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Was Robert Habeck von einem CDU-Mann lernen kann


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Tagesanbruch
Der grüne Ikarus

MeinungVon Miriam Hollstein

Aktualisiert am 29.08.2022Lesedauer: 6 Min.
Angeschlagen: Die vermurkste Gasumlage ist für Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nicht das einzige Problem.Vergrößern des Bildes
Angeschlagen: Die vermurkste Gasumlage ist für Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nicht das einzige Problem. (Quelle: Political moments/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

flieg nicht zu hoch und nicht zu tief! So lautete in der griechischen Mythologie die Anweisung des Erfinders Daedalus an seinen Sohn Ikarus. Er wollte verhindern, dass die von ihm gebauten Flügel aus Wachs und Federn für die beiden wegen zu großer Sonneneinstrahlung oder zu viel Meeresfeuchte kaputtgingen.

Der Rest ist Legende. Ikarus konnte es nicht lassen, flog doch ein bisschen höher, stürzte ab und ertrank.

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Auch in der Politik lässt sich immer wieder das Ikarus-Phänomen beobachten. Zum nächsten Beispiel könnte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) werden. Mit seiner Art, Politik lebensnah zu erklären, ist er zunächst steil gestartet und bislang hoch oben in den Umfragen geflogen, weit über allen anderen, auch über Kanzler Olaf Scholz. Doch nun muss er feststellen, wie heiß es dort oben ist und wie dünn die Luft. Nachdem es massive Kritik an seiner Gasumlage gegeben hatte, musste er Ende vergangener Woche selbst einräumen, dass sie ziemlicher Murks ist. Nun soll nachgebessert werden.

Doch der Imageschaden ist da. Zumal Habeck das missglückte Konstrukt mit den Worten verteidigte, ihm sei nicht bewusst gewesen, wie sehr "dieser Gasmarkt verflochten ist". Minister Ahnungslos? Es ist kein gutes Gefühl, die Verantwortung für die heikle Frage der Energieversorgung bei einem Ressortverantwortlichen zu wissen, der sich offenbar noch nicht ausreichend in die Materie eingearbeitet hat. Wie heißt es bei "Top Gun Maverick" so treffend? "Dafür haben wir nicht mehr die Zeit."

Womit wir beim Thema Vertrauen wären. Um Vertrauen in die Politik zu haben, müssen die Bürgerinnen und Bürger den Eindruck gewinnen, dass es gerecht zugeht. Das fällt schwer, wenn sie für eine Umlage zur Kasse gebeten werden, die dann auch an Unternehmen ausgezahlt wird, die das Geld gar nicht benötigen. Und dann sollen einige Energiekonzerne einem jüngsten Medienbericht zufolge auch noch an der Verordnung zur Gasumlage mitgeschrieben haben. Vertrauen fällt umso schwerer, da viele Selbstständige bei den staatlichen Corona-Hilfen peinlich genau auf ihre Bedürftigkeit überprüft, ja, teils sogar regelrecht bürokratisch drangsaliert wurden.

Stress gibt es für Habeck aber auch aus der eigenen Partei. Der Europapolitiker Anton Hofreiter bemängelte, bei der Gasumlage sei "eindeutig ein Fehler passiert". Und die Sprecherin der Grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrich, warf Habeck vor, das Recht auf Gewinne anstatt des Wohles des Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Die Gasumlage sei "von Anfang an der falsche Weg" gewesen.

Es ist keine gewagte Prognose, dass Habeck weiter unter Druck geraten wird. In den kommenden Tagen will sein Ministerium das Ergebnis des zweiten Stresstests zur Frage vorlegen, ob die drei noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke länger laufen sollten.

Während die Zustimmung in der Bevölkerung und in der Wirtschaft dafür wächst, wäre es für die Grünen ein absoluter Identitätsbruch, der vermutlich zu schweren innerparteilichen Verwerfungen führen würde. Es ist eine Lose-lose-Situation für Habeck: Egal, wie das Ergebnis ausfällt, er wird dabei nicht gewinnen können. Und wenn sich die Energiekrise weiter zuspitzt und die Versorger ihre Rechnungen erhöhen, werden die Bürgerinnen und Bürger dafür nicht nur den Kanzler, sondern auch seinen Wirtschaftsminister verantwortlich machen.

Ertrinken wie Ikarus wird Habeck nicht. Dafür ist er politisch zu erfahren. Aber der Mann, der aus seinen Kanzlerambitionen keinen Hehl macht, wird am Ende dieses Winters auf einer normalen Flughöhe angekommen sein. Die Anweisung von Daedalus "nicht zu hoch und nicht zu tief fliegen" ist manchmal auch in der Spitzenpolitik keine schlechte Sache.

Rat holen könnte sich Habeck übrigens von Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn. Der war Ende 2020 der beliebteste Politiker Deutschlands, also auch so eine Art Liebling der Götter. Dann kam die Krise. Und der Absturz. Ende September stellt Spahn sein Buch "Wir werden einander viel verzeihen müssen" vor. Darin schildert er den Höllenritt durch die Pandemie – und wie er es geschafft hat, politisch zu überleben.


Der undiplomatische Diplomat

Wenn der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk am 14. Oktober Deutschland endgültig verlässt, werden einige erleichtert aufatmen. Denn mit seiner undiplomatischen Art hat er sich hierzulande nicht nur viele Freunde, sondern auch zahlreiche Gegner gemacht.

