Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Da kommt was auf uns zu
Buongiorno cari lettori,
io sono Giorgia: Sono una donna, sono una madre, sono cristiana! Da oggi l'Italia cambierà e … oh! Mi scusi, per favore, Sie verstehen ja vielleicht gar kein Italienisch. Na, dann tu ich Ihnen den Gefallen und fasse meine heutige Regierungserklärung knapp auf Deutsch zusammen, auch wenn mir das offen gestanden nicht leichtfällt. Ich und meine Leute, wir mögen es nämlich nicht, dass Sie in Deutschland meinen, alle anderen Europäer müssten nach Ihrer Pfeife tanzen. Aber bene, da dies ein deutscher Newsletter ist und mir der hiesige Chefredakteur, Signore Harms, heute Morgen freundlicherweise den Platz eingeräumt hat, um Ihnen meine Pläne vorzustellen, mache ich eine Ausnahme.
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Allora! Ich werde Ihnen also subito berichten, was ich als neue italienische Ministerpräsidentin dem Parlament in Rom heute Vormittag sagen werde, bevor am Abend die Vertrauensabstimmungen in beiden Kammern des Parlaments anstehen und ich mit meiner Mannschaft endlich loslegen kann. Und damit Sie wirklich verstehen, was ich will, lasse ich die diplomatischen Floskeln hier ausnahmsweise beiseite und rede Klartext.
Ich bin Giorgia Meloni. Ich bin eine Frau, ich bin eine Mutter, ich bin eine Christin. Das ist das Wichtigste, das ist mein Kompass. Ich hatte es nicht einfach im Leben, ich weiß, was harte Arbeit bedeutet. Meine Mutter war streng, ich habe alle möglichen Jobs gemacht, von Kellnerin bis Barkeeperin. Jetzt bin ich die Regierungschefin meines Landes, das nenne ich einen Aufstieg. Geschafft habe ich das, weil ich fleißig, prinzipientreu und patriotisch bin. Mir geht es darum, Italien wieder aufzurichten. Das gelingt, wenn wir uns auf unsere Werte besinnen: Gott, Familie, Vaterland. Ich finde, das ist eine gute Formel für alle Patrioten. Falls Sie nun einwenden, dass sie von den Faschisten unter Benito Mussolini stammt, entgegne ich: na und? Damals war nicht alles schlecht.
Italien muss wieder stark werden. Wir dürfen uns nicht länger selbst schwächen, indem wir unsere Traditionen dem linken Zeitgeist opfern. Da bin ich auf einer Linie mit meinen Freunden in Ungarn und Polen. Abtreibung ist eine Sünde. Auch Homosexualität ist eine Sünde, steht schon in der Bibel. Wir dürfen uns von der LGBT-Lobby nicht weiter auf der Nase herumtanzen lassen. Da sind meine Fratelli d'Italia sehr entschieden.
Für meine neue Rechtsregierung habe ich mir kompetente Partner an die Seite geholt. Unser neuer Verkehrsminister Matteo Salvini von der Lega-Partei wird dafür sorgen, dass all die Asozialen aus Nordafrika nicht mehr in unseren Häfen landen. Darin hat er Erfahrung, er war ja schon mal Innenminister. Für die Kriminellen, die es leider schon hierhergeschafft haben, werden wir schöne neue Gefängnisse bauen. Und Silvio Berlusconi von der Forza Italia entsendet seine Sekretär…, pardon, seine Vertraute Maria Elisabetta Casellati als Reformministerin in unser Kabinett. Ich gebe zu, sie bringt zwar keine Erfahrung mit, und seine Macho-Machtspielchen sind mitunter nervtötend, aber so ist das halt in der Politik. Dafür habe ich für das Außen- und das Finanzministerium zwei Persönlichkeiten ausgewählt, die auch in Brüssel Vertrauen genießen: Antonio Tajani und Giancarlo Giorgetti werden unsere Interessen in der EU eisern verteidigen.
