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Jewgeni Prigoschin: War Chef der Wagner-Gruppe ein "Ausgestoßener"?


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Fragen zur Gefängniszeit
t-online-Recherche bringt Prigoschin zum Ausrasten


Aktualisiert am 27.06.2023Lesedauer: 8 Min.
Jewgeni Prigoschin: Der Wagner-Chef war in letzter Zeit häufiger schlechter Laune. Im Dezember hatten ihn Fragen von t-online zu einer Schimpftirade veranlasst.Vergrößern des Bildes
Jewgeni Prigoschin: Der Wagner-Chef war in letzter Zeit häufiger schlechter Laune. Im Dezember hatten ihn Fragen von t-online zu einer Schimpftirade veranlasst. (Quelle: IMAGO/Pool /Wagner Group)

Jewgeni Prigoschin kann nicht nur bis an die Zähne bewaffnete Soldaten führen. Der Mann spielt auch bei Propaganda die erste Geige. Als es aber um ihn selbst ging, rastete er aus.

Am Wochenende hielt die Welt den Atem an: Jewegeni Prigoschin, Chef der berühmt-berüchtigten Wagner-Truppe, befahl seinen stark bewaffneten Söldnern den Marsch auf Moskau. Er drohte offen mit einem Staatsstreich. Und Russlands Diktator Putin zeigte Nerven, sprach von einem Dolchstoß und einem Putschversuch.

Wie tickt der Mann, der Putin das Fürchten lehrte? t-online hatte mehrfach Kontakt mit Prigoschin und erhielt dabei eine Kostprobe vom Furor des brutalen Kriegstreibers.

Prigoschin empfahl dem t-online-Reporter in seiner Antwort wörtlich, einem mutmaßlichen Häftling "einen zu blasen oder ihn in den Arsch zu ficken". Die Geschichte, wie es dazu kam, ist bis heute nicht erzählt. Es ist die Geschichte einer Recherche mit unklarem Ende. Es ist ein Fall, bei dem vieles dafür spricht, dass der Ober-Troll Russlands mit eigener Trollfabrik und eigenen Medien plötzlich selbst Zielscheibe einer Schmutzkampagne wurde.

Angeblicher Mithäftling: "Prigoschin war ein Ausgestoßener"

Von dem gefürchteten, skrupellosen und schwerreichen Prigoschin tauchte in der Öffentlichkeit plötzlich ein ganz anderes Bild auf: In seiner Vergangenheit mit einer langjährigen Gefängnisstrafe erschien er als Fußabtreter der Mithäftlinge, auf den alle herabschauten und der für sexuelle Dienstleistungen missbraucht wurde. Die Russen haben ein Wort für die niedrigste Kaste hinter Gittern, so jemand ist ein "петух", ein "Hahn", verachtet von den anderen Gefangenen.

Genau das behauptete ein angeblicher russischer Verbrecherboss in einem Video Ende November 2022 über Prigoschin. Mit freiem Oberkörper und Tätowierungen, die ihn als Knast-Größe ausweisen sollten, ließ er sich über Prigoschin aus. Er wolle bekräftigen, was ein anderer Ex-Häftling über Prigoschin gesagt hat, und er kenne den Wagner-Chef aus früheren gemeinsamen Knastzeiten. Prigoschin sei ein solcher "Hahn" gewesen, ein Ausgestoßener.

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"Er hatte seinen Platz und kannte seinen Platz, und er hat seinen Platz akzeptiert", sagte der Mann, der dort als Sascha Kurara auftrat. Er behauptete auch, Prigoschin habe ihn auf Geheiß hin mehrfach oral befriedigt. In der russischen Gefängniskultur sind sexuelle Kontakte zwischen Männern nur dann ehrenrührig und gelten als homosexuell, wenn man der passive Part ist. Die Äußerung war die totale Erniedrigung für Prigoschin, den starken Mann Russlands bei Putins Angriffskrieg.

Und sie landete umgehend auf großer Bühne.

