Streit in der SPD eskaliert Gabriel wirft Parteiführung Respektlosigkeit und Wortbruch vor
Vom VIP-Abteil im Regierungsflieger auf die Hinterbank des Bundestags: Sigmar Gabriel ist DER Verlierer der Koalitionsverhandlungen. Einer der talentiertesten und beliebtesten Politiker steht mit 58 Jahren vor der politischen Bedeutungslosigkeit. Nun rechnet er hart mit der Führung seiner Partei ab.
Sigmar Gabriel hat bis zuletzt gehofft, dass sein Wunsch doch noch in Erfüllung geht. "In solchen international verwirrenden Zeiten seinem Land als Außenminister dienen zu können, ist natürlich ungeheuer spannend und auch eine sehr große Ehre", sagte er vor wenigen Tagen auf dem Rückflug von Tel Aviv nach Berlin einem "Spiegel"-Reporter. Gut möglich, dass es seine letzte Reise als Außenminister war.
Seit Mittwochabend ist offiziell, dass Gabriel das Amt, das er so gerne behalten hätte, beim Zustandekommen einer großen Koalition abgeben muss. Er wäre damit DER Verlierer der längsten Regierungsbildung in der Geschichte der Bundesrepublik. Einer der talentiertesten und beliebtesten Politiker Deutschland würde damit in die politische Bedeutungslosigkeit abstürzen.
Am Tag nach seiner Ausbootung macht Gabriel seinem Ärger Luft. Im Interview mit den Zeitungen der Funke-Mediengruppe wirft Gabriel der SPD-Führung Wortbruch und Respektlosigkeit vor. "Was bleibt, ist eigentlich nur das Bedauern darüber, wie respektlos bei uns in der SPD der Umgang miteinander geworden ist und wie wenig ein gegebenes Wort noch zählt". Welches Versprechen er meint, sagt er nicht.
Er habe das Amt des Außenministers gern und in den Augen der Bevölkerung offenbar ganz gut und erfolgreich gemacht, führt Gabriel fort. "Und da ist es ja klar, dass ich bedauere, dass diese öffentliche Wertschätzung meiner Arbeit der neuen SPD-Führung herzlich egal war." Er wisse, dass in der Politik auch schon mal mit harten Bandagen gestritten werde. "Aber es sollte mit offenem Visier erfolgen."
Ein einzelner Satz zum Ende
Nach vier Jahren als niedersächsischer Ministerpräsident, acht Jahren als Bundesminister, davon vier als Vizekanzler und sieben Jahren als SPD-Chef wurde er von seinem Nachfolger Martin Schulz so kühl abserviert, wie es nur geht: "Sigmar Gabriel hat eine sehr gute Arbeit als Außenminister geleistet, aber ich habe mich entschieden, in die Bundesregierung einzutreten und zwar als Außenminister." Ein lapidarer Satz. Weniger geht nun wirklich nicht.
Damit vollendete Schulz ein Zerwürfnis zwischen zwei Politikern, die sich vor nicht allzu langer Zeit noch Freunde nannten. Vor einem Jahr nahm dieses Zerwürfnis seinen Lauf. Im Januar 2017 entschied sich der damalige Parteichef Gabriel zugunsten von Schulz auf den Parteivorsitz und die Kanzlerkandidatur zu verzichten, um das Außenministerium von Frank-Walter Steinmeier zu übernehmen.
In einem denkwürdigen "stern"-Interview begründete er seine einsam getroffene Entscheidung damals so: "Ich stehe – ob mir das nun gefällt oder nicht – für die große Koalition mit CDU und CSU. Martin Schulz dagegen steht für einen Neuanfang." Gabriel sah damals keine Chance, als Kanzlerkandidat gegen die CDU-Regierungschefin Angela Merkel zu gewinnen. Die SPD dümpelte bei knapp über 20 Prozent herum. Die Partei war genervt von den Alleingängen und der Sprunghaftigkeit ihres Vorsitzenden.
Wäre Gabriel damals in den Wahlkampf gegen Merkel gezogen, wäre seine politische Karriere bei einer Niederlage zerstört gewesen. Im Außenministerium erschien ihm die politische Überlebenschance offenbar größer. Es heißt, Schulz habe ihm damals sogar versprochen, bei einer Groko-Neuauflage das Außenministerium behalten zu können. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieses Gerüchts haben solche Zusagen in der Politik ohnehin oft eine sehr begrenzte Haltbarkeit.