Wie wenig ihn die Kritik an diesem Vorgehen beeindruckt, zeigt der jüngste Vorfall: Auf Twitter hat Melnyk den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) attackiert und ihn von einem Besuch in der Ukraine wieder ausgeladen. Dabei mokierte er sich ganz nebenbei auch noch über den sächsischen Akzent. Grund für Melnyks Zorn war ein Auftritt Kretschmers bei "Markus Lanz", wo der Politiker ein "Einfrieren des Konflikts" und Verhandlungen mit Russland forderte, auf Nachfrage aber nicht sagen konnte, wie das angesichts der Verweigerung Wladimir Putins funktionieren soll.

So nachvollziehbar Melnyks Ärger über solch leere Phrasen ist, so wenig zielführend ist seine Reaktion. Denn Kretschmers Haltung dürfte nicht einer tiefen Überzeugung, sondern vielmehr einem Blick auf die Umfragen entsprechen: Im Gegensatz zum Rest der Republik sind 60 Prozent der Ostdeutschen für die Öffnung von Nord Stream 2. Die Ausladung Kretschmers dürfte ihre Skepsis gegenüber der aktuellen Ukraine-Politik eher noch verschärfen.

Sinnvoller wäre es deshalb gewesen, den sächsischen Ministerpräsidenten nun erst recht in die Ukraine einzuladen. Denn wer das Leid der Menschen und die Brutalität der russischen Armee dort einmal persönlich erlebt hat, wird begreifen, dass wohlfeile Rufe nach Verhandlungen momentan völlig unangemessen sind.


Zeitenwende, Teil 2

Zeitenwende, zweiter Teil: An der Prager Karls-Universität will Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) heute um 11 Uhr einen Vortrag über die Folgen des Ukraine-Krieges und der damit verbundenen Zäsur für Europa halten. Es ist sein erster Besuch in der tschechischen Hauptstadt seit seinem Amtsantritt. In den anschließenden Gesprächen mit Premier Petr Fiala wird es neben dem Krieg auch um die Energieversorgung gehen.


Gefährliche Gewässer

Im brandenburgischen Kurort Bad Saarow kommt Bundesumweltministerin Steffi Lemke heute mit ihrer polnischen Amtskollegin Anna Moskwa im Rahmen des Deutsch-Polnischen Umweltrats zusammen. Das Treffen ist heikel: Denn mit Blick auf den idyllischen Scharmützelsee geht es um ein anderes Gewässer, welches derzeit beiden Ländern große Sorgen bereitet – die Oder und das massenhafte Fischsterben darin.

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Die Ursachen dafür sind noch unklar. Von deutscher Seite hatte es zunächst geheißen, in Polen seien Pestizide ins Wasser geleitet worden. Die polnische Regierung wies dies als "Fake News" zurück. Fest steht: Die Umweltkatastrophe belastet nicht nur die deutsch-polnischen Beziehungen, sondern könnte auch für das gesamte Ökosystem des Grenzflusses langfristige Schäden bedeuten.


Bis zum Mond und zurück

Artemis ist in der griechischen Mythologie die Schwester von Apollo. Wenn heute auf dem Nasa-Weltraumbahnhof in Cape Canaveral in Florida das neue Mondraketensystem Artemis an den Teststart geht, dann ist der Name nicht ganz zufällig gewählt, sondern knüpft an die Apollo-Mondmissionen an.

Der erste Flug der Namensschwester (live zu sehen über die Nasa-Webseite) findet noch unbemannt statt. Klappt alles, soll auch das Artemis-System, das aus einer Kapsel und einer Superrakete besteht, Astronauten zum Mond bringen.

Europa ist mit an Bord: Airbus hat unter Leitung der Europäischen Weltraumorganisation Esa das Versorgungsmodul gebaut, das für den Sauerstoff in der Kapsel zuständig ist. Von einem "neuen Zeitalter der Weltraumexploration" schwärmte der deutsche Astronaut Alexander Gerst ("Astro-Alex") auf Twitter: "Die stärkste Rakete, die Menschen je gebaut haben, mehr als doppelt so hoch wie die Soyuz Rakete, mit der ich zur @Space_Station geflogen bin".


Was lesen?

Seit über einem halben Jahr ist die Ukraine einem brutalen Angriffskrieg ausgesetzt. Wie sich der frühere Komiker und heutige Präsident Wolodymyr Selenskyj in dieser Zeit verändert hat, wie er seine öffentlichen Auftritte inszeniert und was der größte Unterschied im Vergleich zum Kriegsbeginn im Februar ist – all das analysiert der Tübinger Rhetorik-Professor Joachim Knape im Videogespräch mit meiner Kollegin Nora Schiemann und meinem Kollegen Arno Wölk.


In zwei Tagen läuft das 9-Euro-Ticket aus. Im Interview mit Frederike Holewik und Florian Schmidt sagt der Ökonom Lars Feld, unabhängiger Berater von Finanzminister Christian Lindner, warum er es für einen Fehlschlag hält und was uns wirtschaftlich im Winter erwartet.


Die Irin Mary Mallon war eine der ersten bekannten Superspreader der Medizingeschichte. Wie die in die USA ausgewanderte Köchin Anfang des 20. Jahrhunderts jahrelang Krankheit und Tod verbreitete, wie man ihr auf die Schliche kam und welchen hohen Preis sie bezahlen musste, liest sich so spannend wie ein Krimi.


Völlig verstrahlt

Semipalatinsk in Kasachstan ist ein lebensfeindlicher Ort. Denn hier zündete die Sowjetunion einst Hunderte Atombomben. Warum das Gebiet aber nicht verlassen ist, lesen Sie hier.


Was mich amüsiert

So kann man es natürlich auch sehen.

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die neue Woche!

Morgen schreibt an dieser Stelle wieder unser Chefredakteur Florian Harms für Sie.

Ihre

Miriam Hollstein
Chefreporterin im Hauptstadtbüro von t-online
Twitter: @HollsteinM

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Mit Material von dpa.

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