Oleksij Arestowytsch, damals Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, sprach schon kurz nach Erscheinen des Videos von einem möglichen innerrussischen Machtkampf. Gegenspieler wollten erreichen, dass Prigoschin für die russischen Eliten zu toxisch wird, dass man sich mit ihm also besser nicht öffentlich einlässt. Es sei davon auszugehen, "dass einige Leute beschlossen haben, eine Kampagne gegen Prigoschin zu starten." Das ist auch durchaus vorstellbar, wenn man sich anschaut, wie sich Prigoschins Machtkampf etwa mit dem Verteidigungsminister Schoigu immer weiter hochschaukelte bis zur Eskalation am Wochenende.

Westliche Medien überschlugen sich mit Schlagzeilen, was da ein vermeintlicher russischer Gangsterboss auspackt.

  • Im Knast soll er ein "Sklave" gewesen sein – Gangster-Boss demütigt "Putins Koch" mit Knast-Erinnerungen (Blick, Schweiz)
  • Gangster-Boss demütigt Chef der Wagner-Söldner – Russlands Unterwelt rebelliert gegen Putins Krieg (Bild)
  • Ex-Knacki bedroht Führer der Wagner-Gruppe: "Prigozhin ist ein Päderast" (La Stampa, Italien)

Doch es gab auch eine andere Möglichkeit, wer hinter einer Kampagne stecken könnte: die Ukraine. Arestowytsch sprach selbst von der möglichen Folge, dass Häftlinge sich weniger bereitwillig von Prigoschin rekrutieren lassen – Gefangene waren eine wichtige Nachschubquelle für die Söldnerarmee. Ein Ausbluten der Söldnertruppe wäre ganz im Sinne der Ukraine gewesen. Das Video sollte vermitteln, dass Prigoschin aus seiner Gefängniszeit Häftlinge hasst.

Und der "russische Gangsterboss" war gar nicht so russisch, wie es zunächst hieß. Mit dem Foto des Mannes ließen sich Profile im russischen Netzwerk VK.com finden. Sascha Kurara heißt in Wahrheit Alexander Schtscherbakow. Er postete sehr pro-ukrainisch, sein Freundeskreis besteht vor allem aus Ukrainern.

"Russischer" Häftling saß in Deutschland ein

Und auf einem Video von 2016 auf seiner Seite prangen über seinem Bett die blau-gelbe ukrainische Fahne und die von Nationalisten wieder populär gemachte rot-schwarze Variante davon, dazu der Schriftzug des "Rechten Sektors", einer rechtsextremen ukrainischen Organisation. Das Video tauchte zuerst in einem Kanal der Partisanengruppe "Volkswiderstand der Ukraine" auf, den Metadaten zufolge nur rund zwei Stunden nach der Aufnahme.

Das heißt: Der Mann, der den russischen Söldnerchef beleidigt, ist offensichtlich ukrainischer Nationalist. Was auch irritiert: Das Video aus dem Jahr 2016 hat Schtscherbakow in einem Berliner Gefängnis gedreht, er sucht in dem Jahr auch auf einer Single-Plattform Frauen in Berlin und gab an, 40 zu sein. Aktuell ist er 48. Das geht aus ukrainischen Gerichtsunterlagen hervor, wo Schtscherbakow 2009 wegen Drogendelikten verurteilt wurde.

Kann er Prigoschin in Haft getroffen haben? Richtig ist, dass der langjährige Vertraute Putins lange im Gefängnis saß. Am 17. Dezember 1981 bestätigte ein Berufungsgericht in Sankt Petersburg die Verurteilung: unter Einbeziehung einer anderen Strafe 13 Jahre in einer Strafkolonie mittlerer Sicherheitsstufe.

Der Verurteilung zufolge war Prigoschin treibender Kopf einer Bande, die im Frühjahr 1980 eine Serie von Einbrüchen und Diebstählen beging, die in einem Überfall auf eine Frau gipfelten. Laut Urteil "packte Prigozhin sie von hinten am Hals und begann sie zu würgen, (...) bis sie das Bewusstsein verlor." Die Gruppe erbeutete die Stiefel der Frau und goldenen Ohrringe des Opfers.

