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Erdbeben in der Türkei: Sechs Monate später – Die Probleme reißen nicht ab


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Bei Temperaturen um 45 Grad
"Sie nutzen das Trinkwasser als Druckmittel"


Aktualisiert am 07.08.2023Lesedauer: 5 Min.
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Sechs Monate nach den verheerenden Erdbeben: Trinkwasser ist, wie hier in Nordsyrien, oft rar. (Quelle: IMAGO/Rami Alsayed)

Ein halbes Jahr sind die schweren Erdbeben in der Türkei und Syrien nun her. Überlebende kämpfen seitdem um ihre Existenz – und stehen bereits vor der nächsten Herausforderung.

Trümmerberge zogen sich über die Straßen, Krankenhäuser waren überfüllt, ganze Gebiete von Versorgungswegen abgeschnitten, teils wochenlang. Und die Opferzahlen stiegen unaufhaltsam. Heute steht fest: Die schweren Erdbeben im Grenzgebiet der Türkei und Syriens am 6. Februar haben mindestens 50.000 Menschen das Leben gekostet. Wahrscheinlich sind die tatsächlichen Opferzahlen viel höher.

Millionen weitere Menschen wurden obdachlos, unzählige werden noch vermisst. Es ist die erschütternde Bilanz einer Naturkatastrophe, die die Region so noch nicht gesehen hatte. Doch nicht nur Trümmer und Zerstörung machen den Menschen zu schaffen: Die Betroffenen und die Hilfsorganisationen kämpfen ein halbes Jahr später auch noch mit politischen Konflikten.

"Nach zwölf Stunden hörte sie auf zu atmen"

Elçin Ezel aus der südtürkischen Provinz Hatay verlor damals ihre Mutter, ihren Sohn und ihre Tochter. Das Mädchen starb in ihren Armen. Das schilderte sie einer Nothelferin der Organisation Care Deutschland, die in der Türkei aktiv ist und t-online schriftlich von ihrer Arbeit berichtet hat. "Es war dunkel und das Atmen fiel mir mit der Zeit immer schwerer. Ich hielt meine Tochter fest, aber nach zwölf Stunden unter den Trümmern hörte sie auf zu atmen." So zitiert Care-Mitarbeiterin Sarah Easter die Mutter. Easter betreut sie seit der Katastrophe.

81 Stunden lang war Ezel unter den Trümmern ihres Hauses gefangen. In Hatay hatte die Erde mit einer Stärke von 7,7 und 7,6 gebebt.

Heute lebt sie wie viele andere Betroffene in einem Container als Notunterkunft in der Region. Sie erhält ein wenig finanzielle Hilfe der Organisation, ansonsten steht sie vor dem Nichts. Auch sechs Monate später "ist noch nichts wieder in Ordnung", schreibt Sarah Easter t-online. Dass Ezel bald in ein neues Haus zurückkehren könne, sei undenkbar. Der Wiederaufbau ziehe sich hin.

Jener Wiederaufbau ist eine große Herausforderung für die Südwesttürkei und Nordostsyrien. Vor Kurzem warf die Ärztekammer der türkischen Region Adana den Behörden vor, Schutt eingestürzter Gebäude unkontrolliert abgeladen zu haben. Man wisse nicht, ob darin Giftstoffe wie Asbest enthalten seien und ob diese ins Grundwasser sickern könnten. Diese Ungewissheit sei ein Problem, sagte Ärztekammerchef Selahattin Mentes: "Wir wissen nicht, wie hoch die Rate an Lungenkrebs in fünf oder zehn Jahren sein wird, genauso wie wir noch nicht wissen, wie sich die schlechte Ernährung auf die Entwicklung der Kinder auswirken wird."

Und wegen weiterer Faktoren kommt die Region nicht zur Ruhe. Durch die anhaltende Hitze der vergangenen Wochen kam es erst im Juni zu schweren Waldbränden. Im türkischen Antakya, das von den Beben schwer zerstört wurde, waren auf Bildern des Staatssenders TRT Flammen in einem Waldstück zu sehen. In Ezels Provinz Hatay brach ebenfalls ein Waldbrand aus. Zahlreiche Flugzeuge und Helikopter waren im Löscheinsatz.

Abgeschottete Regionen im Norden Syriens

Besonders von den Beben betroffen war zudem der Norden Syriens – ohnehin ein politisches Pulverfass. Der Nordwesten des Landes wird von Rebellen und Islamisten kontrolliert, dort leben 4,8 Millionen Menschen, die nur schwer zu erreichen sind. Die Katastrophe traf Gebiete unter unterschiedlicher Kontrolle, was Helfern die Arbeit erschwert. Fast die gesamte humanitäre Hilfe muss über Bab al-Hawa transportiert werden – den einzigen durch eine UN-Resolution garantierten Übergang der türkisch-syrischen Grenze.

Fee Baumann arbeitet in dieser Region als Helferin des Kurdischen Roten Halbmonds. Die Organisation kooperiert mit der Frankfurter Hilfsorganisation Medico und hilft vor allem medizinisch mit mobilen Krankenstationen. Baumann und ihre Teams arbeiten in Geflüchtetencamps im Nordosten und Nordwesten Syriens, in Afrin, Kobane, Qamischli und Teilen Aleppos.

