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Knapper Schulz-Sieg bei Parteitag: "Nehmt endlich diese Mützen ab!"


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Knapper Schulz-Sieg bei Parteitag
"Nehmt endlich diese Mützen ab!"

Eine Analyse von Jonas Schaible, Bonn

Aktualisiert am 22.01.2018Lesedauer: 4 Min.
Das war Knapp: Nach der gewonnenen Abstimmung singt der SPD-Vorstand um Andrea Nahles und Martin Schulz erst einmal ein Arbeiterlied.Vergrößern des Bildes
Das war Knapp: Nach der gewonnenen Abstimmung singt der SPD-Vorstand um Andrea Nahles und Martin Schulz erst einmal ein Arbeiterlied. (Quelle: Oliver Berg/dpa)

Nach langer Debatte entscheidet sich die SPD für Koalitionsverhandlungen. Vor allem aber redet sie sich selbst ins Gewissen. Nur einer kommt einfach nicht an.

Selten war Demokratie so spannend. So spannend, dass es still wurde im Saal. Dass der Puls nach oben ging.

Wann hat die Republik zuletzt so auf ein Abstimmungsergebnis gewartet wie in den Minuten, in denen auf dem SPD-Parteitag in Bonn ausgezählt wurde, weil das Ergebnis so knapp und uneindeutig war?

Am Ende dieser Stille verkündete Heiko Maas das unter anderen Umständen so unaufregende Ergebnis: Die SPD wird Koalitionsverhandlungen mit der Union aufnehmen. 56,4 Prozent der anwesenden 642 Delegierten und Vorstandsmitglieder stimmten dafür.

Am Ende sagten die Delegierten also mit knapper Mehrheit: Sie sind noch bereit, der Parteispitze zu folgen. Aber nur noch gerade so. Sie sind bereit, mit der Union zu sprechen. Unter großem Vorbehalt. Sie sind vielleicht sogar bereit, zu regieren – aber nur, wenn wirklich alles passt.

Die wichtigere Botschaft aber ist: Sie sind in der Lage, zu streiten. Und sich nicht nur mit dem eigenen Leid zu befassen.

Schulz klang, als sei er selbst nicht überzeugt

Dass es so spannend werden würde, war am Ende eines Parteitags, in dessen Verlauf sich die Dynamik gleich zweimal änderte, nicht mehr zu erwarten.

Martin Schulz verpasste es in seiner langen Rede, die Delegierten mitzureißen. Er reihte Stichpunkte aus den Sondierungsergebnissen aneinander, ohne etwas darüber zu sagen, wo das alles im Großen hinführen soll. Er versprach Dinge, die er nicht halten kann: "Die Härtefallregelung wird kommen", sagte er zum Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz. Er sagte Dinge, die nicht stimmen: Dass nämlich eine Minderheitsregierung der Union ausgeschlossen sei, weil die das ablehne.

Er, den viele sowieso nicht mehr glaubwürdig finden, machte es sich damit noch schwerer.

Der Eindruck blieb: Da sprach ein Parteichef, der seine Partei nicht mehr erreicht und irgendwie auch sich selbst nicht mehr. Der nichts Persönliches einbringen konnte in seine Rede. Wenn die Partei noch einmal bereit ist, der Spitze zu folgen – es scheint fraglich, ob sie bereit ist, Schulz zu folgen. Schulz und die SPD: Was vor fast genau einem Jahr als Polit-Märchen begann, endet jetzt wie viele der Grimmschen Märchen – düster.

Kühnert blieb sachlich und klar

In diese Stimmung hinein sprach Kevin Kühnert, der sich jede Polemik versagte und eine ruhige, präzise und ehrliche Rede hielt. Zumal kurz danach weitere prominente Kritiker an der Reihe waren, wie Hilde Mattheis und Johanna Ueckermann.

Was vor dem Parteitag einigermaßen unwahrscheinlich war, eine Mehrheit nämlich gegen die Große Koalition, wirkte auf einmal möglich.

Doch selbst die guten Reden reichten nicht, um über drei weitere Stunden die Dynamik zu halten. Nicht gegen Stephan Weil, der den Anfang machte, gegen Olaf Scholz, Manuela Schwesig, Katarina Barley, Ralf Stegner, gegen den Vorkämpfer für die Bürgerversicherung Karl Lauterbach, gegen weite Teile der Parteispitze, die allesamt ehrlicher und klarer wirkten als Schulz.

Und vor allem gegen Andrea Nahles, die es schaffte, die Delegierten leidenschaftlich anzusprechen: "Die zeigen uns den Vogel!", rief sie, die Bürger, wenn die SPD nicht umsetzte, was sie könne, weil sie nicht alles bekomme, "das ist doch Blödsinn, verdammt nochmal!"

Sich selbst von der Fähigkeit zum Optimismus überzeugen

Dass es am Ende trotzdem knapp wurde, sagt viel über die Skepsis in der Partei. Die Zweifel, ob eine Große Koalition richtig ist, sind riesig. Gut möglich, dass ein Koalitionsvertrag, egal was drin steht, am Ende von den Mitgliedern abgelehnt wird.

Aber das ist ja nur ein Ergebnis des Parteitags. Das andere ist: Eine Partei, die sich gemeinsam mit der deutschen Bevölkerung lange der Autosuggestionsübung hingab, sich selbst in die Misere zu beschwören, nutzte die Gelegenheit zu einem fairen, respektvollen Austausch. Vor allem aber dazu, sich selbst ins Gewissen zu reden.

Der vielleicht wichtigste Satz des SPD-Parteitags lautete deshalb auch: "Nehmt diese Mützen ab. Nehmt doch nicht von der CSU diese Begrifflichkeit an, dass wir lächerlich sind!". Das rief Natscha Kohnen, die bayerische Landeschefin, den Jusos in Zwergenmützen auf der Tribüne zu, die Alexander Dobrindts Ausspruch vom "Zwergenaufstand" aufgegriffen hatten und so gegen eine Große Koalition demonstrierten.

Wann gab es zuletzt so viel souveränes Selbstbewusstsein in der SPD?

Ob das hält, kann niemand wissen. Stimmungen und Eindrücke und gefühlte Straßenwahrheiten wie die, dass die SPD abstürzen werde, sollte sie noch einmal in eine Große Koalition gehen, sind schwer zu deuten und noch schwerer zu steuern.

Sollte es die SPD im Laufe dieses Sonderparteitags geschafft haben, sich selbst noch nicht von einer glorreichen Zukunft, aber wenigstens vom Glauben an die eigene Fähigkeit zum Optimismus überzeugt zu haben, wäre das wohl noch bedeutender als das "Ja" zu Koalitionsverhandlungen.

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