"Putins Koch" wurde mit Staatsaufträgen versorgt

Der Prigoschin, der für ein paar Kopeken eine Frau bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt hat, schaffte es dann, zur ersten Adresse für Staatsempfänge zu werden. 1990 kam er vorzeitig frei, nach seiner vorzeitigen Freilassung betrieb er zunächst eine Würstchenbude, eröffnete dann ein Nobelrestaurant in Sankt Petersburg, und kam über Kontakte in Putins Umfeld auch an ihn heran. 2001 tischt er erstmals für einen Staatsgast auf, Jacques Chirac.

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Auch bei einem Treffen mit George W. Bush serviert Prigoschin, er ist jetzt "Putins Koch." In der Folge bekommt er milliardenschwere Catering-Aufträge fürs Militär und Schulen sowie Bau- und Logistikaufträge fürs Militär. 2014 gründet er die Söldnertruppe Wagner, die überall dort tätig wurde, wo es für das Militär zu schmutzig oder zu gefährlich wurde.

Damit ist es an der Zeit, Prigoschin zu fragen, was er zu der "Hahn"-Behauptung sagt. Prigoschins Unternehmen Concord hat dafür eigens eine E-Mail-Adresse, Anfragen und Antworten wurden auch auf dem Account des Unternehmens im russischen Netzwerk VK veröffentlicht. Bis zum Samstag. Während Prigoschins Militärkolonne auf dem Weg Richtung Moskau war, verfügte die Generalstaatsanwaltschaft mit Beschluss Nr. 27-31-2023/Treb 431-23 die Sperrung seines Accounts, die bisher noch nicht aufgehoben ist.

Prigoschin dichtete Olaf Scholz Nazi-Größe an

Zu lesen war dort etwa Prigoschins Eingeständnis, bei der Wahl zum US-Präsidenten 2016 aktiv gewesen zu sein, wofür das FBI auch Haftbefehl ausstellte: "Wir haben uns eingemischt, wir mischen uns ein und wir werden uns einmischen", schrieb er. Auf den Seiten war auch zu lesen, dass Prigoschin zwei frühere Anfragen von t-online erhalten und beantwortet hatte.

Fall 1 – Geld für Nawalny-Behandlung in Berlin: Nachdem der russische Oppositionelle Alexej Nawalny mit dem Nervengift Nowitschok vergiftet worden war, behandelten ihn im August 2020 Spezialisten in der Berliner Charité. Plötzlich meldete die russische Agentur Tass, dass Prigoschin für die Behandlung zahlt. Das ist absurd: Prigoschin hasst Nawalny, er hat dessen Organisation mit Klagen in den wirtschaftlichen Ruin getrieben, bekommt den Urteilen nach noch Geld von Nawalny. Auf Nachfrage von t-online bezeichnet er die Überweisung als Investition. Soll heißen: Wenn Nawalny lebend nach Russland zurückkommt, wartet Prigoschin dort mit den Forderungen auf ihn. Bei der Charité ging nie Geld von Prigoschin ein. Er antwortete t-online schließlich, die Überweisung von einer Million Rubel, umgerechnet damals 11.000 Euro, sei zurückgekommen – wohl wegen der Sanktionen.

Nazi-Opas für Scholz und Lindner: Prigoschin verbreitete im März 2022 über sein Medienimperium die frei erfundene Behauptung, die Großväter von Bundeskanzler Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner und Gesundheitsminister Karl Lauterbach seien bekannte Nazi-Größen gewesen. Die "investigativen Journalisten" seiner "Patriot Media Group" hätten das aus Archiven recherchiert, erklärte er t-online. Offenbar hatten sie nach Namensgleichheiten gesucht. Prigoschin löschte Teile seines eigenen Postings wieder und erklärte t-online als Grund: Politisch bewanderte Freunde hätten ihm geraten, er solle nicht alle Deutschen beleidigen. Einen Fehler räumt er nicht ein. Und die Schmutzkampagne hatte sich längst selbstständig gemacht, sie wird auch heute noch verbreitet.

