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Das Imperium der Angst: So ein Land passt nicht in unsere Zeit


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Das Imperium der Angst

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 07.04.2022Lesedauer: 6 Min.
Zu Putins brutalsten Soldaten gehören tschetschenische Spezialeinheiten.Vergrößern des Bildes
Zu Putins brutalsten Soldaten gehören tschetschenische Spezialeinheiten. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

die Welt ist ein grausamer Ort, das ist sie immer schon. Seit Menschengedenken wiederholt sich die Geschichte der Gewalttätigkeit: Skrupellose Herrscher schicken ihre Schergen los, um Länder zu erobern, Reichtümer zu erbeuten, ihre Habgier, ihren Machthunger oder ihre Geltungssucht zu befriedigen. Die Motive wechseln, die Taten ähneln sich. Slobodan Milošević, Saddam Hussein, George W. Bush, nun Wladimir Putin, die Liste ließe sich fortsetzen. Die Massengräber in Srebrenica, die Giftgasopfer in Kurdistan, die Häftlinge im Folterknast Abu Ghuraib, jetzt die ermordeten Zivilisten in der Ukraine.

Der Anblick der Bilder aus Butscha, die seit vergangenem Sonntag durch alle Medien laufen, ist unerträglich. Und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass wir bald ähnliche Bilder aus Mariupol und dem Donbass sehen werden. Ebenso unerträglich sind die Lügen der Kreml-Clique. Ob Präsident Putin oder sein Außenminister Lawrow, ob die Propagandaröhre Peskow oder der UN-Gesandte Nebensja, ob die Generäle im Staatsfernsehen oder die Offiziere auf dem Schlachtfeld: Alle leugnen sie die russischen Verbrechen und verbreiten Lügengeschichten, ohne mit der Wimper zu zucken.

Damit sind sie leider erfolgreich. Während wir in Westeuropa, wo es unabhängige Medien, rechtsstaatliche Kontrolle und demokratische Regierungen gibt, über die Fake News aus Moskau den Kopf schütteln, scheint die Mehrheit der russischen Bevölkerung den Lügen zu glauben. Kein Wunder, wenn die Leute von morgens bis abends mit Propaganda beschallt werden und so gut wie alle freien Informationsquellen verboten sind. "Die Mischung aus Repression, Einschüchterung und Desinformation zeigt offenbar Wirkung in Russland", schreibt unser Außenpolitikredakteur Patrick Diekmann. "Im Westen hätte wohl kaum jemand erwartet, dass eine derartige Massenmanipulation in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal möglich ist." Putin hat aus Russland einen Orwell-Staat gemacht, und wie in dem dystopischen Roman radikalisiert sich der real existierende Totalitarismus immer weiter. Konnte man in Russland noch vor fünf Jahren auf der Straße seine Meinung sagen, riskiert man damit heute Kopf und Kragen. Russland ist ein Imperium der Angst geworden.

So ein Land passt nicht in unsere Zeit. Die Menschheit hat eigentlich ganz andere, größere Aufgaben, als sich mit einem mittelalterlichen Despoten herumzuschlagen. Es geht jetzt darum, wie wir die Lebensgrundlagen auf unserem Planeten erhalten und das Artensterben stoppen. Es geht darum, das Zusammenleben von acht Milliarden Menschen so zu organisieren, dass die Natur dabei nicht kollabiert. Wir haben eigentlich weder die Zeit noch die Ressourcen, uns mit Kriegen zu beschäftigen: Ein Satz, der wahlweise zynisch oder idealistisch klingen mag, in Wahrheit aber die nüchterne Realität beschreibt.

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Putins Verbrechen zwingen Regierungen in ganz Europa, sich von morgens bis abends um kaum etwas anderes zu kümmern. Das können wir uns nicht leisten. Deshalb muss das Regime im Kreml so schnell wie möglich ausgetrocknet werden – durch immer härtere Wirtschaftssanktionen, politische Isolation, konsequente Bestrafung seiner Günstlinge, Unterstützung seiner Gegner. Gleichzeitig dürfen freie Länder wie Deutschland nicht den Fehler begehen, sich selbst so stark zu schwächen, dass sie manövrierunfähig werden. Ein sofortiger Stopp der russischen Gasimporte würde zentrale Teile der deutschen Industrie lahmlegen, den Mittelstand in die Knie zwingen und wohl Hunderttausende Arbeitsplätze kosten. Verarmung, soziale Konflikte und noch mehr Schulden im Corona-klammen Haushalt wären die Folge. Im Übrigen würde Putins Soldateska wohl kaum das Morden einstellen, nur weil Deutschland den Gashahn zudreht. So sehr es schmerzt: Das Runterfahren der Gaskäufe erfolgt klugerweise im selben Maße, in dem man andere Quellen erschließt.

Deutschland muss seine Abhängigkeit von Despoten reduzieren, dabei aber stark bleiben: Das ist die gewaltige Aufgabe, vor der die Außen-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitiker in den kommenden Jahren stehen. Die Kehrtwende im Verhältnis zu Russland nach dem jahrelangen Schmusekurs von Schröder/Merkel/Steinmeier ist dabei nur die erste Aufgabe.

Die nächste liegt noch weiter östlich, und sie ist noch viel größer: Deutschland hängt wirtschaftlich am Tropf Chinas, das von ebenso brutalen Typen beherrscht wird wie Russland. Die Bundesregierungen der vergangenen Jahre hat das nicht gestört; das Geschäft war immer wichtiger als die Menschenrechte der Uiguren, die Demokratie in Hongkong oder die Unversehrtheit politischer Gefangener. So kann das nicht bleiben. Nicht nur aus moralischen, sondern auch aus realpolitischen Gründen. Das Risiko ist zu groß, im Fall einer chinesischen Aggression gegen Taiwan oder einen seiner Nachbarstaaten in eine noch viel größere Bredouille zu geraten als jetzt mit Russland. Sowohl Deutschland als auch die gesamte EU wären gegenwärtig außerstande, harte Sanktionen gegen China zu verhängen.

