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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Unerklärtes Phänomen Erschütterungen in der Ostsee – das vermuten Experten
Bewohner von Bornholm spürten ein Zittern, doch ein Erdbeben war das nicht. Das lässt auch Experten bislang ratlos zurück. Zwei Vermutungen gibt es aber.
Plötzlich klirrten die Fenster, die Inselbewohnerinnen und -bewohner hörten ein tiefes Grollen, spürten ein Zittern. Am Samstagnachmittag gegen 15 Uhr wurden einige der fast 40.000 Einwohner der dänischen Insel Bornholm von Erschütterungen überrascht. "Wir konnten das Zittern spüren. Es gab einige knallartige Geräusche", erzählte Kenny Due, der in Snogebæk im Südosten der Insel ein Café betreibt, der dänischen Boulevardzeitung "BT". "Es war tatsächlich ein bisschen beängstigend", sagte er.
Etwa 70 Berichte von Menschen auf Bornholm sind bei der zuständigen Behörde, der Geologischen Forschungsanstalt für Dänemark und Grönland (GEUS), eingegangen. "Wir haben noch nie so viele Berichte von Bornholm erhalten", sagte eine Geophysikerin der Stelle, Trine Dahl-Jensen, der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Es handle sich damit durchaus um ein "außergewöhnliches Ereignis".
Was aber dieses "außergewöhnliche Ereignis" ausgelöst hat, ist weiter ungeklärt. Im ersten Moment vermuteten viele Beobachter ein Erdbeben – für Laien zunächst naheliegend. Doch am Sonntag gaben die Seismologen der Behörde, "nach eingehender Prüfung", bekannt: Es war kein Erdbeben, das die aufgezeichneten Erschütterungen verursacht hat.
Auch die Webseite "Erdbebennews", welche Informationen zu Erdbeben auf der ganzen Welt veröffentlicht, schreibt: Eine Messstation im Zentrum der Insel zeigte um 15 Uhr ein "schwaches, aber relativ lang andauerndes Signal". Ein solches sei untypisch für ein Erdbeben.
Experten sprechen von "akustischen Druckwellen"
Was war es dann? Die Wissenschaftler von GEUS sprachen am Sonntag in einer Mitteilung von "akustischen Druckwellen". Diese seien von "einem oder mehreren Ereignissen irgendwo in der Atmosphäre" ausgelöst worden. Höchstwahrscheinlich seien diese für die Erschütterungen verantwortlich.
Doch damit ist das Rätsel noch nicht gelöst: Woher stammten diese Schallwellen? Die Geophysikerin der Behörde, Trine Dahl-Jensen, verwies im dpa-Interview zunächst darauf, dass es eine zeitliche Überschneidung mit kontrollierten Explosionen im Norden von Polen gebe, mehr als 140 Kilometer südlich von der dänischen Insel. Allerdings sei noch nicht geklärt, ob die beiden Ereignisse tatsächlich zusammenhängen. In der offiziellen Mitteilung ihrer Behörde heißt es dann allerdings: Es sei "unwahrscheinlich" dass die Erschütterungen von diesen Explosionen herrührten.
Die Ursache also: weiter ungeklärt. Eine Anfrage von t-online zu einem neuen Kenntnisstand ließ GEUS am Dienstag unbeantwortet. Und so können auch Experten bislang nur Vermutungen äußern. In Medienberichten kursieren derzeit zwei von Wissenschaftlern geäußerte Hypothesen.
Überschallknall durch Kampfflugzeuge?
Erstens: Dass die Erschütterungen auf eine Übung mit Kampfflugzeugen in der Gegend zurückzuführen sind. Das sagte unter anderem Björn Lund, ein Seismologe von der Universität Uppsala, der schwedischen Nachrichtenagentur TT. "Wenn wir von einem solchen Grollen und Zittern hören, ist es fast immer so, dass die Luftwaffe die Schallmauer auf See durchbrochen hat und die atmosphärischen Bedingungen so waren, dass der Überschallknall über Land rollte", sagte Lund. Meldungen über ähnliche Vorfälle erreichten die Universität laut TT "ein paar Mal im Jahr".
Auch in diesem Fall seien aus Teilen Südschwedens ebenfalls Erschütterungen gemeldet worden, so Lund weiter. "Wir haben zu leicht unterschiedlichen Zeiten Meldungen von Orten auf Öland und in Blekinge erhalten." Öland ist eine Ostseeinsel vor der südöstlichen Küste Schwedens, Blekinge eine Provinz im Süden des Landes.
Was dagegen sprechen könnte: Zumindest die dänische Luftwaffe teilte auf Anfrage der Tageszeitung "Berlingske" mit, dass sie am Samstagnachmittag nicht mit Kampfflugzeugen in der Gegend gewesen sei.
Auch Florian Haslinger vom Schweizerischen Erdbebendienst zeigt sich im Gespräch mit t-online skeptisch: "Das würde mich sehr wundern", sagt er. Denn eigentlich sei ein durch Kampfjets ausgelöster Überschallknall ziemlich eindeutig auf Seismografen zu erkennen. Laut Haslinger könnte eine Möglichkeit sein, dass der Überschallknall aus großer Entfernung stammte. Und dass dieser eventuell durch Atmosphärenschichten so umgelenkt wurde, dass die Signale auf die Gegend fokussiert wurden, aus der die Beobachtungen stammen, aber auf den seismischen Stationen nicht mehr eindeutig zu erkennen gewesen waren.
Ein Meteorit?
Bleibt noch die zweite, von Experten in Umlauf gebrachte Vermutung: ein Meteorit. Auch ein solcher könne in manchen Fällen einen Überschallknall verursachen, sagte etwa der Geophysiker Henning Haack der dänischen Zeitung "Berlingske".
Auch Experte Haslinger hält das im Gespräch mit t-online für möglich. Dann müsse es sich seiner Einschätzung zufolge allerdings um einen recht kleinen Meteoriten gehandelt haben, "der relativ nah an dem Ort noch in der Luft explodiert ist". Denn einen größeren Meteoriten hätte man ebenfalls auf seismischen Stationen in der Gegend erkennen müssen, so Haslinger.
Der Geophysiker Haack nennt selbst eine Einschränkung seiner vorgebrachten Vermutung: das offenbar klare Wetter. Hätte es sich um einen Meteoriten gehandelt, so hätte wohl irgendjemand einen entsprechenden Feuerball gesehen, sagte der Experte laut dem Medienbericht.
Auch am Dienstag also lässt sich festhalten: Die Ursache ist noch immer ungeklärt. Selbst Experten müssen weiter rätseln, was hinter den Bornholmer Erschütterungen steckte.
- Telefonisches Gespräch mit Florian Haslinger am 16.05.2023
- Anfrage an "De Nationale Geologiske Undersøgelser for Danmark og Grønland (GEUS)"
- berlingske.dk: "Sydsverige fik også meldinger om mystiske rystelse, siger svensk seismolog. Han har en teori" (dänisch)
- berlingske.dk: "Rystelser på Bornholm bliver stadigt mere gådefulde – her er eksperternes teorier" (dänisch, kostenpflichtig)
- bt.dk: "Mystik om rystelser på Bornholm: Flere meldinger om fald i tryk og mærkelige lyde" (dänisch)
- erdbebennews.de: "Erschütterungen auf Bornholm"
- geus.dk: "Rystelser på Bornholm: Akustiske trykbølger fra ukendt kilde" (dänisch)
- seoghoer.dk: "Mystiske rystelser på Bornholm: Her er ekspertens bud" (dänisch)
- Nachrichtenagentur dpa