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SPD-Parteitag: So könnte die SPD wieder erstarken


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Neue SPD-Chefin
Eine Geschichte gegen den Riss

Von Jonas Schaible, Wiesbaden

22.04.2018Lesedauer: 5 Min.
Nahles: Am stärksten war ihre Rede, als sie ihre Geschichte erzählte.Vergrößern des Bildes
Nahles: Am stärksten war ihre Rede, als sie ihre Geschichte erzählte. (Quelle: Ralph Orlowski/reuters)

Ist die SPD in unversöhnliche Lager gespalten? Das schlechte Ergebnis für Andrea Nahles scheint das zu belegen. Der Parteitag zeigt aber auch, was der SPD wirklich fehlt – und was ihr künftig helfen könnte.

Schon wieder 66 Prozent. Vor wenigen Wochen hatten in einem Mitgliedervotum 66 Prozent der SPD-Mitglieder für die Große Koalition gestimmt. Jetzt stimmten 66 Prozent für Andrea Nahles als SPD-Parteichefin, 28 Prozent für ihre Gegnerin Simone Lange.

Schon wieder 66 Prozent, da sehe man: Durch die SPD gehe ein Riss. Er teile Pragmatiker und fundamentale Gegner, die der Parteispitze grundsätzlich misstrauen; Establishment-Kritik in der eigenen Partei. Diese Deutung verbreiteten Nahles-Anhänger direkt nach der Bekanntgabe des Ergebnisses im Kongresszentrum in Wiesbaden.

Es ist eine fatalistische Lesart, weil sie davon ausgeht, dass sich etwa ein Drittel der Genossen nicht erreichen lässt. Oder, umgekehrt, dass zwei Drittel der Partei die anderen für borniert halten. Da stünde ein Konflikt, der nicht zu versöhnen ist.

Möglich, dass sie zutrifft. Will man in diesem Parteitag aber etwas anderes sehen, will man eine Lehre mitnehmen für die kommenden Monate, dann könnte man es mit dieser versuchen: Die SPD muss mehr Geschichten wagen.

Lange appellierte: "Lasst uns!"

Vor der ersten Kampfkandidatur um den SPD-Vorsitz seit dem legendären Mannheimer Parteitag im November 1995 bekamen die beiden Kandidatinnen für den Parteivorsitz jeweils 30 Minuten Redezeit. Um sich vorzustellen. Um den Saal zu gewinnen.

Sie nutzen die ganz unterschiedlich.

"Lasst uns", so begann Lange einen großen Teil ihrer Sätze. Sie appellierte: "Lasst uns ein neues Grundsatzprogramm schreiben", "lasst uns ein neues Band schmieden", "lasst uns die Arme öffnen und lasst uns tatsächlich neue Politik machen", "lasst uns mutig sein", "lasst uns nicht immer über Menschen reden, sondern mit ihnen". „Lasst uns frei nach Willy Brandt endlich mehr Demokratie leben!“ Lasst uns! Wer sie ist, was sie will, was ihre eigene Geschichte für ihre Kandidatur bedeutet, darüber verlor sie kein Wort.

Auch ihre inhaltlichen Forderungen beschrieb sie nicht sehr konkret. Ihre zentrale Forderung hieß, den Staat zu stärken. Durch mehr Beamte und mehr Geld. „Der Staat sind wir alle." Schulen müssten gebaut und Lehrer eingestellt werden, immer wieder Schulen. Hartz IV sei ein Problem.

Was machte Lange zur "Richtigen"?

Es war keine sehr souveräne Rede, wie auch, Lange hat ja kaum Erfahrung. Es war keine mitreißende Rede, monoton vorgetragen, unpersönlich, inhaltlich allgemein. Nicht einmal Lange selbst schien sich für die bessere Kandidatin zu halten – aber wer sage, fragte sie, „dass die neue SPD-Chefin die Beste sein muss? Es muss die Richtige sein.“

Dass sie selbst die Richtige ist, lief in ihrer Rede auf die Tatsache zu, dass sie nicht Nahles ist, nicht erfahren, nicht Teil der Parteispitze: „Mich zu wählen, bedeutet Mut."

Dass sie trotz allem 28 Prozent bekam, kann man eben als Ausdruck einer Fundamentalopposition gegen die Parteispitze deuten, oder als Ergebnis einer Sehnsucht nach einer mitreißenden und romantischen Geschichte: Lange, die Unbeugsame; Lange, die zum Scheitern Verdammte, die sich in den Dienst der Sache stellte.

