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Wo bleibt der Aufschrei?


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

Meinung von Florian Harms

25.04.2018Lesedauer: 6 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland: Er fordert von den Muslimverbänden, den Antisemitismus in Moscheen stärker zu bekämpfen.Vergrößern des Bildes
Josef Schuster (Quelle: epd/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Stellen Sie sich vor, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands oder der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz würde alle Christen hierzulande davor warnen, in der Öffentlichkeit Kettchen mit Kreuzanhänger zu tragen oder Aufkleber mit dem Fischsymbol auf ihre Autos zu kleben. Weil es zu gefährlich sei. Sie könnten von Christenhassern angegriffen werden. Was würde wohl geschehen? Richtig, vermutlich würde ein Aufschrei durch Deutschland gehen. Der Bundespräsident würde sich äußern, die Bundeskanzlerin würde ihren Terminkalender unterbrechen und eine Stellungnahme abgeben. Der Bundestag würde vielleicht zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Alle Medien würden ausführlich und prominent berichten.

All das habe ich gestern vermisst.

Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, warnte gestern in einem Interview alle Juden, "im großstädtischen Milieu in Deutschland" die jüdische Kopfbedeckung Kippa offen zu tragen. Weil es zu riskant sei – wegen antisemitischer Attacken wie der jüngst in Berlin. Stattdessen sollten sie lieber "Basecap oder irgendetwas als Kopfbedeckung tragen".

Und dann? Was geschah dann?

Ja, einige Parlamentarier sagten etwas. Unionsfraktionschef Kauder, Familienministerin Giffey (SPD), Grünen-Fraktionschefin Göring-Eckardt, Linken-Fraktionschef Bartsch sagten etwas über Juden, die in Deutschland sicher leben können müssten, über No-go-Areas, die es in Deutschland nicht geben dürfe, über das selbstverständliche Tragen religiöser Symbole in der Öffentlichkeit.

Aber wo war der Aufschrei?

Wenn der erste Vertreter der Religionsgemeinschaft, die von deutschen Mördern fast vollständig ausgerottet wurde, davor warnt, im Deutschland des Jahres 2018 eine Kippa zu tragen, dann müssen alle Alarmglocken klingeln. Dann muss ein Aufschrei durch unser Land gehen. Wir dürfen uns nicht an Antisemitismus gewöhnen. Wir müssen ihm entschlossen entgegentreten.

Heute Abend wollen in mehreren deutschen Städten Menschen demonstrativ mit Kippa auf die Straßen gehen. Aus Solidarität. Vielleicht wird das ja der Aufschrei. mehr

WAS STEHT AN?

Es wurde sehr leise gestern Abend bei meinem Italiener. Ein winziges Ristorante, vier wackelige Tischchen, ein kleiner Pizzaofen, ein Kühlschrank für das Nastro Azzurro. Und natürlich ein Fernseher, auf dem wir sieben Gäste verfolgen konnten, wie Jürgen Klopps Liverpooler Jungs den AS Rom zum Abendbrot verspeisten. Ja, am Ende kam noch mal ein bisschen Leben in das kleine Ristorante, 5:1, 5:2, die Römer schienen zu neuem Leben zu erwachen – aber dann kam auch schon der Abpfiff, und mein sehr netter Wirt musste sich erst einmal ein sehr kaltes Nastro Azzurro gönnen, um den sehr misslungenen Abend zu verdauen. mehr

Und heute Abend, was erwartet uns da? Vielleicht das spannendste Fußballspiel des Jahres. FC Bayern gegen Real Madrid. Rakete Robben gegen Magier Marcelo. Bollwerk Boateng gegen Riese Ronaldo. Das endgültig und wirklich und tatsächlich letzte Champions-League-Heimspiel eines der besten Trainer, die der deutsche Fußball je hervorgebracht hat. "Es gibt keinen Favoriten", hat Jupp Heynckes vor dem Spiel heute Abend in München gesagt, und das ist natürlich ein typischer Heynckes-Satz: respektvoll und selbstbewusst zugleich.

