Bluttaten von Nizza und Würzburg "Das sind keine Terroristen, sondern Kriminelle"
Binnen weniger Tage wurde die westliche Welt von zwei blutigen Attentaten heimgesucht. Beide folgen einem neuen Muster: Die Anschläge werden mit alltäglichen Gegenständen wie Fahrzeugen, Messern oder Äxten verübt, die Täter handeln nach bisherigen Erkenntnissen alleine und ohne Anweisung. Lassen sich derartige Attentate überhaupt noch verhindern?
"Das sind keine Terroristen, das sind Kriminelle", sagt der Mitarbeiter einer deutschen Sicherheitsbehörde zu t-online.de. Der Mann ist Experte für Dschihadismus und möchte namentlich nicht genannt werden. Er kennt die Aktivitäten der Extremisten im Internet ebenso wie in der realen Welt.
Haben die Behörden eine Chance?
Am Tag nach dem Angriff in einer Regionalbahn bei Würzburg sitzt er noch früher im Büro als sonst und scannt die einschlägigen Seiten. Im Messaging-Dienst "Telegram", wo man Nachrichten verschlüsselt verschickt, ist der Experte schon fündig geworden: Erste Dschihadisten schicken "Bekenntnisse" des Islamischen Staates (IS) zum Axt- und Messerangriff des 17-jährigen Afghanen.
Die Täter von Nizza oder Würzburg - auch wenn die beiden Verbrechen offensichtlich völlig unterschiedliche Größenordnungen haben – stehen für ihn in einer Reihe: Amokläufer oder Gewaltkriminelle nutzen die IS-Ideologie als Projektionsfläche für ihre Ausbrüche. Auch wenn es gravierende Unterschiede beispielsweise zwischen Frankreich und Deutschland gäbe: "Selbst in den abgehängtesten Stadtteilen bei uns gibt es nicht diesen Hass auf jede Frau und jedes Kind, wie in Frankreich."
Haben Spezialisten wie er eine Chance, solche Täter gezielt und rechtzeitig zu entdecken? "Nein, keine", antwortet er. "Höchstens durch Zufall oder mit viel Glück." Genauso wenig, wie Amokläufe oder Selbstmorde in der Regel vorhersehbar seien, verhalte es sich auch mit den Möchtegern-Terroristen, die so unglaublich großen Schaden anrichten.
Ahmet Toprak sitzt ebenfalls schon früh an seinem Schreibtisch in Dortmund. Der bekannte Erziehungswissenschaftler, Experte unter anderem für Gewalt von männlichen Einwanderern und ehemals Berater von Familienministerin Kristina Schröder, gibt dem Sicherheitsexperten Recht: "Radikalisierungstendenzen gab es immer", sagt Toprak. "Aber früher sind die nicht auf die Straße gegangen und haben Menschen getötet." Jetzt aber – vor dem Hintergrund der IS-Ideologie – ergebe es plötzlich Sinn, zu sterben.
"Um das zu tun, muss man viel Kraft aufbringen"
"Die haben das Gefühl: Es lohnt sich, diesen Weg zu gehen", hat Toprak festgestellt. Das sei ein richtiger Hype: "Der IS ist cool, könnte man sagen." Wie dieser Schritt von der persönlichen Misere als Verlierer oder psychisch Kranker hin zum Attentäter funktioniert und wo und wann genau unter dem Eindruck der Terror-Propaganda eine solche Entscheidung fällt, darüber gebe es bislang kaum Erkenntnisse, muss Toprak eingestehen.
Sicher sei aber: "Da muss sich etwas im Kopf abspielen, das dazu führt, dass man in den Opfern keine Menschen mehr sieht." Man könne so eine Tat nicht begehen, ohne abgestumpft zu sein und getrieben von einer Überzeugung, denn: "Um das zu tun, muss man viel Kraft aufbringen." Der Täter von Nizza habe sich Gräuel-Videos des IS angeschaut. Über den Afghanen aus Ochsenfurt wisse man noch nichts.
Wenn Polizisten und Geheimdienstler aber schon vorher praktisch machtlos seien, so könne die Öffentlichkeit doch hinterher einiges besser machen, als bisher, sagt der Sicherheitsexperte: "Man darf sie nicht als Krieger bezeichnen." Viele suchten durch solche Taten eine Aufwertung – vermutlich als Ausgleich für ein verkorkstes Leben. Die dürfe man ihnen nicht zugestehen, sonst würden sie zum Vorbild für den nächsten Täter. Gewalttäter oder Kriminelle seien die passenden Begriffe.