit 32 Jahren treu seine Miete bezahlt hat, der fast jeden Nachbarn mit Namen kennt bis hin zu Steve dem Straßenkehrer. Und auf der anderen Seite der Immobilienhai, der die Wohnung aufkauft, Eigenbedarf anmeldet und dem Mieter kündigt, um - so der Verdacht - die Wohnung zu sanieren und teuer weiterzuverkaufen.
Soweit die schöne Geschichte. Die Gerichte sahen es allerdings anders. Zuerst das Amtsgericht und dann auch das Landgericht. "Es liegt ein Urteil vor, das den Mieter rechtskräftig zur Räumung der Wohnung verurteilt", sagt Gerichtssprecher Marcus Strunk, der vor Kalles Haustür ein Interview nach dem anderen gibt.
Polizei räumt, Kalle gibt Schlüssel ab
Die Polizei beginnt unterdessen, die Demonstranten wegzuschleppen. Einige leisten Widerstand, einer trägt eine kleine Platzwunde davon. Ein Mann appelliert an die Polizei, Sanitäter durchzulassen, das geschehe sogar im Krieg. Stattdessen kommen die Möbelpacker.
Und dann erscheint Kalle leibhaftig. Fotografen und Kameraleute kämpfen um die besten Plätze, um ihn ins Bild zu bekommen. "Der Gerichtsvollzieher war sehr freundlich", sagt Kalle. Er habe dem Mann freiwillig den Schlüssel ausgehändigt. Jetzt wird er erstmal bei Freunden einziehen, und dann will er eine Anzeige aufgeben: "Kalle sucht Wohnung." Laut "Kölner Stadtanzeiger" soll er diese sogar schon gefunden haben - nur ein paar Kilometer von seiner alten Bleibe entfernt.