Das ist nämlich dringend nötig. Als EU-Gründungsland muss Italien in Brüssel endlich gebührenden Einfluss bekommen. Und dann räumen wir mit dem bürokratischen Moloch da oben mal richtig auf. All die überbezahlten Beamten, all die absurden Vorschriften und verschleuderten Milliarden für Gleichstellung, Flüchtlingshilfe und andere linke Projekte: Das muss endlich ein Ende haben! Da weiß ich mich einig mit meinen Freunden Viktor Orbán und Marine Le Pen. Gemeinsam werden wir den Kontinent umkrempeln. Die EU muss denjenigen dienen, die sie finanzieren: den patriotischen Einwohnern Europas, den Familien und Arbeitnehmern. Basta!
Gestatten Sie mir an dieser Stelle ein Wort zur Ukraine, da ich in diesen Tagen oft danach gefragt werde. Natürlich verurteile ich den russischen Überfall, natürlich steht Italien an der Seite des ukrainischen Volkes – ebenso, wie wir ein verlässliches Mitgliedsland der westlichen Allianz sind! Die Nato ist die Bastion unserer gemeinsamen Werte. Zugleich bitte ich um Verständnis, dass ich Rücksicht auf meine Partner nehmen muss; die Signori Salvini und Berlusconi sind ja große Bewunderer Wladimir Putins. Womöglich ist da auch an der einen oder anderen Stelle Geld geflossen, so ist das halt in der Politik (das werde ich nachher im Parlament natürlich nicht sagen). Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich alles tun werde, um die Energiekosten für die Italiener bezahlbar zu halten. Da ist sicher auch noch mehr aus EU-Töpfen zu bekommen. Ihr in Deutschland seid ja reich, ihr könnt bestimmt mehr geben.
Sie sehen: Ich werde hart für mein Land arbeiten. Wenn es darum geht, eine ganze Nation zu retten, ist es eine unverzeihliche Marotte, sich von seinen persönlichen Bedürfnissen treiben zu lassen. So sehe ich das. Jetzt wissen Sie, wie ich ticke. Und falls nicht, verspreche ich Ihnen: Sie werden mich kennenlernen.
Der Nächste, bitte
Die normalerweise üblichen 100 Tage Schonfrist werden ihm sicher nicht gewährt: Rishi Sunak, der sich gestern zum Chef der Tories küren ließ und damit als nächster britischer Premierminister feststeht, sieht sich einem Berg von Problemen gegenüber. Schließlich befindet sich die Wirtschaft des Vereinigten Königreichs im Abwärtsstrudel – nicht nur, aber auch wegen der haltlosen Steuersenkungsversprechen seiner gescheiterten Vorgängerin Liz Truss. Anzunehmen ist daher, dass der 42-jährige ehemalige Schatzkanzler das Wirtschafts- und Finanzprogramm von Truss flugs umdrehen, auf konsequente Sparpolitik setzen und die versprochenen Energie-Entlastungspakete zurücknehmen wird.
Darüber hinaus muss sich der neue Mann in 10 Downing Street, der voraussichtlich heute von König Charles III. mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt wird, erst einmal die Gefolgschaft seiner zerstrittenen Partei sichern: Für wichtige Entscheidungen zur Migrationspolitik oder zum Nordirland-Protokoll mit der EU braucht er eine stabile Mehrheit in den eigenen Reihen. Das wird nicht einfach, denn vielen Tories gilt der in Southampton geborene Sohn indischer Einwanderer – der erste britische Regierungschef, der einer ethnischen Minderheit angehört – als Königsmörder: Sie werfen ihm vor, mit seinem Rücktritt als Finanzminister Anfang Juli das Aus des skandalumwitterten, aber an der Basis noch immer beliebten Ex-Premiers Boris Johnson befördert zu haben, berichten meine Kollegen Sonja Eichert und David Schafbuch.
In der Bevölkerung wiederum nährt Sunaks Wohlstand Zweifel, ob er überhaupt mit Alltagsproblemen vertraut ist: Der einstige Investmentbanker gilt als reichster Abgeordneter, was auch an seiner Ehefrau liegt, der Tochter eines indischen Computer-Milliardärs. Aber die Bevölkerung zu befragen, haben die Tories ja einmal mehr erfolgreich vermieden. Als ich gestern mit dem berühmtesten britischen Historiker zusammensaß und ihn nach seiner Meinung zu Herrn Sunak fragte, zog er übrigens skeptisch die Augenbraue hoch.