Gabriel stahl Schulz im Wahlkampf die Show
Gabriel hat als Außenminister das erreicht, was ihm als Parteichef nie gelungen ist: Er ist in den Ranglisten der beliebtesten deutschen Politiker ganz oben gelandet. Und er hat sich trotz seiner undiplomatischen Außenpolitik selbst bei den Diplomaten im Auswärtigen Amt allerhöchsten Respekt erarbeitet. Nur das Zusammenspiel mit Schulz im Wahlkampf, das hat nicht funktioniert. Gabriel stahl ihm mit immer neuen Vorschlägen und Ideen die Show.
Nach dem Aus der Jamaika-Verhandlungen witterte Gabriel noch einmal kurz die Chance, sein Büro im Auswärtigen Amt nicht räumen zu müssen. Aber schon beim Parteitag in Bonn im Januar musste der 58-Jährige auf der Bank der früheren Parteichefs Platz nehmen – neben Kurt Beck (69), Rudolf Scharping (70) und Franz Müntefering (78).
Absage aller Termine als Außenminister
Die Reaktion Gabriels auf seine Quasi-Entlassung durch Schulz war harsch. Er sagte am Donnerstag sofort alle Termine in seiner Funktion als Außenminister ab und zog sich in sein Haus in Goslar zurück. Bei zwei Konferenzen zum Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) und der EU ist er nächste Woche ebenso wenig dabei, wie bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Dort sollte er eigentlich den wichtigen zweiten Tag eröffnen. Jetzt findet sie zum ersten Mal seit vielen Jahren ohne einen deutschen Außenminister statt.
Die Ironie des Schicksals ist, dass mit Schulz ausgerechnet der Mann über sein politisches Schicksal entschieden hat, den er selbst vor einem Jahr dazu in die Lage versetzt hat. Am Ende hat sich der Einzelkämpfer Gabriel selbst besiegt.
Am Mittwochabend, kurz nach der SPD-Vorstandssitzung, antwortete er auf die Frage, wie es ihm gehe: "Gut, ich habe ja nichts auszustehen." Damit ist der Mitgliederentscheid gemeint, der nicht nur über die große Koalition, sondern auch über das Schicksal der SPD-Führung entscheiden wird.
Nahles und Scholz rieben sich an Gabriel
Das neue Machtzentrum bilden die designierte Parteichefin Andrea Nahles und der als Vizekanzler und Finanzminister vorgesehene Olaf Scholz. In den nächtlichen Koalitionsverhandlungen war oben im Adenauer-Haus Nahles zu sehen, wie sie an einem Sektglas nippte. Sie hat schwer gelitten als Generalsekretärin unter dem SPD-Chef Gabriel. Schulz hielt sie zwar öffentlich die Treue, aber schon seit Jahren hat sie einen engen Draht zu Hamburgs Regierungschef Scholz aufgebaut.
Sie rieben sich beide an Gabriel – das spielt für das Verständnis der innerparteilichen Machtarithmetik eine wichtige Rolle. Gabriel sind alle Türen verbaut. Das neue Tandem plant ohne den Instinktpolitiker. Ein Weitermachen Gabriels als Außenminister sei in den Verhandlungen kein Thema gewesen, wird beteuert. Denn es sei klar gewesen, dass Schulz seinen Trostpreis, das Außenministerium, bekommen sollte.
Nach außen ist das nur schwer zu vermitteln: Einer der laut Umfragen unbeliebtesten Politiker soll den beliebtesten ersetzen. Da Schulz nie in ein Kabinett Angela Merkels eintreten wollte und auch hier nun das Wort bricht, könnte die Personalie zur großen Belastung beim SPD-Mitgliederentscheid werden.
Auf Schulz wartet der Unmut der Basis
Sieben Regionalkonferenzen mit Schulz und Nahles stehen ab dem 17. Februar an – da dürfte es viel Kritik an dem scheidenden Parteichef und seiner Volte geben. "Ich kann die Gefühlswallung und manche Faust auf dem Tisch verstehen", sagt NRW-Landeschef Mike Groschek. Aber selbst wenn Schulz klargemacht werden müsste, er solle auch noch den Verzicht auf das Außenministerium erklären, um zum Wohle der Partei und des Land das Ja der Mitglieder zur großen Koalition zu retten: Eine neue Chance für Gabriel würde das kaum bedeuten.
Der Goslarer wird nach einem Ausscheiden aus seinem Amt zunächst ganz normaler Abgeordneter sein – ohne Führungsfunktion. Einen Nebenjob hat er sich schon organisiert: Einen Lehrauftrag an der Uni Bonn. Und zuhause freut man sich, dass der Familienvater künftig öfter da ist, berichtet Gabriel am Donnerstag. "Meine kleine Tochter Marie hat mir heute früh gesagt: 'Du musst nicht traurig sein, Papa, jetzt hast Du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht.'"
- dpa