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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Prorussische Lobby im Bundestag Das abchasische Netz
Separatisten einer Pseudo-Republik haben in Berlin ein Lobby-Netzwerk installiert. Laut Recherchen von t-online und "Vice" half dabei die russische Botschaft.
"Würden Sie gern an einer Wahlbeobachtung teilnehmen?" Die Frage klang harmlos, aber sie hatte es in sich. Denn das Ziel war klar: Deutsche Politiker sollten in Separatistengebiete gelotst werden, die von kaum einem anderen Staat als von Russland anerkannt werden. Dort waren fragwürdige Wahlen geplant. Und die vermeintlich unabhängigen Beobachter aus dem zweifellos demokratischen Deutschland sollten diese Demokratie-Show legitimieren.
Klingt dubios. Und das ist es auch.
Nur: Wer macht so etwas und riskiert dabei seinen Namen? Vor allem Politiker der AfD. Deshalb wurden insbesondere Vertreter dieser Partei angesprochen. Die Reisen führten zig Abgeordnete aus dem Bundestag und mehreren Landtagen in den vergangenen Jahren auf die Krim, in die Ostukraine, nach Transnistrien. Also vornehmlich in Gebiete, die von Russland beansprucht werden.
Die "rote Riviera" erreicht Berlin
Auch nach Abchasien im Kaukasus ging es, ein Separatistengebiet mit gerade einmal 250.000 Einwohnern, das einst seine Unabhängigkeit von Georgien erklärte und sie 2008 mit Hilfe des Kremls im Krieg behauptete. Seitdem wird das Gebiet mit russischem Geld alimentiert und von russischen Truppen geschützt – und kämpft im Ausland mit Hilfe des Kremls für seine Anerkennung.
Die "rote Riviera", wie sie einst in der Sowjetunion genannt wurde, wäre gern ein richtiger Staat, auch außerhalb von Wladimir Putins Einflussbereich. Daran ist wiederum auch dem Kreml gelegen.
Recherchen von t-online und "Vice" zeigen, dass die Separatisten in der deutschen Hauptstadt seit Jahren für Wirtschafts- und Politikkontakte lobbyieren. Mit russischer Unterstützung und mit Hilfe eines Rechtsanwalts haben sie eine Handelsvertretung gegründet und treten als offizielle Repräsentanten der sogenannten Republik auf. Einen mutmaßlichen Spion brachten sie so in Kontakt mit Unternehmensvertretern. (Lesen Sie die Recherche auch bei "Vice").
In der Folge begrüßten Vertreter des Separatistengebiets deutsche Wirtschaftsdelegationen und Wahlbeobachter der AfD. Ziel der Anbahnungsversuche waren aber auch Abgeordnete von Union und Linken.
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Christian Haase ist die Angelegenheit mit den Abchasiern hörbar unangenehm. "Ich erzähle das gelegentlich als Anekdote, wie man in diplomatische Fettnäpfchen treten kann", sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete t-online und "Vice". "Eigentlich wollte ich nur einer Bekannten bei der Steuererklärung helfen." Bei der Gelegenheit habe sie ihn aber auf ihr Engagement für ihre Heimat Abchasien aufmerksam gemacht – und so wurde Haas laut eigener Darstellung wenig später Teil eines mehr oder minder offiziellen Termins des abchasischen "Außenministeriums".
Der Name von Haases Bekannter ist Khibla Amichba. Eigentlich Komponistin, vertritt sie von der Öffentlichkeit unbemerkt seit mindestens zehn Jahren die Interessen der Separatisten in Deutschland. Dabei pflegt sie Kontakte bis in höchste Kreise des Regimes in ihrer Heimat. "Bevollmächtigte Repräsentantin" lautet ihr Titel, der von Deutschland nicht anerkannt wird und ihr auch keinen Diplomatenstatus verleiht.
"Repräsentantin", keine Diplomatin
"Dass Frau Khibla Amichba sich als Vertreterin der sogenannten 'Republik Abchasien' ausgibt, ist dem Auswärtigen Amt bekannt", heißt es aus dem Ministerium dazu. "Für das Auswärtige Amt hat die Selbstbezeichnung Frau Amichbas keine Bedeutung." Das hindert Amichba allerdings nicht daran, wie eine Diplomatin aufzutreten. Immer wieder taucht sie bei öffentlichen Terminen in ihrer Funktion auf und versucht, deutsche Politiker für ihre Sache einzuspannen.
"Hartnäckig" nennt ein AfD-Abgeordneter unter der Hand etwa ihre Versuche, ihn für eine sogenannte Wahlbeobachtungsmission im Separatistengebiet zu gewinnen. Ein Abgeordneter der Linken berichtet, er sei schon vor über zehn Jahren angesprochen worden – und habe abgelehnt. Und auch im Europäischen Parlament tauchte Amichba mit einem Tross hochrangiger Offizieller auf.