Auf der anderen Trainerbank: Zinédine Zidane, den Heynckes schon bewunderte, als der Franzose noch selbst auf dem Platz zauberte. Er habe "den höchsten Respekt" vor Heynckes, sagt Zidane. Zwei Gentlemen und zwei Giganten des Fußballs, die ihre Spieler motivieren können wie wohl niemand sonst.

Ich weiß ja nicht, ob sie heute Abend schon etwas anderes vorhaben, einen Kinobesuch, die Verwandtschaft behelligen oder endlich mal die Steuererklärung erledigen. Was es auch ist: Sagen sie es ab. Legen Sie zwei Flaschen Bier kalt und schalten Sie um 20.45 Uhr den Fernseher an. Oder noch besser: Gehen Sie in Ihre Lieblingskneipe und gucken sie dort. Nur ein Spanier sollte es nicht unbedingt sein.

Die schwedische Journalistin Kim Wall war fasziniert von dem dänischen Erfinder Peter Madsen. Sie wollte eine Geschichte über ihn schreiben und begleitete ihn auf einer Fahrt mit seinem selbst gebauten U-Boot. Tage später fand die Polizei Leichenteile der Frau im Meer. Was war geschehen? Wie und warum starb Kim Wall? Madsen sagt: Sie erstickte durch einen tragischen Unfall im U-Boot. Die Staatsanwälte sagen: Madsen hat Wall bestialisch ermordet. Wer hat recht? Das entscheiden die Richter in Kopenhagen heute in ihrem Urteil. Meine Kollegin Sara Orlos hat zusammengetragen, was über diesen schockierenden Fall bekannt ist. mehr

Internationale Politik lebt von Gesten. Wenige Staatschefs haben das so gut verstanden wie der gegenwärtige Chef im Weißen Haus. Legendär sind seine Handschläge: Mal zog er Japans Premier über den Tisch, mal verweigerte er Kanzlerin Merkel das Shakehands. Beim Staatsbesuch von Emmanuel Macron gestattete sich Trump gleich eine ganze Reihe handfester Gesten – aber der französische Präsident blieb standhaft und ließ sich nichts anmerken. Griff beim Händeschütteln selbst beherzt zu. Lächelte, als Trump ihm demonstrativ eine (imaginäre?) Schuppe vom Revers schnippte. mehr

Ja, dieser Staatsbesuch ist überladen mit Symbolik, Gesten, Machtdemonstrationen. Weitere einschlägige Szenen dürfen wir heute bei Macrons Rede vor dem US-Kongress erwarten. Unser Washington-Korrespondent Fabian Reinbold sieht sich das ganze Spektakel vor Ort an und erklärt Ihnen heute in einem Text, was all diese Szenen über Trump, Macron und ihr Verhältnis verraten. mehr

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Kaum fliegt der Europäer Macron aus Washington ab, kommt schon die nächste Europäerin angeflogen: Am Freitag landet Angela Merkel in der US-Hauptstadt. Antrittsbesuch beim mächtigsten Mann der Welt nach ihrer Wiederwahl zur Bundeskanzlerin. Aber die Stimmung wird ganz anders sein als beim Besuch des Franzosen. Kühler. Distanzierter. Reserviert.

Warum ist das so? Das hat unser Korrespondent Fabian Reinbold den amerikanischen Politikwissenschaftler Jackson Janes gefragt – und dessen Antworten sind sehr klar: "Trump hat Merkel von Anfang an als Rivalin wahrgenommen", sagt er. "Merkel wurde nach Trumps Wahlsieg als Anführerin der freien Welt betitelt. Auch wenn sie selbst solche Bezeichnungen stets zurückgewiesen hat, hat Trump das natürlich mitbekommen." Ist das Problem also nur verletzte Eitelkeit? Nein, das Problem ist größer. Wie groß, das lesen Sie in dem aufschlussreichen Interview. mehr

WAS LESEN UND ANSCHAUEN?

