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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kanzlerkandidatur der SPD Gabriel zaudert - und die Genossen loben Schulz
Als Parteichef hat Sigmar Gabriel den Erstzugriff auf die Kanzlerkandidatur für die Bundestagswahl 2017. Doch der Vize-Kanzler zaudert. Die Partei wird zunehmend unruhig - und immer mehr Genossen betonen auffällig häufig, dass sie EU-Parlamentspräsident Martin Schulz für einen geeigneten Kandidaten halten.
Der nächste SPD-Spitzenpolitiker, der sich als Schulz-Fan outet, ist Brandenburgs Regierungschef und SPD-Parteivorsitzende Dietmar Woidke. Er stärkte Schulz als möglichem SPD-Kanzlerkandidaten am Samstag den Rücken. "Ich halte ihn für einen sehr, sehr guten Kandidaten", sagte Woidke über Schulz.
In einer Laudatio am Freitag lobte Altkanzler Gerhard Schröder den 60-Jährigen über den grünen Klee: Als "Fels in der Brandung" und "großen Europäer" würdigte Schröder den Parteifreund.
Erst vor ein paar Tagen hatte der "Spiegel" berichtet, dass es innerhalb der SPD eine Front gegen Gabriel als Kandidat gebe. "Über alle Flügel und Landesgruppen hinweg gibt es eine breite 'Bloß nicht Gabriel'-Bewegung", sagte ein einflussreicher Abgeordneter dem Magazin.
Merkel zuvorkommen
Angela Merkel wird aller Voraussicht nach auf dem CDU-Parteitag Anfang Dezember erklären, ob sie für eine erneute Kanzlerschaft zur Verfügung steht. So ließ es auch am Samstag der CDU-Generalsekretär Peter Tauber verlauten. SPD-Chef Gabriel jedoch will die Frage bis Anfang 2017 offenhalten. Doch sähen einige in seiner Partei die Lage gerne geklärt, bevor die Kanzlerin sich äußert.
Für Gabriel steht einiges auf dem Spiel. Will er Parteichef bleiben, müsste er als Kandidat antreten. Den aktuellen Umfragen zufolge aber haben weder er noch ein anderer Sozialdemokrat realistische Chancen, Merkel zu schlagen. Tritt er selbst an, muss er mit einer Niederlage rechnen. Ob er sich dann als SPD-Chef halten könnte, ist mehr als fraglich. Doch in diesem Fall hätte er zumindest die Chance, die Wahl gegen Merkel zu gewinnen. Oder mit einer rot-rot-grünen Mehrheit zu regieren.
Schulz läuft Gabriel den Rang ab
Schulz läuft seinem Parteichef laut einer Forsa-Umfrage von dieser Woche in der Kanzlerfrage den Rang ab. 29 Prozent würden ihn direkt ins Kanzleramt wählen, wenn sie denn könnten. Gabriel kommt auf 27 Prozent - kleiner Vorsprung auf niedrigem Niveau. Doch verzichtet Gabriel wie 2012 auf die Kandidatur, gilt als wahrscheinlich, dass er auch den SPD-Vorsitz niederlegen müsste.
Drohende Niederlage gegen Merkel oder seinem Freund Schulz das Feld überlassen und abdanken, Gabriel steckt im Dilemma - und in beiden Fällen ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er als Verlierer vom Feld geht.
Würde Gabriel eher zur eigenen Kandidatur tendieren, müsste er seinen Parteifreunden dann nicht untersagen, für Schulz in die Bresche zu springen? Lässt er es womöglich zu, dass der Name des EU-Parlamentschefs immer häufiger lanciert wird, um zu testen, wie das bei Wähler und sozialdemokratischer Basis ankommt? Eine weitere Möglichkeit wäre, dass ihm die Debatte schon schlichtweg entglitten ist.
"Schulz könnte Merkel schlagen"
Vor Wochenfrist äußerte auch der Vize-Vorsitzende der SPD, Ralf Stegner, dass er Schulz als Kanzlerkandidat für geeignet hält. Es sei "klar", dass auch Schulz Kanzlerin Merkel schlagen könne, sagte Stegner dem "Tagesspiegel" - allerdings genauso wie das sein Chef Gabriel könnte.
Es gibt auch SPD-Vertreter, die sich noch salomonischer äußern: Der rheinland-pfälzische SPD-Landesvorsitzende Roger Lewentz erklärte gegenüber "FAZ.NET", das es gut sei, dass man mit Gabriel, Schulz und Frank-Walter Steinmeier über drei profilierte Persönlichkeiten für die Kanzlerkandidatur verfüge. Die Zahl derer, die sich wie Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig ganz klar für eine Kandidatur Gabriels aussprechen, wird kleiner.
Für Schulz wäre es ein leichtes, die Debatte zu beenden. Er müsste einfach erklären, dass er als Kanzlerkandidat nicht zur Verfügung steht und sich im Januar erneut als EU-Parlamentspräsident zur Wahl stellt. Doch nach Informationen des "Spiegel" hat Schulz parteiintern bereits die Bereitschaft erklärt, nach Berlin zu wechseln.