China ist längst stärker als wir. Auch die Bosse in Peking sind auf den gemeinsamen Handel angewiesen, na klar, aber sie sitzen am längeren Hebel, und ihre Bevölkerung ist widerstandsfähiger. Chinas neue Mittelschicht würde es verkraften, ein paar Jahre lang keine Autos bei VW, Mercedes und BMW zu kaufen. Doch ohne das Geld für all die Autos sowie ohne Computer, Smartphones, Billigklamotten, seltene Erden, Metalle und chemische Grundstoffe aus China gingen in Deutschlands Wirtschaft schnell die Lichter aus.

Diese einseitige Abhängigkeit ist ein existenzielles Risiko. Sie macht uns verwundbar, sie zeigt, wie dünn das Eis ist, auf dem unser Wohlstand ruht. In einer Welt, in der die Demokratien auf dem Rückzug sind und die Despoten erstarken, kann sich kein Staat so ein Risiko dauerhaft erlauben. Deshalb lautet das wichtigste Motto für die Außen- und die Wirtschaftspolitik der kommenden Jahre: Wir müssen unabhängiger werden. Das bedeutet, ausgelagerte Produktionsstätten nach Europa zurückzuholen, mehr in demokratische Länder statt in Diktaturen zu investieren. Und wo das nicht geht, weil Gas und Öl nun mal dort liegen, wo sie eben liegen, auf fünf, sechs, sieben verschiedene Lieferantenländer zu setzen statt auf ein, zwei große. Nach der Eurokrise, der Flüchtlingskrise und der Corona-Krise hätte man denken können, die größten Herausforderungen unserer Zeit lägen schon hinter uns. Leider falsch gedacht.

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Wohin mit den Flüchtlingen?

Wie werden die bislang 300.000 Flüchtlinge aus der Ukraine auf die Bundesländer verteilt? Welche Kosten tragen der Bund, die Länder, die Kommunen? Und was braucht es, um die Menschen schnell in die Gesellschaft zu integrieren? Zur Klärung dieser Fragen trifft sich Bundeskanzler Olaf Scholz heute Nachmittag mit den Ministerpräsidenten. Der Beschlussvorlage zufolge will der Bund die Länder bei der Registrierung der Flüchtlinge mit Geld und Personal unterstützen; ihre Verteilung soll über den Königsteiner Schlüssel erfolgen, also im Verhältnis zum Steueraufkommen und der Bevölkerungszahl der Länder. Damit die Leute schnell Arbeit finden, sollen die Länder Standards zur Anerkennung ukrainischer Uni- und Ausbildungsabschlüsse entwickeln. Unterm Strich habe ich den Eindruck, dass die deutschen Behörden diesmal vieles besser machen als während der Flüchtlingskrise ab 2015.


Total vergrützt

Hier hingegen läuft es gar nicht rund: Nach monatelangen Diskussionen entscheidet der Bundestag heute über die Corona-Impfpflicht – wobei sich immer noch keine klaren Mehrheitsverhältnisse abzeichnen und die Ampelkoalition in dieser wichtigen Frage gespalten ist.

Zur Abstimmung stehen vier Varianten: Zwei Anträge lehnen die Impfpflicht ab (einer von einer Gruppe um FDP-Stammtischbruder Wolfgang Kubicki, einer von den AfD-Extremisten), die Union schlägt eine Art Impfpflicht auf Abruf vor, und dann ist da noch der mühsam zusammengestoppelte Kompromiss aus den Reihen der Regierungskoalition, der nun eine Impfpflicht ab 60 Jahren vorsieht (falls Sie sich den Textsalat antun wollen: Hier ist der Entwurf). Während die Ampelleute gestern händeringend an CDU und CSU appellierten, ihrer Lösung zuzustimmen, verdichtete sich der Eindruck, dass Oppositionsführer Friedrich Merz die Gelegenheit nutzen will, Kanzler Scholz und dessen Talkshow-Minister Karl Lauterbach eine krachende Niederlage zuzufügen. Und das alles in einer Zeit, in der immer noch täglich rund 200 Covid-Infizierte sterben und Wissenschaftler vor weiteren Virusvarianten warnen. "Das Gezerre um die Impfpflicht ist das größte politische Trauerspiel der vergangenen Jahre", schreibt meine Kollegin Miriam Hollstein. Dem ist nichts hinzuzufügen.


Was lesen?

Wie ist der Stand der Sanktionen gegen Russland? Die Kollegen von "Correctiv" geben einen guten Überblick.


Es gibt Hunderte verschiedene Corona-Schnelltests, doch nicht alle sind zuverlässig. Meine Kollegin Melanie Rannow zeigt Ihnen anhand neuer Forschungen, welche Tests Sie lieber nicht kaufen sollten.


Krieg, Corona, Krisen: Wo bleibt denn da die Freude, fragte ich mich gestern beim Blick aufs Nachrichtengewitter. Und dann erinnerte ich mich an die Fotos aus dem Ruhrpott, die ich vor langer Zeit während meiner Zeit als Redakteur in einem anderen Medienhaus ausgegraben habe.


Was amüsiert mich?

Was will er denn nun, der Karl?

Ich wünsche Ihnen einen klaren Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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