Terroranschlag in Berlin Das BKA fahndet nach dem Tunesier Anis Amri
Nach dem Lastwagen-Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz sucht das Bundeskriminalamt öffentlich nach einem Verdächtigen. Der 24-jährige Tunesier Anis Amri wurde im Auftrag des Generalbundesanwalts offiziell zur Fahndung ausgeschrieben.
Für Hinweise, die zur Ergreifung des Tunesiers führen, wurde eine Belohnung von bis zu 100.000 Euro ausgesetzt. Am Tatort waren Ausweisdokumente gefunden worden, die auf Anis Amri ausgestellt sind.
Im Rahmen der Fahndung nach dem flüchtigen Tunesier hat ein Spezialeinsatzkommando der Berliner Polizei einem Medienbericht zufolge gegen 20 Uhr zeitgleich zwei Wohnungen gestürmt. Eine davon an der Großbeerenstraße in Kreuzberg. Das berichtet die "Welt" unter Berufung auf Ermittlerkreise.
Bei der Razzia sei ein Mann überwältigt worden. Dabei handele es sich laut den Ermittlern aber nicht um den europaweit gesuchten Amri. Der Tunesier wurde demnach jedoch in einer der beiden Wohnungen vermutet. Ein ranghoher Beamter gehe davon aus, dass A. die Flucht ergriffen hat. Tunesische Anti-Terror-Ermittler haben derweil die Familie des Gesuchten befragt.
Nach Informationen des "Spiegel" fanden die Ermittler eine Duldungsbescheinigung unter dem Fahrersitz des Lkw. Sie ist auf den tunesischen Staatsbürger Anis Amri ausgestellt, der 1992 in Tataouine geboren wurde. Der Gesuchte soll mehrere Pässe besitzen und schon zuvor aufgrund von Gewaltdelikten auffällig geworden sein.
Nach italienischen Medienberichten soll er vier Jahre in Italien im Gefängnis gesessen haben. Amri sei 2011 als Flüchtling nach Italien gekommen und in einem Auffanglager für Minderjährige auf Sizilien untergebracht worden, berichtete die Nachrichtenagentur Ansa unter Berufung auf Ermittlerkreise. In dem Lager habe er Sachbeschädigungen und "diverse Straftaten" begangen.
Auffanglager angezündet
Nach Berichten der Zeitung "La Stampa" soll er das Auffanglager angezündet haben. Als Volljähriger wurde er den Informationen zufolge festgenommen, kam vor Gericht und wurde zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Nach Verbüßung der Strafe sei er des Landes verwiesen worden, hieß es weiter. Bei der geplanten Ausweisung habe es jedoch Probleme mit den tunesischen Behörden gegeben. Amri habe Italien verlassen und sich nach Deutschland absetzen können
Amri wurde bereits observiert
Auch in Deutschland geriet Amri ins Visier der Behörden. Im März 2016 sei gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, teilte die Generalstaatsanwaltschaft mit. Bei den Ermittlungen ging es demnach um Informationen, wonach Amri einen Einbruch plante, um sich dabei Mittel für den Kauf automatischer Waffen zu beschaffen - "möglicherweise, um damit später mit noch zu gewinnenden Mittätern einen Anschlag zu begehen", fügte die Staatsanwaltschaft hinzu.
Amri sei daraufhin observiert worden, auch seine Kommunikation sei überwacht worden. Allerdings hätten die "umfangreichen Überwachungsmaßnahmen" keine Hinweise zu den Vorwürfen erbracht. Deshalb habe "keine Grundlage für eine weitere Verlängerung der Anordnungen zur Überwachungsmaßnahmen mehr" bestanden, diese seien im September beendet worden, hieß es in der Erklärung der Staatsanwaltschaft.
Als Gefährder bekannt
Die Deutsche Presse-Agentur will aus Sicherheitskreisen erfahren haben, dass der Tatverdächtige den Ermittlern zudem als Gefährder bekannt ist, dem jederzeit ein Anschlag in Deutschland zugetraut wird. Der Mann habe sich wechselweise in Nordrhein-Westfalen und Berlin aufgehalten.
Nach Angaben des nordrhein-westfälischen Innenministers Ralf Jäger sei Anis Amri "durch Kontakte zu einer radikal-islamistischen Szene aufgefallen". In Berlin sei zudem ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorbereitens einer staatsgefährdenden Straftat gegen den Mann gelaufen.
Papiere für Ausweisung fehlten
Sein Asylantrag sei im Juni abgelehnt worden, Amri habe aber nicht abgeschoben werden können, weil die nötigen Ausweis-Papiere nicht vorlagen. Ersatzpapiere aus Tunesien seien erst am heutigen Mittwoch eingetroffen. Eine Tatbeteiligung des Mannes sei aber noch nicht erwiesen.
Nach Informationen von "Süddeutscher Zeitung", NDR und WDR kam der Gesuchte 2015 nach Deutschland. Im April 2016 habe er Asyl beantragt, gemeldet sei er in einer Asylunterkunft in Emmerich in Nordrhein-Westfalen. Den Informationen nach hatte er Kontakte zum Netzwerk des im November verhafteten Predigers Abu Walaa unterhalten. Abu Walaa wird als die "Nummer 1 des IS in Deutschland" bezeichnet.
Weiterer Verdächtiger wieder freigelassen
Zuvor hatte der Sender RBB berichtet, dass es in den frühen Morgenstunden eine Festnahme gegeben habe. Der Verdächtige sei aber wieder freigelassen worden.
Die Hintergründe des Angriffs und der genaue Tatablauf beschäftigen die Sicherheitsbehörden auch weiterhin. Der Innenausschuss des Bundestags will in einer Sondersitzung über den Anschlag beraten.
Derweil sollen die meisten Weihnachtsmärkte in der Hauptstadt wieder öffnen. Der Breitscheid-Platz bleibt jedoch abgeriegelt.
Fahrer lebte zum Zeitpunkt des Anschlags noch
Zwar reklamierte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) den Angriff auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche für sich. Allerdings steht bislang nicht fest, ob wirklich eine so weit verzweigte Organisation hinter dem Anschlag steht oder der Täter auf eigene Faust handelte. Der IS hatte über sein Sprachrohr Amak verbreitet, der Angriff sei eine Reaktion auf Aufrufe gewesen, die Bürger von Staaten der Anti-Terror-Koalition anzugreifen.
Sollte sich bestätigen, dass der IS hinter der Tat steht, wäre es der erste islamistische Anschlag mit einer Vielzahl von Todesopfern in Deutschland. Dabei verhinderte der polnische Lkw-Fahrer, der beim Attentat auf dem Beifahrersitz saß, möglicherweise sogar noch Schlimmeres. Die Obduktion habe ergeben, dass er zum Zeitpunkt des Anschlags noch lebte, berichtete "Bild.de". Ein Ermittler habe von einem Kampf gesprochen. Auch von Messerstichen ist die Rede. Erschossen worden sei der Mann erst, als der Lkw zum Stehen kam.
Nach dem Attentat fand man den Polen tot im Führerhaus. Nach dpa-Informationen wurde er mit einer kleinkalibrigen Waffe erschossen. Von ihr fehlt bislang jede Spur. Der Mann arbeitete für die Speditionsfirma, der der Sattelschlepper gehört.