Es war die alte Geschichte: David gegen Goliath, nur diesmal in weiblich.

Das hatte etwas. Lange nutzte es nicht.

Von einer, die sich hochgearbeitet hat

Nach ihr kam Andrea Nahles auf die Bühne und sagte: „Mein Name ist Andrea Nahles, ich bin 47 Jahre und lebe mit meiner Tochter Ella in der Eifel.“ Und weiter: „Katholisch, Arbeiterkind, Mädchen, Land. Muss ich noch mehr sagen? Es war nicht unbedingt logisch, dass ich mal große Karriere in der SPD mache.“

Die Frau aus einfachen Verhältnissen, die sich hochgearbeitet hat. Eine der ältesten, aber auch eine der wirkungsvollsten Erzählungen der Politik.

Und es ging weiter: „Heute hier auf diesem Bundesparteitag wird diese gläserne Decke für die SPD durchbrochen – und sie bleibt offen“, rief Nahles. Denn zum ersten Mal würde am Ende eine Frau die älteste deutsche Partei führen.

Hölzerne Abhandlung über Solidarität

Da horchte der Saal aufmerksam, da applaudierten die Delegierten, da schien es so, als habe Nahles alles im Griff. Es war ein erstaunlicher Moment, weil in der SPD derzeit das Bekenntnis schick ist, es gehe um Inhalte und nur um Inhalte – da gerät eine persönliche Geschichte leicht in den Verdacht der emotionalen Manipulation.

Nahles also schwenkte um, wurde nüchterner, sprach über die AfD und den Nationalismus, über den Koalitionsvertrag, über innere Sicherheit und Internetkonzerne und Steuerpolitik und Integration, deren Probleme die SPD offen, aber ohne Ressentiment ansprechen müsse. Sie versuchte sich an einer Abhandlung über den Begriff der Solidarität, den sie zum programmatischen Kern erklärte.

Doch sie unterbrach sich immer wieder mit der rhetorischen Frage, was das jetzt eigentlich konkret heiße, um dann doch nicht konkret zu werden. Dieser Teil wirkte hölzern und bemüht.

Zum Schluss ihrer Rede kehrte sie aber wieder zurück zur Geschichte: „Vor 30 Jahren bin ich in die SPD eingetreten“. Sie zählt ihre Ämter auf, Ortsvereinsvorsitzende, Kreisvorsitzende, Juso-Vorsitzende, stellvertretende Bundesvorsitzende, Generalsekretärin. „Daran merkt ihr schon: Ich bin nicht neu. Ich kenne diese Partei.“ Worauf sie wirklich stolz sei, dass sie vor 30 Jahren einen Ortsverein gegründet habe. „Ich glaube, dass man mit demokratischen Mitteln die Welt für jeden Menschen besser machen kann.“

Dieser Teil war wieder stark.

Eine Bundespräsidentin gab es bis heute noch nicht

Dieser Parteitag könnte eine Gelegenheit sein, diese Lektion mitzunehmen, und Nahles' Geschichte selbst weiter zu erzählen.

Erst seit 1977 dürfen in Deutschland Frauen arbeiten, ohne auf häusliche Pflichten Rücksicht nehmen zu müssen. Nach langen Kämpfen verabschiedete der Bundestag 1997 ein Gesetz, dass Vergewaltigung in der Ehe zum Straftatbestand machte. Dafür hatte auch die SPD gesorgt.

Erst seit den frühen Neunzigern gibt es regelmäßig mehr als zwei Bundesministerinnen. Erst 1993 wurde Heide Simonis, SPD, als erste Frau Ministerpräsidentin in einem deutschen Bundesland. Erst 2005 wurde Angela Merkel als erste Frau Bundeskanzlerin. Eine Bundespräsidentin gab es bis heute noch nie.

Sehen die Genossen die Geschichte?

Jede neue Spitzenposition die erstmals von einer Frau besetzt wird, ist ein weiterer Schritt hin zur Geschlechtergerechtigkeit. Die SPD hatte 155 Jahre lang nur Männer an der Spitze. Das ist jetzt anders.

Sicher, die SPD steht in Umfragen immer noch bei nur 18 Prozent. Natürlich hat sie noch kein neues Grundsatzprogramm geschrieben und natürlich weiß keiner, ob mehr Basiskongresse und ein neues Programm irgendwann wieder zu besseren Wahlergebnissen führen.

Trotzdem ist allein das Ergebnis dieser Wahl eine Erneuerung, mehr noch: Ein historischer Moment. Eine Frau führt die SPD. Wieder ein Schritt geschafft.

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Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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