Man kann das Unheil nicht quantifizieren. Zwei Tote bei einem Unfall auf der Autobahn, elf Tote bei einem Terroranschlag: Man kann das nicht aufwiegen. Ein Unglück, bei dem 1.134 Menschen auf einen Schlag sterben, ist dennoch in einer ganz eigenen Kategorie. Erschlagen wurden sie, zerquetscht und unter Trümmern begraben, und der Tag hätte sich uns eingebrannt wie ein zweiter 11. September, wenn der Ort keine Kleiderfabrik gewesen wäre und das Land nicht Bangladesch. Vor fünf Jahren stürzte das Gebäude ein – der tödlichste Unfall seiner Art in der modernen Menschheitsgeschichte. Bekleidungsunternehmen fanden sich daraufhin bereit, ein Gebäude- und Brandschutzabkommen zu unterzeichnen. Nach Einschätzung der Aktivistin Gisela Burckhardt war das Abkommen ein Erfolg. Es müsste verlängert werden – doch manche Firmen (auch deutsche, "Jack Wolfskin" etwa oder "New Yorker") verweigern sich. Man kann Unheil nicht quantifizieren, aber Entfernungen. Bangladesch ist ganz schön weit weg. mehr

Wenn Sie eine verantwortungsvolle Position in einem deutschen Unternehmen bekleiden, dann wird der 25. Mai für Sie kein Tag der Freude. Ich sage nur: Datenschutzgrundverordnung. Das EU-Gesetz ist gut gemeint, soll die Verbraucher schützen und Konzerne wie Facebook und Google das Fürchten lehren. Vor allem aber führt es zu einem gigantischen Bürokratieaufwand in so ziemlich jeder deutschen Firma. Und auch mit dem Datenschutz ist es nicht allzu weit her – sagt der Netzexperte Michael Seemann. In einem Gastbeitrag für t-online.de beschreibt er, was stattdessen wirklich gegen die illegitime Beeinflussung von Wahlen, gegen Fake News und fragwürdige Werbepraktiken helfen würde. mehr

Wann sind Sie zuletzt mit einem Physik-Crashkurs in den Tag gestartet? Vielleicht heute! Bevor Sie sich wegducken, lassen Sie mich schnell zwei Dinge loswerden: Erstens handelt es sich um ein wahnsinnig kompliziertes Thema, das die menschliche Vorstellungskraft übersteigt. Halt! Moment! Zweitens: In drei Tagen haben sich knapp drei Millionen Menschen das Erklärvideo angesehen. Es geht um schwarze Löcher, wie das im Zentrum unserer Galaxie. Einige drehen sich mit schier unglaublicher Geschwindigkeit um sich selbst. Physiker haben einen Trick entdeckt, um sich einem solchen Loch zu nähern und seinem mörderischen Sog doch zu entgehen. Dem schwarzen Loch lassen sich dabei enorme Mengen an Energie entlocken: entweder nach und nach, als kosmisches Kraftwerk, oder auf einen Schlag – als größte Bombe, die Lebewesen jemals erschaffen könnten. Gut, dass das noch lange Theorie bleiben wird. mehr

WAS FASZINIERT MICH?

Die sehen sich aber ähnlich! Da sieht man die Verwandtschaft auf den ersten Blick! Sagt man so, aber nicht jedem ist das genug. Der kanadische Künstler Ulric Collette hat Verwandte erst fotografiert, dann kombiniert. In seinen Portraits geht ein Gesicht in das andere über, das des Vaters in das der Tochter, Geschwister teilen sich die Gesichtshälften, ein generationenübergreifender Kopf vereint Großmutter und Enkelin. Es ist anregend, Gesichter zu studieren. Heute bekommen wir immer gleich zwei – in einem. mehr

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: harms.chefredaktion@t-online.de

Mit Material von dpa.

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