Prozessauftakt nach US-Amoklauf Vom Psychiater zum Attentäter
Die Anklage lautet auf dreizehnfachen vorsätzlichen Mord: In Texas beginnt der Prozess gegen US-Offizier Nidal Hasan, der auf der Militärbasis von Fort Hood auf Kameraden schoss. Dem Radikalislamisten droht die Todesstrafe.
Er sollte ihre psychischen Wunden heilen, sollte den Kriegsheimkehrern auf der US-Militärbasis im texanischen Fort Hood helfen. Das war sein Job. Doch am 5. November 2009 steht Nidal Hasan, Armeepsychiater im Range eines Majors, am Eingang des Soldier Readiness Processing Center, wo die Soldaten medizinisch auf ihre Einsätze vorbereitet werden, etwa durch Impfungen.
Um 13.30 Uhr ruft er zweimal "Allah ist groß", dann eröffnet er das Feuer auf seine Kameraden, über hundert Schüsse fallen. Minuten später sind 13 Menschen tot, mehr als 30 verletzt. So berichten es später mehrere Zeugen. Hasan selbst liegt getroffen am Boden, angeschossen von herbeigeeilten Polizisten. Es ist die blutigste Tat, die je in einer Militäreinrichtung innerhalb der USA verübt wurde.
Ihm droht die Todesstrafe
Knapp vier Jahre später beginnt an diesem Dienstag in Fort Hood der Prozess gegen den mittlerweile 42-jährigen Hasan. Er wird des 13fachen vorsätzlichen und 32fachen versuchten vorsätzlichen Mordes beschuldigt und muss sich vor einem Militärgericht verantworten. In der Jury sitzen 13 Offiziere, die in gut vier Wochen ihr Urteil sprechen sollen. Nidal Hasan, der die Tat nie geleugnet hat, droht die Todesstrafe.
Zwar ist Texas jener Staat, der seit Wiedereinführung der Todesstrafe in den USA so viele Verurteilte hat hinrichten lassen wie kein anderer - am 31. Juli wurde die 503. Exekution seit 1982 vorgenommen - doch hat dies auf die Militärgerichtsbarkeit keinen Einfluss. Letztmalig im Jahr 1961 wurde in den USA ein Soldat hingerichtet, der noch aktiv im Dienst war. In den vergangenen 30 Jahren haben US-Militärgerichte 16 Todesurteile gefällt, doch sind elf davon in Berufungsverfahren gekippt worden. Heißt: Gegenwärtig warten fünf Militärangehörige auf ihre Exekution. Sollte die Jury von Fort Hood den Angeklagten Hasan zum Tode verurteilen, rechnen Experten mit jahrelangen Berufungsverfahren, bis zum Supreme Court.
Hasan hat bereits sein Schuldeingeständnis angeboten, doch haben sowohl Gericht als auch Ankläger abgelehnt. Denn aufgrund einer Vorschrift im Militärrecht wäre in einem solchen Fall ein Todesurteil nicht mehr möglich. Doch genau dies ist das erklärte Ziel der Anklage.
Die Besonderheit in diesem Prozess: Nidal Hasan will sich selbst verteidigen, sich nicht von Anwälten vertreten lassen. So könnte es zu der unheimlichen Situation kommen, dass Überlebende des Attentats vom mutmaßlichen Täter selbst ins Kreuzverhör genommen werden. Da ist zum Beispiel Alonzo Lunsford, der an jenem Novembertag 2009 seinen Dienst am Schalter beim Eingang des Soldier Readiness Processing Center tat. Unbewaffnet.
Der Attentäter schoss Lunsford einmal in den Kopf, siebenmal traf er seinen Körper. Er habe sich tot gestellt, berichtete Lunsford der "New York Times", und sich dann zum Ausgang bewegt. Hasan aber sei ihm gefolgt und habe ihm in den Rücken geschossen. Lunsford überlebte schwer verletzt, er erkannte Hasan als den Attentäter. Jetzt sagte er der Zeitung: "Ich werde von einem Mann ins Kreuzverhör genommen werden, der auf mich geschossen hat." Man könne sich ja all die Emotionen vorstellen, "die das hervorrufen wird", so Lunsford.
Hasan, der seit seinem Attentat gelähmt ist und im Rollstuhl sitzt, wollte sich ursprünglich vor Gericht verteidigen, indem er die Attacke umzudeuten suchte zur Verteidigung afghanischer Taliban-Anführer: Er habe deren Leben retten wollen und deshalb US-Soldaten getötet, die in Kürze nach Afghanistan verlegt worden wären. Militärrichterin Tara Osborn wies diese Verteidigungsstrategie zurück.
Schon bald nach Hasans Tat gab es Diskussionen, ob man sie hätte verhindern können. Sind Spuren übersehen worden? War Hasans Radikalisierung offensichtlich?
Tatsächlich hat der palästinensischstämmige Mann vor der Tat mehrere E-Mails mit dem radikalen Prediger und US-Bürger Anwar al-Awlaki im Jemen ausgetauscht. Der Inhalt der Mails sei aber nicht als "hetzerisch" aufgefallen, hieß es damals quasi entschuldigend aus Ermittlerkreisen: Man habe sie als "Recherche" Hasans für seine Arbeit angesehen und deshalb nichts unternommen. Al-Awlaki selbst wurde im September 2011 von einer US-Drohne getötet.
Die Tat des Nidal Hasan - der in Amerika geboren wurde, in Amerika studierte, in Amerika seinen Doktor machte - schürte auch in den USA erstmals die Angst vorm "Homegrown Terrorism"; die Angst vor US-Bürgern, die sich plötzlich radikalisieren und dann kaum mehr aufzuhalten sind. Hasan scheint zudem in großer Sorge gewesen zu sein wegen seiner bevorstehenden Entsendung ins afghanische Kriegsgebiet.
Er sei "zu Tode erschrocken" gewesen, gab nach der Tat sein Cousin zu Protokoll: "Täglich erzählten ihm seine Patienten vom Horror des Krieges." Vorgesetzte Hasans berichteten von zunehmender Frustration über die Politik und von Auseinandersetzungen mit Kollegen. Und dann kam der 5. November.