Dort rief der heutige grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir jährlich stattfindende sogenannte Tscherkessische Tage ins Leben, die dem weit in der Diaspora verstreuten Volk der Tscherkessen gewidmet waren, die aber laut Kritikern über die Jahre immer mehr von abchasischen Nationalisten vereinnahmt wurden. Amichba gehörte dort 2013 zur Delegation der selbsternannten Republik. Auf schriftliche Anfrage von t-online und "Vice" äußerte sich Amichba nicht.
Runder Tisch mit der Bundespolitik
Völlig fruchtlos scheinen ihre Bemühungen auch in Berlin nicht gewesen zu sein. Immerhin traf Haase 2017 laut abchasischer Pressemitteilung beim vom abchasischen "Außenministerium" organisierten Termin auf weitere Gäste aus dem Umfeld der Bundespolitik.
Fragwürdige Wahlbeobachtung erreicht auch die EU. In Ungarn hat sich die Regierung von Viktor Orbán einen Persilschein von einem Netzwerk Ultra-Konservativer ausstellen lassen. Lesen Sie im zweiten Teil der Recherche von t-online und "Vice" mehr über die "Zeugen Orbáns" aus aller Welt, die in Ungarns Modell ein Exportprodukt sehen.
Er selbst brachte seine Büroleiterin mit, zugegen war außerdem der damalige Referent für Außen- und Sicherheitspolitik des langjährigen Parlamentarischen Geschäftsführers der Unionsfraktion, Manfred Grund. Und auch ein Referent des Landwirtschaftsministeriums mit langjährigen Geschäftsinteressen in Russland schloss sich der Runde an. Das abchasische "Außenministerium" vermeldete anschließend den vermeintlich hochkarätig besetzten "Runden Tisch" mit weiteren Teilnehmern.
Teilnehmer sprechen von "Vertrauensbruch"
Einige davon sind mit der Außendarstellung rückblickend unzufrieden. "Die Situation, die Frau Amichba konstruiert hat, war unschön", schreibt auf Anfrage von t-online und "Vice" ein Stiftungsmitarbeiter, der damals dabei war. Gedacht gewesen sei das Treffen seiner Erinnerung nach als "informeller Austausch". Ein dabei in Amichbars Wohnzimmer entstandenes und anschließend von ihr veröffentlichtes Foto sei nicht dafür gedacht gewesen. So sieht das auch der CDU-Abgeordnete Haase, der von einem "Vertrauensbruch" spricht.
Er habe sozusagen aus Gefälligkeit über "Möglichkeiten der Völkerverständigung" sprechen wollen. "Ich habe da an Umweltprojekte gedacht oder so etwas." Erst im Nachhinein habe er das Problem erkannt und – als Amichba den Termin öffentlich machte – den Kontakt abgebrochen. Weitere Anfragen habe seine Büroleiterin abgewehrt, Außenpolitik sei eigentlich nicht sein Thema.
Andernfalls hätte Haase womöglich von einer kurz darauf anstehenden Reise wissen können. Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages flogen nur drei Tage nach seinem Treffen mit den Abchasiern als Delegation des Unterausschusses für zivile Krisenprävention für Gespräche nach Georgien und blieben dort bei Deutschlands Position, keinen Kontakt zu den Separatisten aufzunehmen. Mit ihnen waren etwaige Gespräche mit der Abchasien-Lobby nicht abgestimmt, wie t-online und "Vice" von Abgeordneten der Delegation erfuhren.
Dabei war zumindest der CDU-Abgeordnete Manfred Grund selbst Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und über Jahre hinweg als Vorsitzender der Deutsch-Zentralasiatischen Parlamentariergruppe speziell mit ehemaligen Sowjetrepubliken im Kaukasus befasst. "Falls es zu dem von Ihnen genannten Treffen gekommen sein sollte, geschah dies nicht auf Veranlassung von Herrn Grund", heißt es dazu auf Anfrage von t-online und "Vice" aus seinem Büro. Der Referent sei nur in Teilzeit beschäftigt gewesen.
Die Handelsvertretung am Kurfürstendamm
Die abchasischen Separatisten konnten in Berlin allerdings weitere Erfolge verbuchen: Unbeachtet von der Öffentlichkeit residiert am Kurfürstendamm eine Repräsentanz der abchasischen Handels- und Industriekammer, auch wenn sie "nicht den Status eines völkerrechtlich anerkannten Gebiets" hat, wie das Auswärtige Amt betont. Trotzdem organisiert sie Lobbyveranstaltungen mit deutschen Unternehmen. Bei ihrer Gründung 2017 konnten die Abchasier auf russischen Beistand zählen – und auf tatkräftige Hilfe eines deutschen Anwalts, der ihre Interessen seit Jahren vertritt.