Was wird Prigoschin sagen, wenn seine schmutzigen Methoden ihn betreffen? Herr Prigoschin, ist es frei erfunden, dass Sie im Gefängnis vergewaltigt wurden und dass Sie den angeblichen Sasha Kurara mit Oralsex befriedigt haben? t-online schreibt Prigoschin, dass der Mann anders heißt, dass das auch alles Kampagne sein könnte und fragt, ob er in Russland mögliche Hinterleute seiner Kampagne sieht und wie sehr es ihn beschädigt, als "Hahn" dargestellt zu werden. Außerdem möge er beantworten, ob es Konsequenzen hat, wenn wie behauptet innerhalb der Wagner-Gruppe Vergewaltigungen geschehen. Es wäre seine Möglichkeit, falsche Darstellungen zu korrigieren.

Hier ist seine Antwort:

"Alle Ihre Fragen sind unhöflich und provokativ. Ich habe nie sexuelle Beziehungen zu Männern gehabt. Während des gesamten Haftzeitraums vom 21. März 1980 bis zum 21. März 1990 war ich eine Autorität. Der Mann, der 'unten' zu sein scheint, der 'Hahn', der sich Sasha "Kurara" nennt, hat noch nie in einem russischen Gefängnis gesessen. Er ist 15 Jahre jünger als ich, also war er 15 Jahre alt, als ich das letzte Mal im Gefängnis war, also ist das eine grobe Fälschung. [Die Angabe des Alters passt zu den Recherchen von t-online, Anm. d. Red.] Er hätte genauso gut Bundeskanzler Scholz ficken oder Adolf Hitler einen blasen können.

Die Kämpfer der Wagner PMC kämpfen erfolgreich in der Ukraine und erfüllen ihre Bürgerpflicht. Die Wagner PMCs vergewaltigen keine Männer. Deutsche und andere europäische Bürger tun dies regelmäßig. In Russland ist die Ausübung der Homosexualität nicht populär.

Ich hoffe, ich habe alle Ihre Fragen sehr konkret beantwortet. Und wenn Sie sich für weitere Details zum Thema Homosexualität interessieren, kann ich dem t-online-Redakteur Lars Wienand empfehlen, dem selbsternannten "Kurara" Alexander Schtscherbakow einen zu blasen oder in den Arsch zu ficken. Soweit ich weiß, saß oder sitzt er in einem deutschen Gefängnis in der Strafsache Nr. 0151xxxxx [Prigoschin gibt offenbar eine Handynummer als vermeintliches Aktenzeichen an, Anm. d. Red.]. Ich wünsche Ihnen viel Spaß!

P.S.: Diese Art der Befragung ist eine absolute Schande für jedes normale Medium. Dahinter können nur Degenerierte von ausländischen Geheimdiensten stecken, denn solche Fakten verbrennen nur das Feld und unterstreichen, dass alles, was über mich erfunden wird, eine plumpe Fälschung ist.

t-online versuchte danach, in Russland und in der Szene der Ukrainer und in Justizkreisen in Berlin mehr Informationen zu Schtscherbakow zu finden und den Mann ausfindig zu machen. Er hatte sogar in einem zweiten Video angeboten, man könne ihn in der Türkei treffen. Doch Kontakt gibt es nicht, der "Volkswiderstand der Ukraine", der es verbreitet hatte, antwortete auf Anfrage nicht.

Die Spur des Mannes, der Prigoschin zum "Hahn" erklärt hat, sie verliert sich also. Damit bleiben Fragen offen. Aber es ist wahrscheinlich, dass der Ober-Troll Prigoschin selbst erfahren musste, wie sich eine Schmutzkampagne anfühlt.

Verwendete Quellen
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