Frühe Aufbaupläne
Noch wütet der Krieg in der Ukraine, noch dauert die Zerstörung des Landes durch die russischen Invasoren an – da mag es verfrüht erscheinen, schon an den Wiederaufbau zu denken. Andererseits kann es nicht schaden, sich bei einer Herkulesaufgabe wie dieser (Kiew schätzt die Kosten auf 750 Milliarden US-Dollar) frühzeitig abzustimmen. Genau das ist das Ziel der Ukraine-Konferenz, zu der Kanzler Olaf Scholz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen heute nach Berlin eingeladen haben. Internationale Experten, Vertreter der G7-Staaten, der Europäischen Union und der Ukraine sollen erörtern, wie die "Generationenaufgabe" (O-Ton Scholz) gewuppt werden kann, ja, wie ein "neuer Marshallplan des 21. Jahrhunderts" (noch mal Scholz) aufgesetzt werden könnte. Zu klären sein wird dabei nicht nur, wer wie viel Geld gibt, sondern auch, wer überwacht, was damit passiert – die EU, die G7, ein eigens eingesetzter Koordinator? Neben dieser langfristigen Perspektive soll aber auch noch sehr Gegenwärtiges verhandelt werden: akute Winterhilfe angesichts der zerstörten Infrastruktur.
Blick nach oben
In Kiel soll es um 11.07 Uhr so weit sein, in Berlin ebenso wie in Köln um etwa 11.10 Uhr, in München um kurz nach 11.14 Uhr: Für rund zwei Stunden verdunkelt sich heute mitten am Tag die Sonne, weil der Mond sich vor sie schiebt – zumindest teilweise. Wer das Naturschauspiel beobachten möchte: bitte Sonnenfinsternis-Brille aufsetzen!
Es wird ein besonderes Spiel sein, wenn RB Leipzig heute Abend in der Champions League Real Madrid empfängt: Nach dem Tod von Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz wollen die Sachsen ihres Mäzens gedenken. Auf Wunsch des Verstorbenen wird jedoch auf aufwendige Gedenkzeremonien verzichtet. Finde ich bemerkenswert.
Eine Jury in Stuggi kürt heute das Jugendwort des Jahres. Kompetente Einflüsterer jüngeren Semesters haben mir verraten, dass "smash" und "Macher" zwar heiße Kandidaten sind, aber in Wahrheit nur "bodenlos" eine echte Chance hat. Ach so, was die jungen Leute damit meinen? Schauen Sie mal hier.
Was lesen?
Kanzler Scholz und Bürgermeister Tschentscher haben sich durchgesetzt: Der chinesische Cosco-Konzern darf sich nun offenbar doch an einem wichtigen Container-Terminal im Hamburger Hafen beteiligen. Sechs Bundesministerien haben einem Bericht zufolge ihren Widerstand aufgegeben. Hier sind die Details.
Die Leute der "Letzten Generation" bewerfen Bilder in Museen mit Kartoffelbrei und blockieren den Autoverkehr. Was bringt ihnen das und wie weit darf der Einsatz für den Klimaschutz gehen? Mein Kollege Nils Heidmann hat mit einer Aktivistin gesprochen.
Russland beschuldigt die Ukraine, "schmutzige Atombomben" zu bauen. Was ist dran an dem Vorwurf und welche Folgen hätte der Einsatz einer solchen Waffe? Der Chemiewaffen-Experte Marc-Michael Blum beantwortet meiner Kollegin Liesa Wölm die wichtigsten Fragen.
Die Beatles spielten vor mehr als 60 Jahren in den Räumen der Großen Freiheit 36 ihre ersten Konzerte – doch während Corona geriet der legendäre Hamburger Kellerclub mit wirren Verschwörungstheorien ins Abseits. Unter neuer Führung soll er nun wieder losrocken, berichtet unser Korrespondent Gregory Dauber.
Was amüsiert mich?
Wetten, dass Sie Präsidenten und Kanzler allein an ihrem Gang erkennen? Schauen Sie mal.
Ich wünsche Ihnen einen federleichten Tag.
Herzliche Grüße
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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