Die Lage sei schwierig, so Baumann. Tausende Menschen, etwa aus Aleppo, mussten ihre Heimatstädte verlassen. Der Kurdische Rote Halbmond baute deshalb die Camps aus. Die deutsche Helferin schildert, man habe mehr Zelte beschafft, elf weitere Lager sollen folgen. Hilfsmittel anzuliefern bleibe aber schwierig, sagt die 39-Jährige, auch daran hindere das syrische Regime die Organisationen. Lesen Sie hier mehr zu den Blockaden.

"Die Vertreter des Regimes geraten oft in Streit mit der kurdischen Selbstverwaltung. Zum Glück nie für lange, aber sie nutzen das Trinkwasser häufig als Druckmittel und schalten in Teilen von Aleppo das Wasser für einige Stunden ab", berichtet Baumann. Das werde besonders jetzt, im Hochsommer mit Temperaturen um die 45 Grad, zum Problem. Ähnlich nutzten syrische Behörden Strom, um Druck auszuüben, berichtet sie. Die Zelte für Geflüchtete, in denen es "irre heiß" ist, wie sie sagt, könnten wegen Strommangels kaum gekühlt werden. Genauso sei es mit Medikamenten.

Baumann und ihre Teams, die mit vielen lokalen Kräften im Einsatz sind, setzen daher nun auf Solarpanels. So sollen die Krankenhäuser von der lokalen Stromversorgung unabhängig und die Zelte einigermaßen bewohnbar gemacht werden.

imago stock&people
imago stock&people (Quelle: imago stock&people)

Kurdischer Roter Halbmond/Medico

Der Kurdische Rote Halbmond ist nicht Teil des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, arbeitet aber nach dessen Richtlinien. Die Organisation erhält Spenden unter anderem von deutschen Hilfsorganisationen wie dem Aachener Bündnis Entwicklung Hilft, aber auch von „Die Partei“. Fee Baumann, 39, stammt aus Norddeutschland, lebt aber seit fünf Jahren in Nordostsyrien. Sie hält sich in der Regel in der Großstadt Qamischli auf, die zur kurdisch geprägten Region Rojava gehört. Von dort koordiniert sie unter anderem die medizinische Notfallversorgung der Halbmond-Teams. Derzeit ist Baumann für einige Wochen in ihrer Heimat.

1,8 Millionen Euro Spenden

All dies erschwert es den Menschen, zur Normalität zurückzukehren. Immerhin: Die medizinische Hilfe hätten sie weitgehend wiederherstellen können, sagt Baumann. OP-Räume in Krankenhäusern und Kliniken selbst wieder aufbauen, elf Krankenwagen beschaffen, Personal einstellen, auch Ingenieurinnen, die den Aufbau begleiteten – das hätten sie und ihren Mitstreiter bereits geschafft. Insgesamt rund zwei Millionen Dollar (1,8 Millionen Euro) Spendengelder erhielt der Kurdische Rote Halbmond in den vergangenen sechs Monaten.

Und: Die meisten Straßen seien wieder geräumt und frei, erzählt Baumann. "Einige Privathäuser wurden einigermaßen gesichert, betreten darf man sie aber auf keinen Fall." Andere wiederum habe man kontrolliert abreißen können.

"Aber kontrolliert heißt dann, dass ein Seil um eine tragende Säule gelegt und mit einem Traktor daran gezogen wird. Das geht aber natürlich nur bei niedrigen, also maximal einstöckigen Häusern." Ansonsten fehle es an nahezu allem. So habe man einige Gebäude nicht abreißen können, weil geeignete Baumaschinen und Diesel, um die Maschinen zu betreiben, fehlten.

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Auch den Treibstoff halte die syrische Regierung zurück, sagt Baumann. "Wir können die Generatoren also sowieso sehr wenig laufen lassen und wenn, dann ist die Qualität des Öls oft sehr schlecht, wodurch die oft ohnehin alten Generatoren oft kaputtgehen. Aber Ersatzteile fehlen. So geht es immer weiter."

Luftangriffe aus der Türkei

Und die Helfenden stehen vor einem weiteren Problem: Hilfslieferungen aus dem Nordosten Syriens seien auch deshalb nur unter hohem Risiko möglich, weil die Türkei wieder vermehrt Angriffe fliege, so Baumann. "Rund um die Wahlen in der Türkei im Mai hatten sich die Attacken noch mal mehr verstärkt", berichtet sie.

Immer wieder greift die Türkei kurdische Ziele an, im eigenen Land, aber ebenso im Irak und in Syrien. Dort trifft es häufig Afrin, wo hauptsächlich Kurden leben. Sie und ihre Teams, sagt Baumann, könnten deshalb überhaupt nicht dorthin. Und auch wegen syrischer Blockaden ist die Gegend für die Helfende zu gefährlich.

Die Rückkehr zur Normalität, schreibt auch die Care-Helferin Easter t-online, sei noch ein langer Weg. "Die nächste Herausforderung für viele Familien, die in den Notunterkünften leben, wird der Winter sein."

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Fee Baumann
  • Mitteilung von Care Deutschland, 1. August 2023
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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