Fatale Beförderung verhindert Wie die Stasi Gregor Gysis Karriere half
1989 verhinderte die Stasi die Berufung Gysis in den höheren DDR-Staatsapparat – und ermöglichte dem Juristen so eine politische Karriere im wiedervereinigten Deutschland.
Bis heute bestreitet der Linken-Politiker Gregor Gysi für den Staatssicherheitsdienst als "Inoffizieller Mitarbeiter" tätig gewesen zu sein. Die Stasi hielt den Rechtsanwalt dagegen in seiner Tätigkeit für so bedeutsam, dass sie seine Beförderung in den höheren Staatsapparat im Mai 1989 verhinderte.
Gysi, damals in der Funktion des "Vorsitzenden des Rates der Vorsitzenden der Kollegien der Rechtsanwälte" höchstrangiger Rechtsanwalt des Arbeiter- und Bauernstaates, stand mit hoher Wahrscheinlichkeit vor der Ernennung zum Staatssekretär im DDR-Justizministerium. Der zentrale Parteiapparat erwog, ihn in diese Funktion einzusetzen.
Das Ministerium für Staatssicherheit hatte dagegen Bedenken. Ein Mitarbeiter empfahl, "den Rechtsanwalt Dr. Gysi in seiner Funktion als Vorsitzender des Rates der Vorsitzenden der Kollegien der Rechtsanwälte zu belassen, da ein Wechsel in dieser Funktion die begonnene einheitliche Führung und fachliche Anleitung der Kollegien sowie ihre weitere Profilierung bei der Durchsetzung der Dialogpolitik der Partei mit der BRD negativ beeinflussen würde."
"Im Vorhof der Macht"
Gysi war im Frühjahr 1989 durch ein Interview mit dem "Spiegel" auch in der Bundesrepublik bekannt geworden. Linientreu hatte er darin unter anderem ausgeführt, weshalb die DDR ihren Staatsangehörigen nicht das Recht zur freien Ausreise gestattete. Anscheinend hielt die Stasi Gysis sprachgewaltige Form der "Dialogpolitik der Partei mit der BRD" für wichtig. Außerdem sorgte er offenbar zur Zufriedenheit des MfS dafür, dass die DDR-Anwaltschaft nicht über die Stränge schlug.
"Der Vorgang um die damals vereitelte Beförderung zeigt deutlich, dass Herr Gysi 1989 längst kein kleiner Anwalt mehr gewesen ist", sagt Christian Booß von der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen gegenüber t-online.de. „Im Grunde war er im Vorhof der Macht angekommen." Booß‘ Arbeitsgruppe war kürzlich im Archiv auf die betreffende Akte gestoßen. Der Historiker und Jurist veröffentlichte im Juni 2017 zudem das Buch "Im goldenen Käfig. Zwischen SED, Staatssicherheit, Justizministerium und Mandant – die DDR-Anwälte im politischen Prozess".
Statt Gysi erhielt Ulrich Roehl, bis dahin unter anderem Generalsekretär der Vereinigung der Juristen der DDR, den Posten als Staatssekretär – und amtierte letztlich nur knapp fünf Wochen bis er aufgrund der Demokratisierung der DDR nach dem Fall der Mauer abgelöst wurde.
Gysis vereitelte Berufung erwies sich als Glücksfall für den Juristen. Ohne allzu große politische Belastung machte er im wiedervereinigten Deutschland Karriere als Bundestagsabgeordneter, Fraktionschef von PDS und Die Linke sowie als gefragter Gast in Talkshows.
Überprüfung durch die Stasi
Unabhängig von der Frage, ob Gysi "Inoffizieller Mitarbeiter" der Stasi gewesen ist, ermöglicht der Aktenfund eine neue Sichtweise auf seine Rolle im SED-Staat. "Bisher ist ja immer die Rolle von Gysis offizieller Kooperation vernachlässigt worden", erklärt Christian Booß. "Das DDR-Justizministerium hat Gysi damals dazu aufgefordert, die Stasi zu konsultieren, wenn ein Jurist in das Berliner Anwaltskollegium, dessen Vorsitzender Gysi war, aufgenommen werden sollte. Laut Aktenlage hat das Kollegium dies auch getan. In einem Fall hat die Stasi einen Anwalt abgelehnt, in einem anderen akzeptiert."