WDR-Doku "Richter Gottes" Die geheimen Gerichte der Kirche
Die Kirche hat ihre eigenen Gesetze. Das ist wörtlich zu nehmen, denn hier gibt es eine Paralleljustiz mit eigenen Gerichten und mit Juristen, die verbindliche Urteile fällen. Die WDR-Dokumentation "Richter Gottes. Die geheimen Prozesse der Kirche", die am Montagabend im "Ersten" lief, weist nach, dass diese Gerichte bei Fällen wie Kindesmissbrauch nicht so genau hinsehen.
Pfarrer Peter R. ist die Hauptperson einer Geschichte, die eher im Mittelalter spielen könnte – als Kirchen mächtiger waren als so mancher Herrscher. Doch die Dokumentation zeigt die Gegenwart, in der Peter R. für hundertfachen Kindesmissbrauch nicht einmal bestraft wird und der später für ein weiteres Vergehen eine vergleichsweise geringe Geldstrafe von 4000 Euro zahlen muss, da die anderen Fälle verjährt sind. Es entsteht der Eindruck, als wolle das Kirchengericht sich nicht nachsagen lassen, sie hätten ihren pädophilen Pfarrer gänzlich davonkommen lassen.
Die katholische Kirche schützte Peter R. über Jahrzehnte, obwohlsie von den Vergehen wusste. Er hat Kinder sexuell genötigt, sie angefasst, geküsst und zum Masturbieren gezwungen. Als der Druck zu groß wird, übergibt das Kirchengericht den Fall an die Oberstaatsanwaltschaft, offenbart jedoch nicht alle Details des Falles. Dass es sich um einen der Haupttäter des Missbrauchsskandals am Berliner Canisius-Kolleg handelt, erfährt der Staatsanwalt nicht und geht deshalb von völlig falschen Voraussetzungen aus. Das Verfahren wird schließlich eingestellt.
Kirchengericht prüft Ehen auf Gültigkeit
Doch die Kirchengerichte sind in Deutschland gewollt und sogar im Grundgesetz verankert. In der Hauptsache kümmern sie sich allerdings um Kirchen-eigene "Gesetze", beispielsweise um die Gültigkeit von Eheschließungen. Und hier schauen sie im Gegensatz zu den Missbrauchsfällen ganz genau hin. Die Vorgeladenen werden stundenlang zu intimsten Details verhört, immer wieder Fangfragen gestellt. Es werden ausgewählte Psychologen hinzugezogen, die die speziellen Regeln der Kirche kennen, verstehen und anwenden.
Die Anzahl der Paare, die einen Eheprozess führen, ist hoch. Die Kirche beschäftigt in Deutschland mehr als 700.000 Menschen in den verschiedensten Einrichtungen, Schulen, Kindergärten oder Beratungsstellen. Es kommt häufig vor, dass Angestellte Gefahr laufen, ihren Job zu verlieren, beispielsweise wenn sie mit einem Partner zusammenleben wollen, der bereits geschieden ist. Damit das möglich ist, muss dessen erste Ehe für ungültig erklärt werden. War der Partner zum Zeitpunkt der ersten Eheschließung geistig unreif oder stand er in einem Abhängigkeitsverhältnis? Wird die Ehe aufgehoben, steht der zweiten Heirat nichts im Wege. Deshalb haben die Paare selbst ein großes Interesse, ein Kirchengericht aufzusuchen.
Abgründe dieses parallelen Rechtssystems
Die WDR-Dokumentation "Richter Gottes. Die geheimen Prozesse der Kirche" zeigt sehr detailliert die Abgründe dieses parallelen Rechtssystems auf, indem sie ausführliche Interviews mit Betroffenen führt. Zudem kommen ein Psychologe und eine Kirchenrichterin zu Wort. Als Zuschauer hätte man sich zusätzlich gewünscht, einmal in das "Gesicht des Bösen" dieser Justiz blicken zu können: Wer hat Peter R. davonkommen lassen? Welche Richter sprachen die Urteile in diesen Fällen? Wer rechtfertigt mit welcher Erklärung, dass nicht einmal die Betroffenen erfahren dürfen, dass in ihrer Sache verhandelt wird? Trotzdem ist die Dokumentation sehenswert. Sie ist bis zum 30. November 2016 in der ARD-Mediathek verfügbar.