Wolfgang Matzke ist ein weitgereister Mann und als Rechtsanwalt mit Erfahrung in St. Petersburg ausgestattet. Der russische Staat hat ihn mit höchsten Ehren bedacht und ihm 2011 einen Orden für seine Verdienste verliehen. Seit vielen Jahren bemüht sich der Anwalt um die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen, unter anderem im "Bundesverband der russischen Wirtschaft in Deutschland", einem Verein, der maßgeblich von mindestens einem russischen Diplomaten ins Leben gerufen wurde.
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An der Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Kreml und Separatisten bringt Matzke Entscheider zusammen, die sonst vielleicht nicht ins Gespräch kämen. 2013 beispielsweise organisierte der Industrieclub Potsdam, in dessen Kuratorium Matzke saß, eine Russland-Konferenz: Neben einem russischen Diplomaten, Matzke selbst und Wintershall-Vorstand Ties Tiessen war auch ein wichtiger abchasischer Politiker geladen: Beslan T. Butba, damals noch "Beauftragter des Präsidenten", später selbst "Premierminister".
Über die Jahre wurde Matzke zum offiziellen Repräsentanten der Handels- und Industriekammer der sogenannten abchasischen Republik in Deutschland. Die Repräsentanz teilt die Adresse mit seiner Kanzlei. Immer wieder rekrutierte er Teilnehmer für Wirtschaftsdelegationen ins Separatistengebiet. Beziehungen in Unternehmerkreise pflegte er unter anderem über den Industrieclub Potsdam und den Unternehmerverband Brandenburg-Berlin.
Auch Matzke äußerte sich auf schriftliche Anfrage von t-online und "Vice" nicht zu den Vorgängen.
Angeblich, so steht es in einer offiziellen Mitteilung der Kammer, sei der Gründung der deutschen Repräsentanz im Jahr 2017 ein "langwieriger Verhandlungsprozess" vorausgegangen – laut Auswärtigem Amt eine Falschbehauptung. "Es hat keine Gespräche oder Verhandlungen mit dem Auswärtigen Amt zur Frage der Einrichtung einer solchen Vertretung gegeben", heißt es dazu aus dem Ministerium. Deswegen ist mit Vorsicht zu genießen, was über die Eröffnung weiter bekannt gegeben wurde.
Die Unterstützung aus Russland
Angeblich wohnten Bundestagsabgeordnete und Wirtschaftsvertreter der Gründungsveranstaltung bei. Nachweislich stand den abchasischen Bemühungen aber Russland zur Seite, dessen Leiter der eigenen Handelskammer anwesend war. Das Handels- und Wirtschaftsbüro der Botschaft hatte bereits Jahre zuvor eine hochrangige abchasische Delegation in Berlin empfangen und ihr in Zusammenarbeit mit Matzke und Amichba eine zweiwöchige Ausstellung ermöglicht, um sich deutschen Unternehmen vorzustellen.
Auch für die Gründung der abchasischen Handelsrepräsentanz arbeiteten Russen und die abchasische Lobby zusammen – und brachten nebenbei einen mutmaßlichen Spion in Reichweite wichtiger deutscher Unternehmen. Denn am Abend der Veranstaltung organisierte Matzke unter Schirmherrschaft des Unternehmerverbands Brandenburg-Berlin einen Vortrags- und Gesprächsabend, den die abchasische Delegation nutzen durfte, um für Investitionen zu werben.
Die Gäste durften der Einladung zufolge im Restaurant Wannseeterrassen "Cocktail-Kreationen der Weltklasse" und "exklusive Zigarren" genießen. Als Redner hatte Matzke wieder Wintershall-Vorstand Tiessen gewonnen. Auch Michael Harms kam, der Geschäftsführer des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft. Und auch der stellvertretende Leiter des Handels- und Wirtschaftsbüros der russischen Botschaft, Pawel Rubtsow, nahm teil.
Die Position gilt an russischen Botschaften als gern genutzte Tarnung für Mitarbeiter des Auslandsgeheimdienstes SWR. Und tatsächlich wurde Rubtsow Anfang April 2022 aufgrund mutmaßlicher Geheimdiensttätigkeit von der Bundesregierung des Landes verwiesen, wie Recherchen von t-online ergaben. Auch er hatte immer wieder Kontakt zur Politik gesucht. Rubtsows Engagement in Deutschland ist nun vorüber.
Der Kampf der Abchasier um ihre Anerkennung als Staat wird voraussichtlich nicht so schnell enden.
- Eigene Recherchen